Die nicht enden wollenden Katastrophen des 14. Jahrhunderts – Erdbeben, Überschwemmungen, Hungersnöte – hatten die Menschen religiös stark verunsichert. Als im Jahr 1348 Europa schließlich von der Pest überrannt wurde, sahen viele in der öffentlichen Selbstgeißelung die einzige Möglichkeit, sich von ihren Sünden zu reinigen und von Gottes Strafgericht verschont zu bleiben. Flagellanten (von flagellum, Peitsche) hatte es bereits im 13. Jahrhundert gegeben, doch der „Schwarze Tod“ führte zu einer Massenbewegung. Dreiunddreißigeinhalb Tage dauerte ein Geißlerzug, der die Büßenden von Ort zu Ort führte. Unter großer Anteilnahme und nach einem strengen, litur-gieähnlichen Ritus entkleideten sich die Geißler und züchtigten sich selbst mit einer Peitsche, an deren Riemen am Ende spitze Metallstücke eingeflochten waren.
Insbesondere das Singen volkssprachiger Hymnen sowie Laienpredigten und -beichten brachten den Flagellanten schnell kirchliche Kritik ein. Die Selbstgeißelung sollte keinen sakramentalen Charakter erhalten und die beteiligten Laien sich keine priester‧lichen Privilegien anmaßen. So verbot Papst Clemens VI. am 20. Oktober 1349 in der Bulle „Inter sollicitudines“ die Geißlerbewegung, auch deswegen, weil der Pontifex sie für die Juden‧pogrome verantwortlich machte. Tatsächlich entlud sich die Pestangst in Attacken gegen die Juden, die als „Brunnenvergifter“ die Urheber der Seuche sein sollten. In den Städten nördlich der Alpen wurde das Verbot der Flagellanten schnell und ziemlich rigoros durchgesetzt.