Die Römer glaubten an göttliches Wirken in allen Aspekten des menschlichen Lebens, aber sie waren Pragmatiker, auch in religiösen Fragen. Wenn sie Feinde nicht besiegen konnten, dann lag das daran, dass die feindlichen Götter stärker waren als ihre eigenen. Die Lösung: Man ködert die Götter mit Versprechen, bis sie die Seite wechseln. Eines der prominentesten Beispiele war Roms Kampf gegen die größte Konkurrentin der Frühzeit: Veji. Die etruskische Stadt, eine der stärksten in Zentralitalien, lag keine 20 Kilometer nördlich von Rom und kontrollierte die Handelsstraße, an der auch die Stadt am Tiber lag.
Über Generationen trugen die Orte erbitterte Kämpfe aus, bis die Römer Furius Camillus zum Diktator ernannten und dieser mit einem Heer gegen die Etrusker zog. Doch es gelang ihm nicht, die Stadt einzunehmen. Die römische Überlieferung stilisierte diesen Kampf zu einer jahrelangen Belagerung, die an Troja erinnerte. Camillus erkannte, dass sein Heer nicht gegen die Stadtpatronin Vejis, Juno Regina, ankam. Also führte er das Ritual der sogenannten Evocatio durch. Dieses „Heraus-rufen“ bestand in einem klaren Deal: Wenn Juno Veji nicht mehr schützte, würden die Römer sie zu sich holen und ihr einen viel prächtigeren Tempel zu ihrer Verehrung errichten. Offenbar ließ sich Juno Regina bestechen: Die Römer nahmen 396 v. Chr. Veji ein und überführten Junos Kultbild nach Rom, wo sie als „ausländische“ Gottheit außerhalb der Stadtmauern in einem Prachttempel ihre neue Heimat fand.