Der Ort war nicht zufällig gewählt. Am 3. Oktober 1901 traf sich der Verband Fortschrittlicher Frauenvereine (VFF) zu seiner ersten Generalversammlung im Reichstagsgebäude in Berlin. Die Frauenorganisation galt als „radikal“. Denn die Pionierinnen der Bewegung wie Anita Augspurg, Minna Cauer oder Lida Gustava Heymann lehnten eine natürliche Bestimmung der Geschlechter und daraus abgeleitete Rechtsvorstellungen grundsätzlich ab. Als einziger Frauenverband forderte der VFF daher uneingeschränkte politische Rechte für Frauen. „Die Frau gehört nicht mehr ins Haus, sie gehört in dieses Haus: den Reichstag“, so Minna Cauer. Weiterhin forderten die „Radikalen“ die Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterinnen und die Einführung der gymnasialen Mädchenbildung.
Mit dem Treffen positionierte sich der 1899 gegründete VFF nochmals deutlich gegenüber dem „gemäßigten“ Bund Deutscher Frauenvereine (BDF), dem Dachverband der deutschen Frauenvereine. Dem VFF ging es dabei jedoch nicht um eine Spaltung der Frauenbewegung, sondern vielmehr darum, die eigenen Themen nach außen sichtbarer zu machen, auch in den BDF hinein. Und der Verband hatte damit Erfolg: Viele seiner Themen wurden bald auch vom BDF aufgegriffen, so dass es kaum noch Unterschiede zwischen den „Gemäßigten“ und den „Radikalen“ gab. Der VFF beendete daher seine Auseinandersetzung mit dem BDF und trat ihm 1907 bei.