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Warum man Schnuller vielleicht doch ablecken sollte

Erde|Umwelt

Warum man Schnuller vielleicht doch ablecken sollte
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Doch nicht problematisch, wenn Papa oder Mama den Schnuller in den Mund nehmen? Eine schwedische Studie legt das nun nahe. Bild: Thinkstock
Es ist eine etwas umstrittene Angewohnheit: Viele Eltern stecken sich zum Reinigen den Schnuller ihres Babys in den Mund, wenn selbiger auf den Boden gefallen ist. Dabei mahnen Zahnärzte immer wieder, dass man das unterlassen soll – es leiste der frühen Karies Vorschub, da die entsprechenden Bakterien per Schnuller vom elterlichen in den kindlichen Mund gelangen. Zudem befürchten einige Kinderärzte, die Kleinen könnten durch das Ablecken häufiger Erkältungen bekommen. Eine Studie aus Schweden lässt die Gewohnheit jetzt jedoch in einem ganz neuen Licht erscheinen: Sie legt nahe, dass das Ablecken des Saugers das Allergierisiko der Kinder deutlich reduziert – und zwar ohne Karies- oder Erkältungsrisiko zu erhöhen.

Allergien sind vor allem in den Industrieländern auf dem Vormarsch. Woran das genau liegt, ist noch etwas unklar. Eine wichtige Rolle scheint aber der Kontakt beziehungsweise der fehlende Kontakt mit Mikroorganismen zu spielen. So haben beispielsweise Kinder, die in großen Familien, mit Haustieren oder auf Bauernhöfen aufwachsen, ein deutlich geringeres Risiko, an Allergien zu erkranken – vermutlich, weil sich ihr Immunsystem bereits früh mit diversen Bakterien und anderen Mikroben auseinandersetzen muss und dadurch eine Art Training verpasst bekommt.

Mehr Bakterien, bitte!

Daraus lässt sich eine bestechend einfache Idee ableiten: Könnte man diesen Effekt nicht gezielt herbeiführen, indem man kleine Kinder absichtlich mit Mikroorganismen konfrontiert? Das Problem: Man weiß bisher nicht, welche Bakterien wirklich unproblematisch sind, wann man die Kleinen damit am besten in Kontakt bringt und wie man sie verabreichen soll. Daher entschieden sich die schwedischen Forscher um Bill Hesselmar vom Königin-Silvia-Kinderkrankenhaus in Göteborg für einen anderen Ansatz: Sie nutzten aus, dass es – sozusagen in „freier Wildbahn“ – durchaus Eltern gibt, die ihre Kinder mehr oder weniger bewusst mit Mikroben in Kontakt bringen: Indem sie den Löffel zum Füttern oder eben auch den heruntergefallenen Schnuller in den eigenen Mund stecken, bevor das Kleine ihn erhält.

Die Intention der Forscher: zu schauen, ob diese Gewohnheit einen Einfluss auf das Allergierisiko der Kinder hat – und ob sie die Mundflora der Kleinen verändert. Dazu nahmen sie insgesamt 184 Kinder und deren Eltern in die Studie auf und begleiteten sie von der Geburt bis mindestens zum Alter von 18 Monaten, einige sogar bis zum Alter von 36 Monaten. Erfasst wurde, ob die Kinder normal oder per Kaiserschnitt geboren wurden, ob sie gestillt wurden, ob sie während ihrer ersten sechs Lebensmonate einen Schnuller nutzten und wenn ja, wie die Eltern ihn säuberten. Zudem untersuchten die Forscher bei den Kindern, ob sie Ekzeme entwickelten, unter Asthma litten oder sonstige Allergien bekamen. Letzteres wurde anhand von Bluttests untersucht.

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Leitungswasser auf Platz eins, Auskochen und Ablutschen auf Platz zwei

74 Prozent der Kleinen bekamen einen Schnuller, zeigte die Auswertung. Praktisch alle Eltern reinigten ihn, indem sie ihn unter Leitungswasser abspülten. Etwa die Hälfte der Testeltern nahm den Schnuller zusätzlich regelmäßig in den Mund, und ein Großteil der anderen Hälfte kochte den Sauger regelmäßig aus. Mit anderthalb Jahren waren bei 25 Prozent der Kinder Ekzeme aufgetreten, 5 Prozent litten unter Asthma und bei 15 Prozent gab es Hinweise auf Nahrungsmittelallergien. Diese Werte liegen oberhalb des Durchschnitts der Bevölkerung, weil die Wissenschaftler vor allem Familien in die Studie aufnahmen, bei denen mindestens ein Elternteil unter einer Allergie litt.

Dabei machte es vor allem bei den Ekzemen einen deutlichen Unterschied, ob die Kleinen mit der Körperflora ihrer Eltern in Kontakt gekommen waren oder nicht – entweder während der Geburt oder durch das regelmäßige Schnullerabschlecken. Denn den mit 54 Prozent höchsten Anteil an Ekzemen hatten die Kinder, die kaum Mikroben ausgesetzt waren – also die, die per Kaiserschnitt zur Welt gekommen waren und deren Eltern den Schnuller regelmäßig auskochten. Den niedrigsten Anteil, nämlich etwa 20 Prozent, registrierten die Wissenschaftler bei Kindern, die normal geboren waren und deren Eltern den Schnuller ablutschten. Die Kleinen, bei denen ein Faktor zutraf – vaginale Geburt oder Schnullertausch – lagen mit etwa 31 Prozent dazwischen. Für Asthma ergab sich ein ähnlicher Trend, der jedoch wegen der geringen Fallzahl nicht ganz so ausgeprägt war.

Vor allem Kaiserschnitt-Kinder könnten profitieren

Zusammenfassend könne man, wenn auch aufgrund der kleinen Studiengruppe zunächst nur vorläufig, sagen, dass vor allem Kinder nach Kaiserschnitten davon profitieren, wenn die Eltern den Schnuller in den Mund nehmen, resümiert das Team. Das scheine die Mundflora so zu verändern, dass das Immunsystem stärker gefordert sei und sich entsprechend weniger unsinnige Ziele suche, wie etwa Pollen oder Nahrungsmittel. Für die häufig geäußerte Sorge, dadurch könnten auch krankmachende Bakterien übertragen werden, können die Forscher dagegen keine Hinweise finden. Weder habe es in der aktuellen Untersuchung mehr Erkältungen gegeben, noch belegten frühere Studien einen Zusammenhang mit mehr Karies-Erkrankungen, betonen sie. Natürlich müssten die Ergebnisse noch in größeren Studien verifiziert werden, schon jetzt deute jedoch vieles darauf hin, dass das Schnullerablutschen eine einfache und effektive Methode sei, das Allergierisiko kleiner Kinder zu verringern.

Bill Hesselmar (Queen Silvia Children’s Hospital, Gothenburg) et al.: Pediatrics, doi:10.1542/peds.2012-3345 © wissenschaft.de – Ilka Lehnen-Beyel
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