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Wieder Hummer vor Helgoland

Erde|Umwelt

Wieder Hummer vor Helgoland
Biologen erobern die alte Heimat der Riesenkrebse zurück: die in Deutschland einzigartige Felslandschaft vor der Küste Helgolands.

Den großen Plastikwannen in der Hummerzuchtstation der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH) sollte man sich vorsichtig nähern und in keinem Fall einen Finger hineinstecken. Er wäre wahrscheinlich verloren. Mit erhobenen Scheren greifen die Hummer bei jeder Störung an und schlagen dabei mit Wucht laut gegen den Deckel ihrer Wannen. In manchen sitzen Jahrzehnte alte und bis einen halben Meter lange Exemplare der blaugrauen Krebse. Ein Forscherteam um den Meeresbiologen Friedrich Buchholz will sie jetzt in ihrer alten Heimat Helgoland wiederansiedeln. Nach vielen Fehlschlägen zeichnen sich jetzt erste Erfolge ab.

1937 war das Traumjahr der Helgoländer Fischer. 87 000 Hummer gingen ihnen in dieser Saison in die Fangkörbe. Doch während die Fischer ihren Rekord feierten, liefen bereits Baumaßnahmen, die viele Gebiete dieses reichen Biotops zerstören sollten. Die Nationalsozialisten brauchten den roten Felsen für ihre Großmachtpläne. Für den Hummer war es der Anfang des Niedergangs. Zur Zeit fangen die Fischer etwa 200 Tiere jährlich, jetzt allerdings unter strengen Auflagen und in Zusammenarbeit mit dem BAH, das ans Alfred-Wegener-Institut für Polar und Meeresforschung (AWI) angeschlossen ist.

Helgoland ist in mehrfacher Beziehung für Deutschland einzigartig. Es ist nicht nur die einzige Insel der Bundesrepublik auf offener See, sondern auch ihr einziger Unterwasserlebensraum aus Fels. Sie ist eine Insel im doppelten Sinne: für Menschen, Vögel und Pflanzen ein Stück Festland im Meer und für viele Unterwasserorganismen eine lebenswerte Felsoase inmitten einer „Sandwüste”. Die Folge: Helgoland hat trotz aller Zerstörungen die reichste und abwechslungsreichste Meeresfauna Deutschlands. Wie ungewöhnlich und – im Gegensatz zur ansonsten meist ockergrauen Tierwelt der Nordsee – fast tropisch bunt die Felstiere sind, zeigen die Fotografien des BAH-Cheftauchers Udo Schilling auf den folgenden Seiten. Die sichtbare Insel ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Unter Wasser zieht sich die Felslandschaft noch weit in die Nordsee hinaus, vor allem nach Nordwesten. Sie umfasst etwa das Dreißigfache der Inselfläche. Bei Ebbe kann man einen kleinen Teil, das so genannte Felswatt, sehen.

Viele der um die Insel lebenden Tiere können nur dort überleben, zum Beispiel die Hummer. Felshöhlen sind die Lieblingsorte der Krebse. Nur nachts wagen sie sich daraus hervor, um zu jagen oder nach Aas zu suchen. Für die Fortpflanzung sind diese Steinbehausungen absolut notwendig, denn ohne Eigenheim gibt es keinen Sex. Ein Hummermännchen muss eine sichere Bruthöhle vorweisen können, um ein Weibchen für die Paarung zu gewinnen. Die weiblichen Krebse brauchen den Unterschlupf nicht nur für die Jungen, sondern auch für ihren eigenen Schutz, da sie für ihre Hochzeitsnacht den ungewöhnlichsten Striptease des Tierreichs aufführen: Sie schlüpfen aus ihrer Panzerung heraus. Derart nackt wären sie jedem Feind hilflos ausgeliefert. Darum bleiben sie auch nach der Paarung noch einige Tage in der Höhle, bis ihre Außenhaut zu einem neuen Panzer ausgehärtet ist. Das Sperma nehmen sie in einer speziellen Körpertasche mit, um die Eier später damit zu befruchten und sie dann an ihre Hinterbeine zu kleben. Hier bleiben sie, bis die Larven im nächsten Sommer schlüpfen.

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Der für die Hummer lebensnotwendige massive Felsuntergrund und die Lage mitten in der Deutschen Bucht lockte die Nazis zur Nordsee. Ihr Plan: Helgoland sollte zur Festung ausgebaut, und auf dem Steinsockel sollte ein gigantischer Militär- und U-Boothafen entstehen, der die gesamte deutsche Kriegsflotte aufnehmen sollte. Der Projektname war „Hummerschere”. Die Militäringenieure ließen von Helgoland und von der kleineren Insel Düne aus je eine große Molenmauer auf dem Fels nach Nordwesten bauen. Von der Luft aus gesehen, hätten die beiden Mauern nach ihrer Vollendung wie zwei riesige Hummerscheren ausgesehen. Sie sollten die Begrenzung des neuen Hafens werden. Um die Inseln herum und in verschiedene Hafenbereiche spülten die Ingenieure Sand, um dort Militär- und Hafenanlagen zu bauen. Zusätzlich bohrten sie riesige Bunkeranlagen in den oberirdischen Buntsandstein.

