Schimpansen neigen dazu, innerhalb ihrer Gruppen Rituale zu entwickeln: Sie ahmen Handlungen und Tätigkeiten ihrer Artgenossen selbst dann nach, wenn diese keinen erkennbaren Sinn ergeben. Das haben amerikanische und schottische Biologen gezeigt, indem sie zwei Schimpansengruppen verschiedene, willkürlich aneinandergereihte Handlungsabfolgen zeigten. Daraus entwickelten sich schon nach kurzer Zeit Traditionen innerhalb der Gruppen, schreiben die Forscher. Ähnlich willkürliche Rituale gibt es auch beim Menschen. So tragen Männer etwa in manchen Kulturen Hosen und in anderen Röcke, ohne dass darin ein Sinn erkennbar wäre.
Gruppeninterne Traditionen sind bei Schimpansen weit verbreitet. So lernen beispielsweise die Jungen von ihren Müttern, wie Werkzeuge gebraucht werden und wie Futter möglichst effektiv eingesammelt wird. Diese Gebräuche beziehen sich jedoch immer auf Tätigkeiten, die funktionell und zielgerichtet sind. Wenn ein Schimpanse etwa einen Stein auf eine Nussschale fallen lässt, hat er das Ziel, die Nuss zu fressen ? und dazu muss er zuerst die Nussschale knacken. Zwar gibt es auch einige Hinweise darauf, dass sich in Schimpansengruppen Rituale und Traditionen bilden, die nicht direkt zu einem Ziel führen. Nachgewiesen werden konnte eine solche Entwicklung bislang jedoch nicht.
Aus diesem Grund entwarfen die Wissenschaftler nun ein Szenario, mit dem sie die Bildung einer solchen Tradition direkt beobachten konnten. Dazu brachten sie jeweils einem hochgestellten Weibchen der beiden Gruppen bei, eine Kunststoffmarke vom Boden ihres Geheges aufzuheben, damit zu einem von zwei Containern zu gehen und die Marke in eine kleine Öffnung zu werfen. Eines der Testweibchen wurde dabei darauf trainiert, die Marken ausschließlich in einen Eimer zu werfen, während das nur einen röhrenförmigen Behälter benutzen durfte. Anschließend brachten die Forscher die trainierten Tiere wieder mit ihrer Gruppe zusammen und beobachteten das Verhalten. Jeder Schimpanse, der sich die Handlungsabfolge abschaute, bekam als Belohnung ein Stück Obst ? unabhängig davon, welchen der beiden Behälter er wählte.
Die Gruppenmitglieder entschieden sich mit einer einzigen Ausnahme ausschließlich für den Container, den auch das trainierte Weibchen benutzte. Das zeige, dass Schimpansen sehr wohl in der Lage seien, auch willkürliche Handlungen zu erlernen und sie sogar zu einer Tradition innerhalb der Gruppe zu machen, schreiben die Forscher. Dabei lernen die Tiere hauptsächlich von ranghohen Gruppenmitgliedern: Das eine Weibchen, das die Marken konsequent in den falschen Behälter steckte, hatte einen niedrigen Rang und fand keine Nachahmer in der eigenen Gruppe.
Kristin Bonnie (Yerkes-Primatenforschungszentrum Atlanta) et al.: Proceedings of the Royal Society B, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1098/rspb.2006.3733 ddp/wissenschaft.de ? Ilka Lehnen-Beyel