Man stelle sich ein dreidimensionales Gitterwerk aus langen verzweigten Ketten vor, die aus Hunderten von einzelnen Molekülen bestehen. Diese komplexe molekulare Struktur ist die des Naturkautschuks. Der Rohstoff wurde bis zur Jahrhundertwende fast ausschließlich aus Brasilien bezogen. Mit zunehmender Industrialisierung und Motorisierung schnellten Nachfrage und Preis des Naturprodukts in die Höhe: Von Autoreifen über Maschinenteile bis hin zu Alltagsgegenständen wie Kleidung und Regen-schirmen – Kautschuk war vielfältig einsetzbar. Derjenige, dem es als Erstem gelang, diesen Rohstoff synthetisch herzustellen, konnte sich eines Marktvorteils sicher sein.
Um diesen Wettbewerb für sich zu entscheiden, hatte die Direktion der Farbenfabrik Bayer 1906 gar einen Preis von 20000 Mark ausgeschrieben. Der Betriebschemiker Fritz Hofmann nahm diese Herausforderung an und hatte Erfolg: Am 12. September 1909 wurde das erste Patent zur Herstellung von künstlichem Kautschuk vergeben; 1910 begann die Produktion von ersten Autoreifen aus synthetischem Gummi. Der Firmenchef Carl Duisberg konnte 1912 stolz verkünden, dass selbst der Deutsche Kaiser zu seinen zufriedenen Kunden zählte. Der Erfolg währte jedoch nicht lange. In Qualität und Preis konnte der künstliche Kautschuk nicht mit dem Naturprodukt konkurrieren, so dass die Produktion der Reifen 1912 eingestellt werden musste. Erst in den 30er Jahren wurde die Entwicklung mit dem sogenannten Buna-Reifen erfolgreich fortgesetzt.