Das Projekt wurde nie zu Ende geführt. Die Molen sind inzwischen zerbrochen, und oberirdisch sieht man nur wenig von den Aufspülungen: Helgoland hat eine Landzunge dazubekommen, auf der heute die Inselkläranlage steht, und die Insel Düne ist runder geworden. Unter Wasser wurden jedoch viele Lebensräume für felsliebende Tiere – wie Hummer oder Seenelken, die Steine zum Anwachsen brauchen – vernichtet. Britische Bomber richteten weitere großflächige Zerstörungen an, als sie die Festung Helgoland zerschlagen sollten.

Den überlebenden Tieren setzte bald die Umweltverschmutzung zu. Hummer verlassen sich bei ihrer Orientierung und Kommunikation mit anderen Hummern vor allem auf die Riechorgane in ihren Fühlern – und die sind besonders empfindlich für verschiedene Erdölbestandteile, wie die Biologin Ismeni Walter aus dem Team von Buchholz herausfand. Die fatalen Folgen: Die einzelgängerischen Tiere, von denen es nur noch wenige gab, fanden weder einander zur Paarungszeit, noch konnten sie ausreichend Beute aufstöbern. Trotzdem blieben Schutzmaßnahmen zunächst aus: Die Hummerfischer holten heraus, was noch da war. Erst 1998 wurden trächtige Weibchen unter Schutz gestellt.

Obwohl die Verschmutzung der Nordsee zurückgegangen ist und auch viele Felsgebiete inzwischen durch Wellen und Strömung vom Sand befreit sind, hat sich der Hummerbestand lange Zeit nicht erholt. „Möglicherweise ist die Population so klein geworden, dass sie sich aus eigener Kraft nicht mehr erholen kann”, sagt Karl Heinz Franke vom BAH, der mit seinem Team die Veränderungen in der Nordseefauna untersucht. Auch die Nachzuchtmaßnahmen der BAH-Forscher waren lange Zeit erfolglos. Sie hatten zwar gelernt, wie man Hummer züchtet und wie und mit welchen Futter man die kleinen Krebschen ernährt, aber die ausgesetzten Tiere überlebten nicht lange.

Ein wichtiger Grund: Nachdem sich der Lebensraum verändert hatte und die Hummer dezimiert waren, breiteten sich Taschenkrebse aus. Sie sind anspruchsloser als die Hummer und kommen mit Sand wie mit Fels zurecht. Zudem starb in den letzten Jahrzehnten ihr wichtigster Feind – der Kabeljau – in der Nordsee fast aus. Die Taschenkrebse wurden zum großen Gegenspieler des Hummers. Wahrscheinlich verhinderten sie dessen Wiederausbreitung, weil sie seinen Lebensraum besetzten. Dazu kam, dass die ins Meer entlassenen Hummer zu klein waren, um in ausreichender Zahl zu überleben. „In den ersten Jahren unserer Experimente haben wir Hummerlarven ausgesetzt”, sagt Buchholz. „ Ich befürchte, wir haben damals vor allem Fischfutter produziert.”

Inzwischen haben die BAHler ihr Konzept verändert. Sie lassen die Junghummer in geschützten Gehegen so lange wachsen, bis die sich gegen ihre Feinde durchsetzen können – dazu müssen die Tiere etwa acht Zentimeter lang sein. Mit Erfolg: Inzwischen finden sich bei Kontrollfängen zehn Prozent der ausgesetzten Tiere wieder. „Man kann sogar ziemlich sicher sein, bei einem Tauchgang im Hummerrevier einen von ihnen zu sehen”, sagt BAH-Cheftaucher Udo Schilling. „Noch vor wenigen Jahren war das anders.” Trotz der ermutigenden Ergebnisse ist das langfristige Überleben der Helgoländer Hummer noch nicht gesichert. Dazu müssen sich die ausgesetzten Hummer auch fortpflanzen – und die großen Krebse werden erst mit sechs Jahren geschlechtsreif. ■

Thomas Willke

COMMUNITY Internet

Biologische Anstalt Helgoland:

www.awi-bremerhaven.de/BAH/ index.html

Alfred-Wegener-Institut für Meeres- und Polarforschung:

www.awi-bremerhaven.de

ERLEBEN

Wissenschaft Live: Das Meeresaquarium Helgoland ist Teil der Forschungsstation. Es ist ein Abbild der unterseeischen Felsenlebensgemeinschaft und wird für Versuche und Beobachtungen benutzt sowie zur Ausbildung von Meeresbiologen. Mit etwas Glück sieht man nicht nur Seehunde oder Hummer in den Becken, sondern auch Forscher bei der Arbeit.

