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Wie Kadaver zu Kinderstuben werden

Erde|Umwelt

Wie Kadaver zu Kinderstuben werden
Ein Totengräber-Pärchen präpariert eine tote Maus. (Foto: Shantanu Shukla, Max Planck Institute for Chemical Ecology)

Wie schaffen es die skurrilen Totengräber-Käfer, aus Tierleichen ein „sauberes“ und nährstoffreiches Nest für ihre Jungen zu machen? Wie Forscher nun zeigen konnten, ersetzen die skurrilen Krabbler die schädlichen Zersetzungsmikroben durch ihre eigenen nützlichen Mikroorganismen. In den so präparierten Kadavern können sich die Larven dann bestens entwickeln. In den Totengräber-Mikroben steckt somit auch Potenzial für die Suche nach antimikrobiellen Wirkstoffen, sagen die Forscher.

Der Tod ist ihre Lebensgrundlage: Die gelb-schwarz gezeichneten Totengräber sind gleichsam die Halloween-Version des Marienkäfers. Wenn ein Pärchen dieser Insekten etwa eine tote Maus entdeckt, macht sich das Team an die Arbeit: Sie verscharren den Kadaver, benetzen ihn mit Sekret und schaffen in dem Körper eine Höhle für ihre Larven. Soweit bekannt – dabei stellte sich allerdings bisher die Frage: Wie verhindern die Totengräber, dass das Aas zersetzt wird? Denn die morbiden Kinderstuben der Larven sind natürlich von Verwesungsprozessen bedroht, in deren Folge es zur Bildung von Giftstoffen, dem Wachstum von Krankheitserregern und dem Verlust von Nährstoffen kommen würde.

Präparieren statt desinfizieren

Was das Geheimnis der Aaskäfer ist, haben nun die Forscher um Shantanu Shukla vom Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena aufgedeckt. Im Rahmen ihrer Studie haben sie die Bakterien- und Pilzgemeinschaften von Kadavern untersucht, die von Totengräber-Käfern der Art Nicrophorus vespilloides „gepflegt“ worden waren. Sie verglichen außerdem die Stoffwechselaktivität der Mikroorganismen, die sich in der Entstehung der stinkenden organischen Verbindungen mit den bezeichnenden Namen Cadaverin und Putrescin widerspiegeln. Außerdem untersuchten sie die Zusammensetzung der Mikroorganismen, die zur Darmflora der Käfer gehören.

Dabei zeichnete sich ab: Die Totengräber schützen die Nahrungsgrundlage für ihre Jungen dadurch, dass sie diese mit nützlichen Mikroorganismen aus ihrem eigenen Darm impfen. „Die Käfer sterilisieren nicht einfach den Kadaver. Vielmehr ersetzen sie das für Aas typische Mikrobiom mit einem noch komplexeren: mit Symbionten aus ihrem eigenen Darm. Vom Käfer übertragene Hefepilze ersetzen dabei vollständig die Schimmelpilze aus dem Boden, die normalerweise einen Kadaver schnell überwachsen“, erklärt Shukla den Befund.

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Potenzial für die Forschung

Durch weitere Experimente konnten die Forscher auch die Bedeutung dieser Behandlung für die Brut dokumentieren. Sie testeten dazu die Wirkung des Mikrobenfilms auf die Fitness der Käferlarven, indem sie das Larvenwachstum auf Kadavern mit und ohne mikrobielle Symbionten verglichen. Wie sie berichten, war der Effekt deutlich: Käferlarven, die an Kadavern ohne Symbiontenfilm fraßen, waren deutlich kleiner, auch wenn sie die gleiche Menge Fleisch verspeist hatten. „Unsere Studie zeigt, wie Insekten ihren Lebensraum verändern können, indem sie ihre Symbionten sowohl in ihrem Darm als auch außerhalb, wie etwa auf einer Brutstätte, kultivieren. Der Totengräber ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wie sich Lebewesen mit Hilfe ihrer symbiotischen Mikroorganismen schwierige Ressourcen erschließen können“, sagt Co-Autor Heiko Vogel.

Wie die Wissenschaftler betonen, ist das Ergebnis nicht nur aus biologischer Sicht interessant. Sie wollen die identifizierten Hefen der Käfer nun genauer untersuchen, um ihre interessante Rolle bei der Entgiftung der Verwesungsprodukte und bei der Vorverdauung des Kadavers auszuloten. „Da das von den Käfern übertragene Mikrobiom das Wachstum gefährlicher und giftproduzierender Bakterien und Pilze unterdrückt, wird es nun in das Screening nach neuen antimikrobiellen Wirkstoffen einbezogen“, sagt Co-Autor Andreas Vilcinskas, der am Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie in Aachen die Antibiotikaforschung leitet.

Quelle: Max Planck Institute for Chemical Ecology, PNAS, doi: 10.1073/pnas.1812808115

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