Genau diese Entdeckung führte nun zu einer weiteren Idee, dem so genannten therapeutischen Impfen: Dabei wird dem Immunsystem von Patienten mit einer chronischen Infektion mithilfe einer Impfung unter die Arme gegriffen. Dabei setzen die Mediziner nicht, wie bislang üblich, Wirkstoffe ein, um die Zahl der Erreger zu erniedrigen. Sie versuchen vielmehr, die Reaktion des Immunsystems so stark anzukurbeln, dass es alleine mit den Erregern fertig wird.
Das Prinzip dahinter: Nach einer Infektion reagiert der Körper auf bestimmte Markermoleküle an der Oberfläche der Erreger und bildet viele spezielle Abwehrzellen, die so genannten T- und B-Lymphozyten, die den eindringenden Erreger bekämpfen. Dauert dieser Kampf jedoch zu lange, wie es bei chronischen Infektionen der Fall ist, erschöpft sich das Immunsystem. Die Zahl der Abwehrzellen nimmt immer mehr ab, bis das Immunsystem schließlich nicht mehr in der Lage ist, die Zahl der Erreger zu kontrollieren.
An diesem Punkt setzt die therapeutische Impfung an: Mithilfe gentechnisch designter, für den Körper unschädlicher Viren werden die Erkennungsmoleküle der Erreger erneut in den Körper eingeschleust und provozieren so eine erneute akute Immunreaktion. Damit bekommt der Körper die Infektion wieder unter Kontrolle und ein Ausbruch der Krankheit wird verhindert.
Irgendwann, so hoffen die Wissenschaftler, könnte die therapeutische Impfung das Immunsystem so verstärken, dass es auch die hartnäckigsten Erreger im Körper vollständig eliminieren kann. Soweit ist es jedoch noch lange nicht: „Die Viren weg zu bekommen ist im Moment noch nicht möglich“, erklärt Antonio Cosma gegenüber ddp. Der Wissenschaftler arbeitet am Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit (GSF) in München an der Entwicklung einer therapeutischen Impfung bei HIV-Infektionen.
Die Münchner Forscher haben ihre Ziele deutlich niedriger gesteckt: Sie hoffen, mit ihrer Impfung irgendwann die antivirale Therapie bei HIV-Infektionen ersetzen zu können, die starke Nebenwirkungen hat und, besonders bei der Langzeitanwendung, extrem teuer ist. Dabei konnten sie auch schon erste Erfolge verbuchen: „In unserer ersten klinischen Studie haben wir zehn HIV-infizierte Patienten jeweils dreimal geimpft“, beschreibt Cosma den Ansatz. „Dabei konnten wir zeigen, dass die Impfung tatsächlich eine Reaktion des Immunsystems bei den Teilnehmern bewirkt hat“. Ob diese Aktivierung auch ausreicht, um die Infektion zu kontrollieren, wissen Cosma und seine Kollegen jedoch noch nicht. „Das soll sich im nächsten Teil der Studie zeigen, der jetzt gerade anläuft.“
Therapeutisches Impfen kann jedoch nicht nur bei HIV eingesetzt werden. Auch bei anderen chronischen Infektionen wie beispielsweise Hepatitis B gibt es schon erste Ergebnisse, wie das Fachmagazin „Science“ in einem Schwerpunkt berichtet. Hepatitis B ist mit etwa 200 Millionen Trägern weltweit eine der verbreitetesten Infektionskrankheiten. Bei zwei Dritteln der Infizierten wird aus der akuten Infektion eine chronische, die zu einer chronischen Leberentzündung, einer Leberzirrhose oder sogar zu Leberkrebs führen kann. Bei Säuglingen, die sich bei ihren infizierten Müttern angesteckt haben, verhindert eine therapeutische Impfung jedoch den Ausbruch dieser Krankheiten in 85 Prozent der Fälle, berichtet „Science“.
Doch auch wenn diese ersten Ergebnisse vielversprechend erscheinen, stellt der neue Ansatz bisher noch keine Alternative zu den momentan angewandten Therapien dar. Das ist auch Antonio Cosma völlig klar: „Die Methode könnte eine Alternative werden falls sie jemals funktioniert.“