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WIE TIERFILMER TRICKSEN

Erde|Umwelt Gesellschaft|Psychologie

WIE TIERFILMER TRICKSEN
Seit dem legendären Bernhard Grzimek ist jeder Tierfilm ein Appell an den Naturschutz. Doch bei manchen Aufnahmen müssen die Regisseure nachhelfen.

Der Leopard hält inne. Sein Blick scheint einen Punkt zu fixieren. Die Raubkatze ist auf der Jagd nach Beute, verrät der Sprecher. Und da ist das Opfer schon. Ein Tigerbaby rückt ins Bild, zusammengerollt unter einem riesigen braunen Blatt. Das Kleine hat sich zu weit von der Mutter fortgewagt. Wie leichtsinnig! Die Hintergrundmusik lässt nichts Gutes ahnen. Der Leopard starrt gebannt in Richtung Tigerbaby. Er könnte das Junge fressen, warnt der Sprecher. Nur das Blatt verdeckt es vor dem Angreifer. Doch ausgerechnet dieses Blatt ist von Löchern durchsetzt. Vielleicht kann die hungrige Katze hindurchspähen und die wehrlose Beute entdecken. Aber es kommt anders. Der Leopard zieht weiter. Das Tigerjunge ist außer Gefahr. Friedliche Geigenklänge heben an.

Aufatmen – man kann gar nicht anders. Unweigerlich fühlt der Zuschauer mit dem Tigerbaby. Weil es so possierlich ist, so schutzlos. Und weil die BBC-Produktion „Tiger – Indiens Raubkatzen hautnah“ einem die Tierfamilie im indischen Dschungel vertrauter macht als die eigenen Nachbarn. Die Kamera folgt ihr auf Schritt und Tritt, sieht den Jungen beim Balgen zu, der Mutter bei der Jagd eines Axishirsches, dem Vater, wie er gegenüber seinem Spiegelbild im Auge der Kamera die Zähne bleckt. Es sind großartige Einblicke, wenn Tiere in freier Wildbahn ein derartiges Schauspiel vollführen. Aber: Die Bilder sind nicht immer ganz echt. Denn die Tiere agieren ja nicht freiwillig wie die menschlichen Darsteller in einer Reality Show. Deshalb kommen bei der Produktion von Tierfilmen jede Menge Tricks zum Einsatz – technische, dramaturgische und solche, die an Manipulation grenzen. Tricks, die dem Pionier des deutschen Tierfilms, Bernhard Grzimek, anfangs noch völlig unbekannt waren (siehe das Interview „Ein Drehbuch gab es nicht“). Grzimek, vor 100 Jahren am 24. April 1909 geboren, erhielt 1959 als erster Deutscher nach dem Zweiten Weltkrieg einen Oscar – für seinen Dokumentarfilm „ Serengeti darf nicht sterben“. Seitdem sind die Ansprüche der Zuschauer gestiegen, und Grzimeks Nachfolger haben aufgerüstet.

„Wir sind mehr denn je auf der Jagd nach ungewöhnlichen Bildern, die das Tier ganz anders zeigen, als es der Zuschauer aus dem Zoo kennt“, sagt Jan Haft. Die pure Exotik ferner Länder ist ausgereizt. Ein schlafender Löwe reißt niemanden mehr vom Sofa. Haft muss es wissen, verdient er doch seit vielen Jahren sein Geld mit Dokumentationen über die Natur, seine Produktionen werden unter anderem im deutschen und österreichischen Fernsehen gezeigt. Schon als kleiner Junge sammelte er allerlei Getier in leeren Gurkengläsern und Terrarien. Der Natur ist er treu geblieben. Mit Naturromantik hat sein Arbeitsalltag dennoch nichts zu tun.

Der SCHLAUPELZ SPIELT NICHT MIT

„Pleiten, Pech und Pannen sind der Normalfall“, sagt der 41-Jährige, der schon in Höhlen stieg, in denen er hoffte, auf Wölfe zu treffen, bis ihm Hunde entgegenbellten. Ein anderes Mal lauerte er versteckt vor einem Fuchsbau, darauf wartend, dass Meister Reineke sich zeigt. Doch der ließ ihn warten. Tagelang. Zu spät merkte der Filmemacher, dass der Schlaupelz ihn gefoppt hatte. Er hatte sich einen anderen Ausgang gegraben, den Haft nicht einsehen konnte. Den Bau bezog er nach der Flucht nie wieder. Viele Arbeitstage für nichts.

