Herzlichen Glückwunsch! Es ist jetzt 150 Jahre her, dass die Wissenschaft Sie entdeckt hat. Sie gehören zu den beliebtesten Zierfischen. Schon Anfänger können Sie im Aquarium halten und mit Ihnen Zuchterfahrungen sammeln.
Stimmt. Mit der kleinen Einschränkung, dass es sich genau umgekehrt verhält: Wir züchten die Menschen. Erstaunlich, dass es noch niemand gemerkt hat.
Wie meinen Sie das?
Ganz einfach, wir bringen die Menschen dazu, verrückte Dinge zu tun. Zum Beispiel, sich ihre Wohnungen mit Glaskästen vollzustellen, die sie mit 20 bis 25 Grad warmem Wasser befüllen und zwölf Stunden am Tag beleuchten.
Sie machen Witze.
Keineswegs. Wir haben schon die verschiedensten Menschentypen hervorgebracht: Fächerschwanz- und Schleierschwanz-Freunde, Speerschwanz- und Rundschwanz-Liebhaber, Doppelschwert-Anhänger und Triangel-Fans. Wir sind immer wieder erstaunt, welche Vielfalt die Natur hervorbringt.
Wie bitte? Sie sind es doch, die in so vielfältigen Formen auftreten, dass wir uns daran erfreuen.
Irrtum, mein Lieber. Ihnen mag das so vorkommen. Doch einige von uns sind in der Züchtung bereits sehr erfolgreich: Die bringen ihre Menschen dazu, sie auf Ausstellungen und Wettbewerbe zu fahren. Sehr komisch! Diese Guppy-Freunde haben genaue Kriterien für die verschiedensten Merkmale aufgestellt: Farben, Muster, Körperformen, vor allem Schwanzformen. Manche dieser Menschen haben sich so weit entwickelt, dass sie ihr ganzes Leben unserer Pflege widmen. Da kann man sehen, wie Evolution funktioniert. Wunderbar!
Ich glaub, mein Guppy pfeift.
Einer unserer schönsten Zuchterfolge ist der Mann, der sich vorgenommen hat, einen absolut schwarzen Guppy hervorzubringen. Und wir tun ihm den Gefallen: Wir werden immer schwärzer. Schön langsam, natürlich.
Ach, und wir lassen uns das ohne weiteres gefallen?
Ja, das ist natürlich ein herber Schlag für Ihr Ego, schon klar. Aber es lässt sich leicht beweisen.
Da sind wir aber gespannt.
Wie Sie wissen, stammen wir aus tropischen Gewässern im Norden Südamerikas. Dort fehlt es uns an nichts. Aber irgendwann wurde uns langweilig. Und als sich die Menschen bei uns immer mehr breitmachten, beschlossen wir auszuprobieren, was man mit denen so anstellen kann. Was hätten wir sonst für einen Grund gehabt, unsere Heimatgewässer zu verlassen? Und außerdem haben wir den Kunstgriff entwickelt, unsere Jungen lebend zur Welt zu bringen, damit die Menschenkinder im Aquarium was zum Gucken haben. Aber der schlagendste Beweis ist natürlich, dass wir uns just in dem Jahr haben entdecken lassen, als Charles Darwin seine „Entstehung der Arten“ veröffentlicht hat. Glauben Sie, das war Zufall?
Hm.
Unser neuestes Zuchtziel ist übrigens der Guppy-Freund-Freilandtyp.
Freilandtyp?
Ein paar von uns versuchen seit Kurzem eine neue Art von Guppy-Freund hervorzubringen: den, der uns in der freien Natur beobachtet. Deshalb haben sie die Aquarien verlassen und leben in offenen Gewässern – was in diesem kalten Land nur dort geht, wo die Abwärme von Kraftwerken die Flüsse erwärmt. Bisher beißen die Menschen noch nicht so richtig an. Aber wir sind geduldig.
GESPRÄCH: MARTIN RASPER