Gesichtszüge sind wichtig: An ihnen unterscheiden wir Freunde und Verwandte von Fremden und sie helfen uns einzuschätzen, was für eine Persönlichkeit jemand besitzt – so denken wir jedenfalls. Denn noch immer verbinden wir mit bestimmten Gesichtszügen auch spezifische Eigenschaften. So gelten Menschen mit besonders männlichen, markanten Gesichtern als durchsetzungsfähiger, aber auch aggressiver. Denn, so vermutet man, wer besonders maskulin aussieht, der ist auch stärker vom männlichen Geschlechtshormon Testosteron geprägt und hat damit auch vermehrt diese als typisch männlich geltenden Eigenschaften. Tatsächlich ist der Testosteronspiegel bei Männern um ein Mehrfaches höher als bei Frauen, das könnte daher die geschlechtstypischen Unterschiede erklären. Doch innerhalb des männlichen Geschlechts ließ sich bisher kein klarer Zusammenhang zwischen Testosteron im Blut und der Gesichtsform nachweisen. „Denn auch innerhalb der Geschlechter gibt es einen ziemlich große Variationsbreite von mehr oder weniger maskulinen oder femininen Gesichtern“, erklären Andrew Whitehouse von der University of Western Australia in Perth und seine Kollegen.
Nabelschnurblut und die Gesichtsform
Auf der Suche nach dem Grund dafür sind die Forscher einer anderen Spur nachgegangen: dem Einfluss des Testosterons vor der Geburt. Schon im Mutterleib sorgen die Gene dafür, dass etwa ab der neunten Schwangerschaftswoche männliche Föten vermehrt Testosteron produzieren. Das Hormon beeinflusst nicht nur die Entwicklung der Geschlechtsmerkmale, es wirkt auch auf das Gehirn und beeinflusst die Fingerlängen, wie man inzwischen weiß. Um herauszufinden, ob auch die spätere Gesichtsform eines Menschen ihre Wurzeln schon in dieser ersten Testosteronschwemme hat, analysierten die Forscher den Testosterongehalt im Nabelschnurblut von knapp 200 neugeborenen Jungen und Mädchen. Das erlaubte Rückschlüsse auf die Hormonwerte im Mutterleib. Gut 20 Jahre später vermaßen sie dann die Gesichter der nun jungen Erwachsenen und prüften, ob sich ein Zusammenhang zwischen maskulinen Gesichtsmerkmalen und dem bei den Neugeborenen ermittelten Testosteronwerten finden ließ.
Tatsächlich fanden die Forscher eine signifikante Korrelation: Bei den Männern, die als Neugeborene einen höheren Testosterongehalt im Nabelschnurblut hatten, waren auch die Gesichtszüge maskuliner ausgeprägt, wie sie berichten. Ähnliches beobachteten sie bei den Frauen. „Dies ist der erste direkte Beleg für den lange vermuteten Zusammenhang zwischen pränatalen Testosteronwerten und der Gesichtsform Erwachsener“, konstatieren Whitehouse und seine Kollegen. Trotz der Hormonschwemme, die Heranwachsende in der Pubertät durchleben, wirkt der vorgeburtliche Einfluss des Geschlechtshormons demnach noch bis ins Erwachsenenalter hinein prägend. Keinen Zusammenhang gab es dagegen zwischen den Testosteronwerten im Blut der erwachsenen Teilnehmer und ihrer Gesichtsform.
Dass tatsächlich die Zeit im Mutterleib der entscheidende Faktor war, zeigte auch ein Vergleich von Gesichtsanatomie und Fingerlängen – einem bekanntermaßen ebenfalls vorgeburtlich geprägten Merkmal: Je ausgeprägter maskulin die Gesichter der Teilnehmer waren, desto länger waren auch ihre Ringfinger im Verhältnis zu den Zeigefingern. Damit ist die Palette unserer vorgeburtlichen „Mitbringsel“ nun um eine weitere Facette reicher.