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Wie wir trotz Geräusch-Inferno verstehen

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Wie wir trotz Geräusch-Inferno verstehen
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Es erfordert zwar mehr Konzentration - aber ein Gespräch ist auch bei Lärm möglich. (Foto: monkeybusinessimages/iStock)
Man nennt es den Cocktailparty-Effekt: Gequassel und Getöse von allen Seiten und dennoch können wir noch einem bestimmten Gesprächspartner folgen. Neurologen haben nun neue Einblicke darin gewonnen, wie wir diese Herausforderung meistern. Raffinierte Datenverarbeitung im Hörzentrum des Gehirns schneidet demnach durch das verwirrende Geräusch-Inferno.

Man muss sich die enorme Leistung erst einmal bewusst machen: In einer Umgebung mit verschiedenen Schallquellen erreicht ein konfuses Gemisch aus Störschall und dem eigentlich Wichtigen unsere Ohren. Dadurch werden die sprachlichen Lautfolgen eines Sprechers, dem wir folgen wollen, gleichsam zerfetzt: Einzelne Laute werden vom Störschall maskiert und unkenntlich gemacht. Obwohl wir uns zwar konzentrieren müssen und es mitunter zu Missverständnissen kommt, kann der Mensch erstaunlich gut mit diesem Problem zurecht kommen – ein Gespräch vor einer Geräuschkulisse ist möglich. Doch wie genau schafft das unser Hörsystem? Dieser Frage sind nun gleich zwei Forschergruppen aus den USA nachgegangen.

Analoges „Löcher-Flicken“ beim Cocktailparty-Effekt

Die Forscher um Edward Chang von der University of California in Berkeley haben für ihre Studie eine Reihe von Wörtern benutzt, die sich nur in einem Laut unterscheiden – beispielsweise „faster“ und „factor“. Wenn sie den jeweils kritischen Laut durch ein undefinierbares Geräusch maskierten und Probanden das manipulierte „Wort“ vorspielten, verstanden diese entweder den einen oder den anderen Begriff. Um zu erfassen, was dabei im Gehirn passiert, zeichneten die Forscher bei den Tests die Gehirnaktivität der Studienteilnehmer mittels Elektroenzephalografie (EEG) auf.

Es zeigte sich: Die neuronale Aktivität im Hörzentrum beim Hören des verstümmelten Wortes entsprach exakt derjenigen, die durch das korrekte Wort hervorgerufen worden wäre, das die Probanden zu erkennen glaubten. Beispiel: Der Klang von „fa***ter“ erzeugte ein neuronales Muster, das der Wahrnehmung von „faster“ entsprach, wenn ein Studienteilnehmer dies zu hören glaubte. Die Forscher schließen daraus, dass das Hörzentrum die „fehlenden Daten“ analog beim Hören auffüllt. Mit welchem Ersatzstück dabei gearbeitet wird, scheint wiederum von Voreinstellungen geprägt zu sein, die in höheren Hirnregionen verankert sind, berichten Chang und seine Kollegen.

Das Forscherteam um Christopher Holdgraf von der University of California in San Francisco hat eine weitere Möglichkeit genutzt, um den Hintergründen des Cocktailparty-Effekts nachzugehen: Bei ihren Freiwilligen handelte es sich um Epilepsie-Patienten, denen im Rahmen ihrer Behandlung Elektroden direkt ins Gehirn eingepflanzt worden waren. So ließ sich die Hirnaktivität in ihrem Hörzentrum besonders genau untersuchen. Ihnen spielten die Forscher im Rahmen ihrer Untersuchungen spezielle Testsätze vor. Einige waren klar verständlich, andere hingegen mit Lärm aufgezeichnet, so dass sie zunächst völlig unverständlich schienen. Diese Sätze nahm das Gehirn der Probanden auch tatsächlich wie Lärm wahr, wie aus der neuronalen Aktivität hervorging.

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Raffinierte Datenverarbeitung im Hörzentrum

Doch dies ließ sich interessanterweise ändern, wenn den Probanden zuvor der entsprechend klar hörbare Ursprungssatz vorgespielt worden war. Dies änderte, wie die Höreindrücke verarbeitet wurden – das Gehirn nutzte offenbar diese Anhaltspunkte, um das Sprachsignal aufzubereiten. Dadurch wurde das zuvor undefinierbare Rauschen als Sprachsignal gut identifizierbar.

Den Forschern zufolge dokumentieren diese neuen Ergebnisse, dass das menschliche Hörzentrum seine Reaktionen erstaunlich schnell an Erfahrungen anpassen kann. Dies bildet offenbar die Grundlage für unsere Fähigkeit, auch noch in einem Geräusch-Inferno einen Unterhaltung führen zu können. Besonders an Sylvester werden davon vermutlich wieder viele Menschen profitieren können.

Originalarbeiten der Forscher:

© wissenschaft.de – Martin Vieweg
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