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Wenn die Beine tanzen

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Wenn die Beine tanzen
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Kribbeln in den Beinen wird nur selten korrekt als Restless-Legs-Syndrom erkannt. Bild: Brymo, flickr (Creative Commons Lizenz)
Unruhige Beine – auch Restless-Legs- Syndrom genannt – sind weit verbreitet, doch unter Patienten wie Ärzten wenig bekannt. Fehldiagnosen sind häufig. Viele Patienten klappern etliche Ärzte ab, um Hilfe zu finden. Dabei lässt sich die Erkrankung anhand von vier simplen Kriterien ganz einfach erkennen.

Da ist das Kribbeln wieder. Eigentlich wollte Rolf schlafen, Ruhe nach einem anstrengenden Tag suchen. Doch seine Beine machen ihm einen Strich durch die Rechnung: Sobald er sich hinlegt, wachen die Ameisen in den Waden wieder auf. Ein unwiderstehlicher Bewegungsdrang entsteht, hindert ihn lange am Einschlafen, weckt ihn mehrfach aus dem Tiefschlaf. Und nicht nur das – am nächsten Tag wird es weitergehen: Wenn Rolf sich im Büro an den Konferenztisch setzt, wollen die Beine wieder aufstehen und rastlos umhergehen. Kino- und Theaterbesuch sind längst nicht mehr möglich. Erst als nach vielen Arztbesuchen die richtige Diagnose fällt – Restless-Legs-Syndrom –, tritt Entspannung ein.

Das RLS abgekürzte Syndrom der unruhigen Beine ist eine Nervenkrankheit, die – obgleich wenig bekannt – recht häufig vorkommt. Rund fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung kennen die Symptome, meist sporadisch, bisweilen heftig und wiederkehrend wie bei Rolf. In ärztliche Behandlung wegen Übermüdung und weil sie den Alltag nicht mehr schaffen muss jedoch nur etwa ein halbes Prozent der Bevölkerung, schätzt Claudia Trenkwalder. Sie ist Chefärztin der neurologisch ausgerichteten Paracelsus-Elena-Klinik in Kassel.

„RLS ist eine der wenigen Erkrankungen, bei denen sich die Patienten recht gut selbst diagnostizieren können“, sagt die Medizinerin. Denn vier Kriterien kennzeichnen die Krankheit, und die sind recht einfach auszumachen: Erstens verspüren die Patienten in Ruhephasen ein Kribbeln und Ziehen in den Beinen – das sogenannte Ameisenlaufen –, meist vom Knie abwärts, eher selten in den Armen. Zweitens geht von den Beinen ein massiver Bewegungsdrang aus, „das ist das Charakteristische an RLS“, kommentiert Trenkwalder. Drittens tritt mit dem Aufstehen und Umhergehen eine schnelle Linderung ein, wobei die Symptome jedoch in der nächsten Ruhephase wieder zurückkehren. Und viertens tauchen die Beschwerden überwiegend beim Einschlafen und in der Nacht auf. „Die Krankheit hängt mit dem Rhythmus der inneren Uhr zusammen“, erläutert Trenkwalder.

Mit diesen Informationen können die Patienten den Arzt schon einmal auf die richtige Spur bringen. Da die Kenntnis von RLS in der Ärzteschaft immer noch nicht sehr verbreitet ist, kommt es nämlich häufig zu falschen Diagnosen, bei denen zum Beispiel die Schlafstörungen medikamentös behandelt werden – ohne Erfolg, aber mit entsprechenden Nebenwirkungen. Über diese Patientenkarrieren, in denen Menschen falsch therapiert werden und von Arzt zu Arzt laufen, „können die Patienten unglaubliche Geschichten erzählen“, berichtet Trenkwalder, die sich auch in der Selbsthilfegruppe RLS e.V. engagiert. Eine 35-jährige Frau etwa wurde zunächst mit der Diagnose „Multiple Sklerose“ konfrontiert und danach an die Psychiatrie verwiesen, die ihr anbot, in die geschlossene Abteilung verlegt zu werden. Dies schlug sie aus und fand schließlich die Erlösung im Schlaflabor, denn dort stellten die Ärzte endlich die richtige Diagnose RLS.

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Die Ursachen von RLS sind wissenschaftlich noch nicht geklärt. Fest steht, dass der Botenstoff Dopamin im Gehirn eine Rolle spielt. Dort setzen auch medikamentöse Therapien an. Klar ist indes, dass es zwei Arten von RLS gibt. In der sogenannten sekundären Form kann RLS mit Eisenmangel, Arthritis, Parkinson und der Einnahme bestimmter Medikamente einhergehen. RLS verschwindet hier meist, wenn die Ursachen beseitigt sind.

In ihrer eigenständigen Form trifft RLS meist ältere Menschen ab 50 bis 60 Jahren, 60 Prozent von ihnen sind Frauen. Seit vergangenem Jahr ist auch eine genetische Veranlagung nachgewiesen. „Je stärker sich die genetische Komponente ausprägt, desto früher setzt die Krankheit ein“, sagt Trenkwalder, die an dieser genetischen Studie beteiligt war. Wenn ähnliche Symptome von anderen Familienmitgliedern bekannt sind, verdichtet dies den Verdacht auf RLS.

Bei jungen Menschen indes kommt und geht RLS. Wenn es schnell wieder verschwindet, wird es meist gar nicht als RLS wahrgenommen. Bleibt die Unruhe länger, so kann der Zustand durch einfache Mittel verbessert werden. Allerdings hilft hier kein Patentrezept. Die Betroffenen müssen selbst verschiedene Methoden abchecken. Dazu zählen beispielsweise warme Bäder, Beinmassagen, Heizdecken, Eisbeutel, Sport sowie der Verzicht auf Alkohol oder Kaffee.

Bei stärkeren Beschwerden, wie etwa unerträglichen Schlafstörungen, helfen Medikamente, die in den Dopaminstoffwechsel des Gehirns eingreifen. Auf einige Medikamente sprechen die Patienten sofort an, was sogar als Test in der Diagnose von RLS genutzt wird. Da die Medikamente allerdings nur die Symptome bekämpfen und die Erkrankung RLS nicht beseitigen, müssen sich die Patienten auf eine längere Tabletteneinnahme einstellen. „Hier ist eine möglichst niedrige Dosierung wichtig“, sagt Trenkwalder, da die Beschwerden während der Therapie auch zunehmen können und die Gefahr besteht, immer höher zu dosieren.

„Die Erkrankung wurde lange Zeit nicht ernst genommen“, sagt Trenkwalder, „da RLS zunächst mit keinen offensichtlichen Beeinträchtigungen und Behinderungen einher geht.“ Unter Ärzten ist RLS auch längst nicht so bekannt, wie es sich die Medizinerin wünscht. Mit gezielten Aufklärungskampagnen wollen die Mediziner um Trenkwalder und die Selbsthilfegruppe RLS e.V. nun das Bewusstsein für das Syndrom der unruhigen Beine bei Ärzten und Patienten schärfen.

ddp/wissenschaft.de – Martin Schäfer
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