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Viele Aufnahmen gelingen nur mit fremder Hilfe. Für das Porträt „Wilde Türkei“ führten Einheimische Hafts Filmteam in den unwegsamen Höhen des Taurusgebirges zu wild lebenden Bezoarziegen, den Vorläufern der heutigen Hausziege. In vielen Regionen der Erde sind sie nahezu ausgerottet. Doch in der felszerklüfteten türkischen Bergwelt springen die Geißen und Böcke noch umher. Der seltene und scheue Maralhirsch wollte jedoch – trotz akribischer Vorbereitung und Recherchen über Vorkommen, Verhalten und Verbreitung – partout nicht vor die Kamera spazieren, obwohl er für die Dokumentation fest eingeplant war. Immerhin waren der kaspische Bartgeier und das Königshuhn weniger störrisch. So ließ sich der Ausfall halbwegs verschmerzen.

„Im Unterschied zu früheren Tierdokumentationen zieht heute niemand mehr ohne Drehbuch los“, sagt Haft. Schon Monate vor dem Drehbeginn werden die Rollen unter den animalischen Darstellern verteilt. Es werden Kontakte zu Führern, Behörden und Einheimischen vor Ort geknüpft, um sich darüber klar zu werden, wo und wie die Akteure aufgestöbert werden können. Mehr denn je geht es im Tierfilm darum, eine Geschichte zu erzählen und Zusammenhänge zu zeigen, betont Haft. Das kann nur gelingen, wenn das Kamerateam sich vorher darüber im Klaren ist, was vor der Linse passieren soll.

DIE BÄREN SIND IM DORF WILLKOMMEN

Doch die Natur hält sich selten an Drehbücher. Sie schlägt den Bildjägern ein Schnippchen nach dem anderen – angenehme Überraschungen inbegriffen. So wusste Jan Haft, dass in den türkischen Wäldern etwa 3000 Bären leben. Aber er hatte nicht im Traum zu hoffen gewagt, dass er auch nur einen zu Gesicht bekommen würde. Er staunte daher nicht schlecht, als ihm ein Einheimischer in der Cafeteria eines Nationalparkzentrums erzählte, dass neben seinem Bergdorf Bären hausen. „Vor Ort gibt es oft solche Zufälle“, sagt Haft. „Aber wir bekommen auch viele Hinweise, die uns in Sackgassen führen.“ So war sich sein Team seiner Sache keineswegs sicher, als sie zu dem Dorf aufbrachen. Umso größer war die Freude, als der Kameramann unweit der Häuser eine Höhle mit fünf Bären ausmachte. Mehr noch als die stattlichen Kreaturen beeindruckte Haft die Gelassenheit der Dorfbewohner. Die Kinder liefen auch nachts draußen herum. Kein Jäger beobachtete die Bären, und niemand dachte auch nur daran, sie zu erschießen wie Braunbär Bruno in Bayern.

Die Bären stahlen den Bewohnern ab und zu Birnen und Aprikosen aus den Gärten. Aber man hatte sich mit den pelzigen Nachbarn arrangiert. Wurden sie allzu aufdringlich, klatschten die Dörfler in die Hände oder lärmten mit einem Klöppel. Haft hielt all diese Szenen fest. Doch solche Glücksmomente sind im Alltag der Kameraleute rar, auch wenn der fertige Film oft wie ein Reigen von Glücksgriffen anmutet. Für ein paar atemberaubende Sekunden vergehen endlose Monate. Die Zeit ist für Tierfilmer die größte Kostenfalle. Für eine 45-minütige Tierdokumentation zahlen öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten zwischen 100 000 und 300 000 Euro, deutlich mehr als die privaten. Doch die Budgets schrumpfen – und das macht Tierfilmern die Arbeit schwer.

