Um die Rolle der Amygdala genauer zu untersuchen, zeigten die Wissenschaftler 13 WBS-Patienten und 13 gesunden Freiwilligen Bilder von verärgerten und ängstlichen Gesichtern. Solche Gesichtsausdrücke gehören zu den wichtigsten Gefahrensignalen und lösen normalerweise eine starke Amygdala-Aktivität aus. Als die Forscher jedoch die Gehirnaktivität der Probanden mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie bestimmten, fanden sie bei den WBS-Patienten eine deutlich reduzierte Amygdala-Aktivität. Sahen sich die Probanden statt der Gesichter jedoch Bilder von brennenden Gebäuden und Flugzeugabstürzen an, reagierte die Amygdala der WBS-Patienten sehr viel stärker als die der Kontrollprobanden.
Die Ursache für diese Veränderung war jedoch nicht eine Fehlfunktion der Amygdala selbst, sondern eine Störung des Netzwerks, das dieses Hirnareal kontrolliert, zeigten weitere Untersuchungen: Den WBS-Patienten fehlt die Verbindung zwischen der Amygdala und dem so genannten orbitofrontalen Cortex, der für die Zuordnung von Gefühlen zu emotionalen Situationen zuständig ist. Um diesen Mangel zu kompensieren, ist gleichzeitig der für Empathie zuständige mediale Cortex überaktiv. Diese Gehirnveränderungen spiegeln demnach genau das Verhaltensmuster der Patienten wider und zeigen, wie das Sozialverhalten durch die Abwesenheit bestimmter Gene geprägt wird, schreiben die Forscher.
Andreas Meyer-Lindenberg (National Institute of Mental Health, Bethesda) et al.: Nature Neuroscience, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1038/nn1494