Er galt als designierter Nachfolger von Bundeskanzler Willy Brandt: der Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller. Der Professor für Volkswirtschaftslehre, der wesentlichen Anteil am Wahlsieg der SPD im Jahr 1969 gehabt hatte, entwickelte sich bereits in der Großen Koalition zum politischen Superstar. Die Öffentlichkeit feierte seine „Globalsteuerung“ der Wirtschaft und eine auf wissenschaftlichen Grundlagen basierende politische Entscheidungsfindung. Doch in der Partei und in der SPD-Bundestagsfraktion fand der Außenseiter kaum Rückhalt, einige bittere Niederlagen waren die Folge.
Zudem konnten seine wissenschaftlichen Prognosen und Modelle die an sie geknüpften Versprechen nicht einlösen. Die Mitübernahme des Finanzressorts 1971 erleichterte seine Arbeit als Wirtschaftsminister nicht unbedingt: Schiller überschritt zeitweise als „Superminister“ die Grenze seiner Belastbarkeit. Als im Kabinett schließlich eine eher unwichtige Vorlage zur Devisenkontrolle eingebracht wurde, gegen die er sich erfolglos zur Wehr setzte, war für ihn das Maß voll. Am 2. Juli 1972 bat er in einem Schreiben voller Verbitterung den Bundeskanzler und Freund Willy Brandt um seinen Rücktritt. Schiller hatte schon zuvor Rücktrittsgesuche vorgelegt, doch dieses Mal entsprach Brandt dem Wunsch, wohl auch, um die Fraktion vor den vorgezogenen Neuwahlen zu befrieden. Zum Nachfolger bestimmte Brandt ausgerechnet Schillers größten politischen Gegner – Helmut Schmidt.