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Galaktische Sterilisation

Astronomie|Physik

Galaktische Sterilisation
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Foto: Dana Berry/ NASA
Das Universum ist noch viel lebensgefährlicher, als die Astronomen bislang dachten. Eine Studie zweier renommierter Astrophysiker besagt, dass bis jetzt wohl nur zehn Prozent aller großen Galaxien eine gute Chance hatte, höheres Leben, wie wir es kennen, auch nur für eine Weile zu beherbergen. Und selbst in unserer relativ lebensfreundlichen Milchstraße kommt es in den inneren 30.000 Lichtjahren zu tödlichen Strahlenschauern.

Dieses wirklich katastrophale Ergebnis beantwortet auch die 1950 von dem ­Physiknobelpreisträger Enrico Fermi aufgeworfene und seither kontrovers diskutierte Frage, warum bislang keine ­Anzeichen außerirdischer Zivilisationen ­entdeckt wurden. Gemäß plausibler astronomischer Annahmen müssten extraterrestrische Intelligenzen längst die ganze Milch­straße kolonisiert haben. Doch davon fehlt jede Spur. Dieser Widerspruch – das „Fermi-Paradoxon“ – besteht nicht mehr, falls heftige Sternexplosionen höheren Lebensformen immer wieder den Garaus gemacht und die Galaxien über Jahrmilliarden „sterilisiert“ hätten.

So viel Energie wie die Sonne

Kosmische Gammastrahlenausbrüche – kurz: GRBs oder Gammablitze – ereignen sich fast jeden Tag irgendwo am Himmel. Erstmals wurden sie 1967 mit Satelliten gemessen. Inzwischen lassen sie sich mit dem 2004 gestarteten Weltraumteleskop Swift sehr effektiv aufspüren – wenn auch keineswegs vollständig. Swift hat mittlerweile rund 950 Ereignisse entdeckt. Die stärksten Gammablitze setzen so viel Energie frei wie die Sonne während ihres ganzen Daseins.

Ursache für die zwei Sekunden bis mehrere Minuten dauernden Ausbrüche ist jeweils eine Hypernova: eine vehemente Explosion eines massereichen Sterns, in dessen Hülle es nur sehr wenige Elemente schwerer als Wasserstoff und Helium gibt. Aufgrund von komplexen Prozessen in extrem starken Magnetfeldern entweichen hochenergetische Partikelstrahlen in der Nähe des kollabierenden Sternkerns, falls dieser rasch rotiert. Diese Jets bohren sich förmlich durch die nachstürzenden Materieschichten und erhitzen sie dabei so stark, dass Gammastrahlung entsteht. Bei Explosionen massereicher Sterne mit mehr schwereren Elementen kommt es nur zu einer Supernova ohne solche gebündelten Jets.

Die Erde ist besonders in Gefahr

Nun haben Tsvi Piran von der Hebrä­i­schen Universität Jerusalem und Raul ­Jimenez von der Harvard-Universität die Wahrscheinlichkeit für tödliche Strahlen aus dem All berechnet. Am meisten gefährdet ist demnach die Atmosphäre von Planeten wie der Erde. Ein Gammablitz mit einer Energie von etwa 100 Kilojoule pro Sekunde würde die Ozonschicht für mindestens einen Monat um 90 Prozent schwächen. (Bei 1000 Kilojoule pro Sekunde würde ein Großteil der Atmosphäre ins All gefegt.) In der Folge gelangen viel mehr schädliche Ultraviolettstrahlen von der Sonne zur Oberfläche des Planeten – mit verheerenden Folgen für mögliches Leben dort.

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Zu einer solchen letalen Dosis aus einigen 100 oder 1000 Lichtjahren Distanz kam es im Sonnensystem in den letzten fünf Milliarden Jahren seit seiner Existenz mit über 90 Prozent Wahrscheinlichkeit, meinen die Forscher. Und in den letzten 500 Millionen Jahren, seit komplexes viel­zelliges Leben auf der Erde existiert, betrug die Wahrscheinlichkeit immer noch 50 Prozent. Möglicherweise geht also mindestens eines der 18 bekannten Massenaussterben – davon 5 große mit einem Artensterben von 50 bis über 80 Prozent – auf einen Gammablitz zurück, vermuten Piran und Jimenez. Ein solches Ereignis könnte zum Beispiel die Katastrophe im späten Ordovizium vor 450 Millionen Jahren erklären, die bislang völlig rätselhaft ist.

