Es war eine fremdartige Zeremonie, die sich im Februar 1098 im kleinasiatischen Edessa (heute Urfa in der Türkei) abspielte: Der Kreuzritter Balduin von Boulogne, Graf von Verdun, und der armenische Fürst Thoros von Edessa entblößten beide ihre Oberkörper und stiegen gemeinsam in ein übergroßes Obergewand, ehe sie im Anschluss ihre Körper aneinanderrieben. Sodann wiederholte Balduin den Vorgang mit Thoros’ Gemahlin. Balduin hatte sich nicht wie die meisten christlichen Kreuzfahrer an der Belagerung der Stadt Antiochia beteiligt. Stattdessen wollte er die Adoption durch Thoros und seine Einsetzung als Mitregent erreichen. Dies wurde mit dem geschilderten Ritual vollzogen.
Die Adoption eröffnete dem mittellosen Grafen die Aussicht auf Ländereien und einen Herrschaftsanspruch über Edessa. Der Erbfall trat schon einen Monat später ein: Am 9. März 1098 wurde Thoros ermordet. Hatte Balduin seine Hand im Spiel? Jedenfalls wurde der Franzose nur einen Tag später zum Grafen von Edessa ausgerufen. Die strategisch wichtige Grafschaft auf der Route zwischen Anatolien und Mesopotamien fiel damit in die Hand der Kreuzritter und wurde zum ersten Kreuzfahrerstaat, der allerdings 1144 wieder verlorenging. Balduin herrschte nur zwei Jahre über Edessa, das er mit eiserner Hand nach abendländischem Vorbild reformierte, dann überließ er es seinem Vetter und wurde König von Jerusalem.