Immer wieder werden deshalb ältere Aufnahmen einfach angekauft und in das neue Material eingefügt, etwa Bilder jener Tiere, die sich partout nicht zeigen wollen. „Gute Tierbilder gehen heute um die ganze Welt und werden immer mehrmals ausgestrahlt“, erklärt Vinzenz Hediger, ein Filmwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum, der sich mit der Entwicklung des Tierfilms befasst. „Der Tierfilm ist nie ein völlig in sich geschlossenes Werk. Das ist eine Besonderheit dieses Genres.“ War Bernhard Grzimek für „ Serengeti darf nicht sterben“ noch auf seine eigenen Bilder angewiesen, können sich die Naturfilmproduzenten heute aus einem wachsenden Fundus bedienen. Die BBC und das Medienhaus National Geographic besitzen die größten Tierfilmarchive der Welt.

DIE NATTER SCHLUCKT DIE KRÖTE

Und wenn das vorhandene Material sich nicht ins Drehbuch einfügt, wird auch schon mal auf dressierte Tiere oder Zootiere zurückgegriffen. „Das widerspricht zwar den ethischen Kodices vieler Tierfilmer, wird aber laufend gemacht“, kommentiert Hediger. Mit den gefügigen Darstellern lassen sich sogar Ideen filmisch verwirklichen, die mit wildlebenden Artgenossen undenkbar wären. So zeigt Jan Hafts Film „Die Wiese“ die Entwicklung des Lebensraums während der letzten zehntausend Jahre. Vor einer ähnlichen Kulisse tauchen wechselnde Bewohner auf. Selbstverständlich dürfen Wiesenbesucher wie die Rötelmaus, der Marder oder der Schwarzstorch nicht fehlen. Dafür kooperierte Hafts Produktionsfirma Nautilus mit einer Wiener Filmtierschule. „ Das war nicht anders umsetzbar. Wir arbeiten aber mit Wissenschaftlern, damit bei diesen Tricks keine Fehler passieren“ , rechtfertigt sich Haft. Die Kritiker nahmen es ihm auch nicht übel. „Die Wiese“ wurde mit Auszeichnungen überhäuft.

Unter den Filmkollegen ist man sich weitgehend einig: Es darf gemogelt werden – aber bitte authentisch, damit dem Dokumentarfilm das Dokumentarische nicht abhanden kommt. Der Markt für Tiertrainer floriert, wie Karl Lang von der Filmtierschule Animal Action Austria im österreichischen Sulz berichtet. Die Stars unter seinen 400 Tieren werden mehrmals im Jahr gebucht – nicht nur für Dokumentationen, sondern auch für Spielfilme, Veranstaltungen und Hochzeitsfeiern. Langs Zöglinge sind echte Profis. Sie hören von klein auf jeden Tag Radio, sie laufen über Fliesen und Parkett, sitzen in gleißendem Licht und wechseln immer wieder den Standort, sprich das Gehege, damit das Rattern der Kameras und die Scheinwerfer beim Drehtermin sie nicht beunruhigen. Mit dressierten Tieren lassen sich außergewöhnliche Szenen nachstellen. Auch solche, die Lang im ersten Augenblick für „absolut verrückt“ hielt. Zum Beispiel las er in einem Drehbuch zu einem Beitrag für die Sendereihe „ Universum“, die im österreichischen ORF-Programm ausgestrahlt wird: Eine Ringelnatter soll eine Knoblauchkröte verschlingen, von einem Marder überrascht werden und die Amphibie wieder ausspucken. „Das hat wirklich funktioniert“, wundert sich Lang noch heute. Eine sehr zahme, bereits satte Ringelnatter schluckte die Kröte. Die Natter hatte Lang zuvor mit Katzenfutter eingerieben. So gelang es, das Interesse des Marders auf sie zu lenken. Am Ende war die Szene im Kasten, ohne dass ein Tier zu Schaden gekommen war.

