Das Deutsche Reich im Jahr 1929: Millionen haben in der Weltwirtschaftskrise ihre Arbeit verloren, dar-unter auch das junge Paar Hete und Paul. Die 20-jährige Hete ist verzweifelt, sie erwartet ein Kind von Paul. Obwohl sie das Kind gern bekommen würde, entschließt sie sich unter den prekären wirtschaftlichen Umständen zu einem Schwangerschaftsabbruch. Der Arzt, dem sie sich anvertraut, klärt sie auf, dass nach Paragraph 218 des Strafgesetzbuchs auf Abtreibung eine Gefängnisstrafe für Arzt und Schwangere steht. In ihrer Verzweiflung greift Hete zur Selbsthilfe, mit fatalen Folgen. Sie stirbt an den Folgen einer Cyankali-Vergiftung.
Das ist die fiktive Handlung des Stücks „Cyankali“ von Friedrich Wolf, das am 6. September 1929 im Berliner Lessing-Theater uraufgeführt wurde. Selbst praktizierender Arzt, hatte Wolf einen Nerv der Zeit getroffen. Bis das Stück von den Nationalsozialisten 1933 verboten wurde, elektrisierte es in Berlin und anderen großen deutschen Städten das Publikum. Das Buch wurde zum Bestseller, die spätere Verfilmung zum Publikumsmagneten. Wolf lieferte den Zündstoff für eine öffentliche Protestbewegung, die sich für die Streichung oder Reform des Paragraphen 218 einsetzte. Die Empörung war groß, da vor allem arme Frauen verurteilt wurden, die aus sozialer Not abgetrieben hatten. Als Wolf wegen angeblicher „gewerbsmäßiger Abtreibungen“ im Februar 1931 verhaftet wurde, erreichten seine Anhänger zwar seine Freilassung, zu einer Reform des Paragraphen kam es jedoch nicht.