In vielen Zoos kann der Besucher sie direkt vergleichen: Im einen Gehege hopsen die bekannten Hausmeerschweinchen umher – daneben haben die Wildmeerschweinchen ihr Quartier. Die einen kommen eher bunt und rund daher, die Ur-Form ist hingegen grau gewandet und etwas schlanker. Dennoch ist klar zu erkennen: Das Hausmeerschweinchen (Cavia porcellus form. Domestica) ist aus dem Wildmeerschweinchen (Cavia aperea) hervorgegangen. In Südamerika werden Meerschweinen bereits seit etwa 3.000 bis 6.000 Jahren gehalten, in Westeuropa seit dem 16. Jahrhundert. Es ist bereits bekannt, dass die Domestikation der Nager nicht nur ihr Äußeres verändert hat, sondern auch ihr Verhalten. Die Forscher um Benjamin Zipser von der Universität Münster haben sich nun noch einmal konkret mit diesem Aspekt befasst.
Um Licht in die Effekte der Domestikation zu bringen, konzentrierten sich die Forscher auf die Untersuchung von männlichen Tieren, da sie besonders ausgeprägte Verhaltensweisen zeigen. So verglichen sie männliche Haus- und Wildmeerschweinchen im Alter von 50 beziehungsweise 120 Tagen. In Verhaltenstests untersuchten sie, wie die Tiere auf andere Meerschweinchen reagierten und ob sie sich in verschiedenen Situationen mutig oder ängstlich verhielten – ob sie sich beispielsweise trauten, eine hell erleuchtete Arena zu erkunden oder von einer Plattform zu springen. Außerdem untersuchen die Forscher die Hormonspiegel ihrer quiekenden Probanden.
Gesellige Haustiere – mutige Wildtiere
Bei den Untersuchungen wurde deutlich: Wenn man Wildmeerschweinchen in einem Käfig
hält, werden sie noch lange nicht zu Hausmeerschweinchen. Die Haustiere zeigten sich eindeutig geselliger als ihre wilden Verwandten, allerdings weniger abenteuerlustig. Wie die Hormonuntersuchungen zeigten, hatten die Hausmeerschweinchen einen deutlich höheren Testosteronspiegel. „Der Testosteronspiegel steigt durch häufige soziale Kontakte. Der erhöhte Testosteronspiegel wiederum bewirkt, dass die Hausmeerschweinchen weniger Cortisol ausschütten“, sagt Zipser. Der geringere Spiegel dieses Stress-Hormons könnte den Forschern zufolge für das umgängliche Verhalten der Hausmeerschweinchen verantwortlich sein, denn eine starke physiologische Stressantwort steht im Zusammenhang mit aggressivem Verhalten. „Über diesen Mechanismus könnten sich zumindest einige der Verhaltensunterschiede zwischen Wild- und Hausmeerschweinchen erklären lassen“, sagt Zipser.
Aus evolutionsbiologischer beziehungsweise züchterischer Sicht machen diese Unterschiede Sinn, sagen die Forscher: Die stärkere Stressreaktion hilft Wildmeerschweinchen, schnell auf Gefahren zu reagieren. Ihr mutiges Verhalten erleichtert ihnen hingegen die Erkundung neuer Lebensräume. Hausmeerschweinchen müssen dagegen oft mit zahlreichen Artgenossen auf engem Raum zusammenleben, was nur bei friedlichem Verhalten möglich ist.