Nur weit entfernte Gebiete bleiben verschont

Die Astrophysiker berechneten außerdem die Wahrscheinlichkeit eines tödlichen Gammablitzes mit 100 Kilojoule pro Quadratmeter in der letzten Jahrmilliarde in den verschiedenen Regionen der Milchstraße. Im inneren Bereich, bei einem Abstand von bis zu 6000 Lichtjahren vom Galaktischen Zentrum, wo sich ein Viertel aller Sterne der Galaxis befinden, betrug sie mehr als 95 Prozent. Selbst im Abstand unserer Sonne – also rund 25.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt – ist die Trefferwahrscheinlichkeit noch 60 Prozent. Nur Gebiete mit über 35.000 Lichtjahren Abstand bleiben von den Todesblitzen weitgehend verschont.

Bereits 1995 hatte der Astrophysiker Stephen E. Thorsett, der heute an der ­Willamette-Universität in Salem, Oregon, forscht, über den vielleicht tödlichen Einfluss kosmischer Gammablitze auf das irdische Leben spekuliert. Und 1999 hatte James Annis, ein Physiker am Fermi National Laboratory in Batavia, Illinois, diese Hypothese als mögliche Lösung des ­Fermi-Paradoxons vorgeschlagen.

Doch 2006 gab ein internationales ­Astrophysiker-Team um Krzysztof Stanek von der Staatlichen Universität Ohio Entwarnung: Die Milchstraße und vergleichbare Galaxien haben der Studie zufolge längst keine Sterne mehr, die sich zu letalen Hypernovae entwickeln könnten. Allerdings basierte die Abschätzung von Stanek und seinen Kollegen auf einer sehr kleinen Datenbasis. In den letzten Jahren sind viel mehr und viel genauere Messungen dazu gekommen, die Piran und Jimenez nun ausgewertet haben, um daraus ein detailliertes Modell zu entwickeln.

Sicherheit gibt es kaum

Am sichersten sind Gebiete mit geringer Materiedichte an den Rändern des kosmischen Netzes aus Galaxiensuperhaufen – insbesondere die Außenbezirke großer Galaxien, wo der Anteil von Elementen schwerer als Helium mehr als ein Drittel des solaren Werts beträgt. Der Durchmesser solcher Galaxien muss 12.000 Lichtjahre übertreffen, und ihre Masse muss größer sein als die von zehn Milliarden Sonnen. Diese Sicherheitskriterien erfüllen nur zehn Prozent aller Galaxien heute.

Früher, so die Modellrechnungen, waren lebensfreundliche Galaxien noch dünner gesät. Denn es gab weniger schwere Elemente in den Sternen und somit häufiger Gammablitze. Außerdem waren die Galaxien kleiner und dichter benachbart. Erdähnliches höheres Leben hatte kaum eine Chance, bevor das Universum nicht mindestens acht Milliarden Jahre alt war, schätzen Piran und Jimenez. Vorausge­setzt natürlich, das Leben war damals nicht wesentlich strahlungsresistenter, als es das heute auf der Erde ist.

„Höhere Lebensformen, wie wir sie auf der Erde kennen, scheinen ein recht junges Phänomen in der Geschichte des Universums zu sein, bedingt durch das Wachsen großer Galaxien“, schreiben die beiden Astrophysiker. „Natürlich wissen wir nicht, ob die Vernichtung eines Großteils der Lebewesen auf einem Planeten gut oder schlecht für die langfristige Evolution höherer Lebensformen dort ist“, schränken sie ein. Fest steht: Würde ein Gamma­blitz heute die Erde treffen, wäre das eine globale Katastrophe – und möglicherweise sogar der Untergang der Menschheit.

© wissenschaft.de – Rüdiger Vaas
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