DIE PINGUINE STEHEN IM SCHNEE

Kritiker werfen den Erfindern solcher Szenen vor, nur auf Effekthascherei aus zu sein und dabei das natürliche Verhalten aus dem Blick zu verlieren. Zweifellos liegen Tiere die meiste Zeit des Tages auf der faulen Haut, dösen oder fressen. Aber mal ehrlich, wer will im Film solche langweiligen Szenen sehen? Auf der beschwerlichen Suche nach dem anderen, dem Außerordentlichen greift mancher Tierfilmer deshalb in der Not zur Bildmanipulation. Pinguine im Schneetreiben wecken natürlich mehr Interesse als vor der Betonklippe ihres Zoogeheges – das lässt sich machen. Oder: Zwei kämpfende Leoparden aus dem Zirkus werden am Computer in die Savanne versetzt. Auch möglich: Drei Vögel, die im Windkanal schwirren, werden kunstvoll zu einem Schwarm vervielfältigt. „Das ist sehr praktisch für die Technik, sieht schön aus und kostet weniger, als in der Natur einen Vogelschwarm gezoomt im Bild zu halten“, meint Lang. Solange frisierte Bilder dem Zuschauer die natürliche Lebensweise der Tiere näher bringen und keine Falschinformationen liefern, gelten sie als legitim. Zahme Tiere statt Wildtiere vor die Kamera zu setzen, hat im Übrigen Tradition. Bernhard Grzimek, der nicht nur Filmemacher, sondern auch Zoodirektor war, ließ in seiner Sendung „Ein Platz für Tiere“ in den 1970er-Jahren Tiere aus dem Frankfurter Tierpark durchs Studio spazieren. Er war damit der Erste, der im großen Stil die zahmen Geschöpfe in den Dienst ihrer wilden Artgenossen stellte. Der berühmte französische Regisseur Jaques Perrin gewöhnte für seine Dokumentation „Nomaden der Lüfte“ die Vögel an die Kameraleute, aber auch an Gleitschirme, Leichtflugzeuge und Heißluftballons, Autos, Motorräder, Motorboote, Roboter und ein französisches Marineschiff. Nur so gelang es ihm, eine Armlänge neben Kranichen und zwischen Streifengänsen mitzufliegen – die vollendete Vogelperspektive, wie er sagt. Mit den Filmtierschulen hat sich die Tierdressur für den Film lediglich institutionalisiert. Und noch in anderer Hinsicht hat Grzimek einen anhaltenden Trend begründet. „Vorher folgte der Film einer Trophäenlogik“, erklärt Filmwissenschaftler Hediger. „Der Filmer war eine Art Jäger mit der Kamera, der den Tieren bei Expeditionen nachstellte. Grzimek gelang die Bekehrung des Jägers zum Naturschützer.“

BRACHIOSAURIER WERDEN GEJAGT

„Seither“, so Hediger weiter, „ist jeder Tierfilm eine Feier der Naturschönheiten, an die sich die Feststellung anschließt, wie bedroht die Natur ist – durch den Menschen. Dann folgt stets der Appell, sie zu schützen. Das geschieht heute in weniger penetrantem Ton als bei Grzimek, ist aber Konsens im Naturfilm.“ Die Natur als das Gute, Bewahrenswerte auf der einen Seite, und auf der anderen der Mensch als Bösewicht und Zerstörer, den es aufzuklären gilt, bevor es zu spät ist – diese Sicht samt ihrer missionarischen Botschaft hat sich in Hedigers Augen nur um Nuancen verändert. Neu ist der Aufruf zum Klimaschutz. Das Problem der Überbevölkerung als Bedrohung für Tiere ist dagegen seit den 1980er-Jahren in den Hintergrund getreten. Grundlegend neu ist für den Wissenschaftler indes die Computeranimation im Tierfilm: Ausgestorbene Tiere werden am PC zum Leben erweckt. Brachiosaurier fressen sich durch Farnwälder und werden von Tyrannosauriern gejagt. Kunststoff- und Holzmodelle der versteinerten Dino-Knochen werden Datenpunkt für Datenpunkt in den Rechner übertragen, dann wird ihnen mit aufwendiger Software Bewegung eingehaucht.

