Daniel Pauly
ist einer der in Fachkreisen meist zitierten Fischereibiologen weltweit. Der gebürtige Franzose (*1946) ist Professor für Fischerei und Zoologie an der University of British Columbia in Kanada. Er studierte an der Universität Kiel.
bild der wissenschaft: Könnte eine drastische Senkung der Fangquoten die Weltmeere vor der vollständigen Ausplünderung bewahren?
Daniel Pauly: Nach den Modellen, die in internationalen Fischereikommissionen verwendet werden, sollte das mit solchen Notfall-Maßnahmen tatsächlich gelingen. Aber ob die Natur in der Realität reversibel ist, wissen wir nicht. Wahrscheinlich erholen sich die meisten Bestände irgendwann, aber mit Sicherheit nicht in den Zeiträumen, in denen wir denken.
Mit welchen Zeiträumen muss man denn rechnen?
Nehmen Sie zum Beispiel die Grundnetzfischerei: Wenn man mit Grundnetzen die Strukturen am Meeresboden, zum Beispiel die Kaltwasserkorallenstöcke, zerstört, dann dauert es Hunderte oder Tausende von Jahren, bis sich diese Strukturen neu gebildet haben und die Tiere zurückkehren, die hier ihre Jungen zur Welt bringen oder hier leben – und nicht Jahre oder Jahrzehnte, wie wir es an Land gewohnt sind. Außerdem ist Ausrottung natürlich niemals reversibel, ebenso wenig wie die Verringerung der genetischen Vielfalt, die wir in den Meeren beobachten.
Seit Jahrzehnten fischen wir das „Nahrungsnetz hinunter” – erst die großen Fische, dann immer kleinere Arten. Welche ökologischen Konsequenzen hat das?
Sie sind gewaltig. Große Raubfische reinigen das Meer – wenn man sie aus einem Ökosystem entfernt, verändert man das System radikal. Ich erkläre das mal am Beispiel eines Korallenriffs. Dort verhindern Papageienfische, dass die Algen überhand nehmen, die sonst die Korallen überwuchern würden. Papageienfische werden von mittelgroßen Fischen gefressen, und die wiederum von großen Haien. Fängt man nun die großen Haie weg, nehmen die mittelgroßen Räuber zu, und die fressen dann mehr Papageienfische weg. Prompt fällt deren Kontrollfunktion im Riff aus: Es wächst mit Algen zu.
Gilt das auch für unsere heimischen Meere?
Sicher. Fehlen in der Ostsee große Räuber, die Dorsche, nimmt die Zahl ihrer Beutetiere, der Sprotten, zu. Die brauchen aber viel Zooplankton, zum Beispiel winzige Krebse. Deren Beute sind Algen. Gibt es wenig Zooplankton, beginnen die Algen zu wuchern. Algenblüten entstehen und schließlich entwickelt sich Sauerstoffmangel im Meer. Viele Menschen haben Schwierigkeiten, sich diese ökologischen Zusammenhänge zwischen Raubfischen und Algen vorzustellen, weil es zwischen ihnen keine direkte Beziehung gibt. Aber sie sind real.
Und was passiert dann in solchen Meeren?
Man braucht nicht unbedingt Fische für ein stabiles Ökosystem. Deren Rolle können auch Quallen übernehmen. Dann hat man ein Meer voller Algen und Quallen. Das kann ein stabiles Ökosystem werden – nur können wir das überhaupt nicht mehr nutzen. Die ganze kostbare Primärproduktion des Meeres fiele dann weg. Das könnte die Zukunft vieler Meere sein. Es könnte aber auch die Vorstufe zur Hölle sein: Die Algenblüten verbrauchen den Sauerstoff. Es entstehen Todeszonen ohne Leben. Schließlich hat man nur noch den Wechsel zwischen Algenblüten und Sauerstofflosigkeit. ■
Das Gespräch führte Thomas Willke