Geöffnet ist von April bis September: Montag bis Freitag 10–17 Uhr und Samstag und Sonntag 13–16 Uhr.

Informationen im Internet unter:

www.awi-bremerhaven.de/BAH/ aquarium-d.html

Ohne Titel

· Großbauten, Umweltverschmutzung und Überfischung haben die Hummer vor Helgoland dezimiert.

· An ihrer Stelle haben sich Taschenkrebse ausgebreitet und behindern die Wiederansiedlung ihrer großen Verwandten.

Ohne Titel

Kegelrobben beäugen kritisch seine Arbeit. „Wenn ich in ihr Revier schwimme, wollen sie sofort wissen, wer der Eindringling ist. Sie beißen mir in die Flossen und beobachten dann sehr genau aus sicherer Distanz, was ich da mache”, sagt Udo Schilling. Für ihn sind Begegnungen mit großen Wildtieren wie Robben oder Walen genauso normal wie seine exotischen Einsatzorte. Er arbeitet dort, wo andere Urlaub machen. Sein Beruf: Cheftaucher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI), sein Stammsitz: die Insel Helgoland.

Der gelernte Maler (Jahrgang 1948) wurde Ende der Sechzigerjahre bei der Bundesmarine zum Berufstaucher ausgebildet und arbeitete für sie, bis er 1977 zur Biologischen Anstalt Helgoland ging. Seit 1982 ist er Chef aller Forschungstaucher auf den Schiffen und Stationen des AWI, von Koldewey auf Spitzbergen über Helgoland bis Jubani in der Antarktis.

Seine Kollegen und er müssen das ganze Jahr über ins Wasser, denn auch im Winter laufen viele Experimente, und die Wissenschaftler brauchen Daten über die Veränderungen im Meer. Die Taucher bauen dazu unter Wasser Forschungsapparaturen auf und sammeln, was Wissenschaftler an Tieren und Pflanzen benötigen. Dabei arbeiten sie nicht nur für die AWI-Forschungsteams. Von Universitäten aus aller Welt kommen Anfragen an die Taucher, ob sie ihnen bestimmte Tiere, Pflanzen oder Mikroorganismen schicken können. Kein anderer kennt sich dabei so gut aus wie Schilling. Seit fast 30 Jahren ist er rund um den roten Felsen unterwegs und hat sich dabei eine hervorragende Artenkenntnis angeeignet. Er hat die Tierwelt in zahlreichen Fotos dokumentiert, von denen wir hier die eindrucksvollsten zeigen. Im Gegensatz zu vielen anderen Hochglanzaufnahmen sind all diese Bilder nicht im Aquarium, sondern unter den schwierigen Bedingungen eines Tauchgangs in der Nordsee entstanden.

Neben den Forschungsarbeiten unter Wasser bildet Schilling mit seinem Kollegen Carsten Wanke neue Forschungstaucher aus. Denn wer in Deutschland als Forscher unter Wasser arbeiten will, muss dazu eine Ausbildung mit dem hohen Sicherheitsstandard der Berufstaucherei machen. Das gilt für Biologen in die Nordsee genauso wie für Astronauten, die im Wasserbecken für die Schwerelosigkeit trainieren.

Ein tödlicher Unfall 1968 war der Auslöser für diese strengen Regeln. Vor Helgoland waren zwei Wissenschaftler bei einem Tauchgang gestorben. Was damals geschehen ist, wurde nie vollständig geklärt, obwohl auch der Staatsanwalt ermittelte. So viel ließ sich rekonstruieren: Die beiden Forscher hatten zwar eine Sporttaucherausbildung, scheinen aber zu wenig auf ihre Sicherheit geachtet zu haben. „Sie sollten ein Unterwasserlabor abbauen”, sagt Schilling, „und haben sich dabei öfter in einer Luftblase des Labors getroffen, um sich abzusprechen. Wahrscheinlich haben sie dabei nicht ausreichend Sauerstoff aus ihren Taucherflaschen in die Blase abgelassen und sind irgendwann durch Sauerstoffmangel ohnmächtig geworden und ertrunken.”

Die starke Strömung riss die Körper mit sich. Als die Kollegen an Bord des Sicherungsbootes merkten, dass etwas nicht stimmte, war es schon zu spät. Einen der beiden Forscher konnten sie nur noch tot bergen, den anderen entdeckte man erst Wochen nach dem Unglück.

Unter Sporttauchern ist Udo Schilling ein viel beneideter Mann, denn Deutschlands einzige Unterwasserfelsenlandschaft rund um Helgoland ist streng geschützt. Tauchen darf man dort nur zu wissenschaftlichen Zwecken.

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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