Mit ähnlicher Technik wagen es Tierfilmer, in die Zukunft zu blicken. In der ZDF-Doku-Reihe „Die Zukunft ist wild“ wurden die Zuschauer in eine Welt 200 Millionen Jahre nach der Gegenwart entführt. Hediger: „Das ist ein mentalitätshistorischer Schritt. Die Imagination hält Einzug in den Tierfilm, um neueste Erkenntnisse der Wissenschaft zu transportieren. Dabei denkt sich der Mensch selbst weg aus der Natur.“ Davon abgesehen, hat sich für ihn nicht allzu viel geändert seit Grzimeks Tagen. Die Grundmuster des Erzählens sind die gleichen geblieben. „Die Frage ist, ob sich der Tierfilm überhaupt erneuern muss“, überlegt der Bochumer. „Ich würde sagen: Nein.“ Denn das Genre erfreut sich ungebrochener Beliebtheit, Naturdokumentationen sind fester Bestandteil nahezu aller Kanäle. Sie werden lieber gesehen als Nachrichten oder manche Spielshow. Hediger weiß, warum: „Die Natur ist ein Ort der Einkehr, ein nostalgisches Refugium für den modernen Menschen.“ Daran ändern auch die wechselnden Vorlieben der Zuschauer nichts. Während in den 1960er-Jahren vor allem exotische Tiere Afrikas wie Gnus und Nashörner vor der Kamera herliefen, will der Zuschauer heute den Lebensraum vor der Haustür erkunden, wie man von Jörn Röver, Redaktionsleiter Naturfilm beim Sender NDR, erfährt. Auch Jan Haft steht zu seinem „Faible für alles Heimische“. Tierfilmer Hans-Jürgen Zimmermann aus Bad Hönningen dreht sogar die meiste Zeit nur in Deutschland. „Ich beackere diesen Boden, der ein sehr fruchtbarer ist, vom Feldhasen über das Feldkaninchen bis zum Eisvogel und zum Apollofalter“, sagt er. In der ZDF-Reihe „Umwelt“ werden seine Beiträge regelmäßig ausgestrahlt. Der deutschen Natur zuliebe überwand Zimmermann sogar seine Schlangenphobie und filmte alle sechs heimischen Schlangenarten samt der gefährlichen Aspisviper. Dank neuer Kameratechnik erscheint der heimische Wald im Film in neuer Perspektive: Endoskopkameras verfolgen eine Ameise, wie sie einen toten Hirschkäfer durch dunkle Gänge hievt. Eine Funkkamera auf einem Seeadler zeigt die Jagd nach einer Maus aus der Vogelperspektive. Und die Hetzjagd eines Löwenrudels auf einen Babyelefanten im Kinofilm „Unsere Erde“ wurde mit einer Infrarotkamera sichtbar gemacht. In der BBC-Dokumentation über die indischen Tiger, aus der die Eingangsszene stammt, ist es eine als Holzklotz getarnte Kamera, die am Rüssel eines Elefanten befestigt werden kann. Da die Tiger an die Anwesenheit von Elefanten gewöhnt sind, kommt die Kamera bis auf eine Handbreit Abstand an die Raubkatzen heran.

Die TIGERMUTTER IST VERWUNDET

Die Produzenten halten mit solchen technischen Finessen nicht hinter dem Berg. Im Gegenteil: Freimütig erzählen sie im Tierfilm, wie die spektakulären Bilder entstanden sind, wie sie die Holzklotz-Kamera aufgestellt und ein Langurenaffe sie inspiziert hat. Das Technische interessiert den Betrachter eben auch. Daneben folgt der Film gerne einem oder wenigen Tieren. Diese Individualisierung verstärkt die emotionale Botschaft und trägt die Geschichte. Man fühlt sich ergriffen, wenn sich die Elefantenkuh abseits der Herde durch einen Sandsturm kämpft. „ Wird sie es schaffen?“, fragt sich der Sprecher – und mit ihm der Zuschauer. Subtile Vermenschlichung ist gestattet.

Grzimek brauchte die Tiere noch nicht als Überbringer seiner emotionalen Botschaften. Schließlich war er selbst ein Star und die Identifikationsfigur seiner Filme. Doch die prominenten Frontmänner des Tierfilms, die sich selbst in Szene setzten – Bernhard Grzimek, Heinz Sielmann und Horst Stern – haben keine Enkel hinterlassen. Vielleicht, weil ihre Botschaft heute als zu aufdringlich empfunden würde. Die Sprecher der Filme bleiben heute im Off. Unsichtbar, zurückhaltend, lassen sie Natur und Tiere für sich sprechen. Etwa die Tigermutter, die verwundet an ihrem Ruheplatz liegt, während ihre vier Jungen noch zu klein sind, um alleine zu überleben. Ein Sinnbild für die Verletzlichkeit der Natur. ■

Susanne Donner, Wissenschaftsjournalistin in Berlin, sah sich als Kind „Serengeti darf nicht sterben“ ein halbes Dutzend Mal auf Video an.

von Susanne Donner

Ohne Titel

Wissen hören: Ein Interview über Tierfilme gestern und heute finden Sie unter „Podcasts“ auf www.wissenschaft.de

Ein Drehbuch gab es nicht

Herr Dudenhöfer, was zeichnete Bernhard Grzimek aus?

Bernhard und sein Sohn Michael Grzimek waren exzellente Wissenschaftler und ihre Aufnahmen von der Natur fabelhaft. Bei „ Kein Platz für wilde Tiere“ bekam ich 30 000 Meter Material auf den Tisch. Es fehlte allerdings der Zusammenhang. Ich suchte fieberhaft nach Bildern für die Anschlüsse, nach einem Äffchen oder irgendeiner Aufnahme, die ich dazwischensetzen konnte, um eine Geschichte daraus zu machen. Die Grzimeks waren keine Filmleute im engeren Sinn. Ein Drehbuch hatten sie nicht. Das entstand quasi am Schnittpult.

Bei „Serengeti darf nicht sterben“ waren Sie von Anfang an in die Entstehung des Films einbezogen. Wie lief das ab?

Ich stand mit Michael Grzimek in Kontakt, der den größten Teil des Films gedreht hat. Ich sagte ihm, dass er die Zelte aufnehmen soll, die Maschine, in der sie fliegen, und sich selbst, damit ich diese Bilder dazwischenschneiden kann.

Was blieb noch in Erinnerung?

Ich bekam eine Postkarte von Michael Grzimek aus Tansania, in der er schrieb: „Gott sei Dank sind wir bald mit den Dreharbeiten fertig. Das Flugzeug wackelt in allen Fugen.“ Drei Tage, nachdem ich die Postkarte erhalten hatte, prallte die Maschine mit einem Königsgeier zusammen und stürzte ab. Michael starb.

Was ist das Besondere an dem Film?

Tierfilme dieser Art, in Spielfilmqualität und in der Länge, gab es damals eigentlich noch nicht. Der Film ist einfach ein Kunstwerk.

Was ist Ihrer Meinung nach Grzimeks größtes Verdienst?

Sicherlich der Naturschutzgedanke. Er war sehr überzeugt von dem, was er tat, und konnte seine Ideen glänzend vermarkten. Denken Sie nur an die vielen Spenden, die er gesammelt hat.

KOMPAKT:

· Heute wie vor 50 Jahren ist der Beruf des Tierfilmers harte Arbeit und verlangt viel Geduld.

· Aber es gibt Tricks und Kniffe: Nicht selten stehen dressierte Tiere vor der Kamera, und Bilder werden am Computer manipuliert.

· Grzimeks größtes Vermächtnis: Noch immer gipfelt jede Naturdokumentation in einem Aufruf zum Umweltschutz.

· Seit sich die Zuschauer an Afrikas Wildnis sattgesehen haben, sind heimische Tiere im Trend.

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Vinzenz Hediger SCHNELL NOCH EINEN FILM VOR DEM AUSSTERBEN Die zeitliche Konfiguration von Evidenz in Tierfilmen In: Rolf Nohr: Evidenz – das sieht man doch. Münster, LIT Verlag, Münster 2004, S. 162–183

Gabriele Teutloff STERNSTUNDEN DES TIERFILMS Tecklenborg, Steinfurt 2000, € 24,50

James Gray ABENTEUER IN DER WILDNIS Von der aufregenden Arbeit eines Tierfilmers National Geographic Taschenbuch Hamburg 2003, € 11,–

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