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Das Tier im Menschen

Allgemein

Das Tier im Menschen
Sex bewegt die Welt. Aber warum nur? Zahlreiche Bücher zum Thema liefern die unterschiedlichsten Erklärungen. Nur in einem Punkt sind sich die meisten Autoren einig: Beim Sex ist der Mensch ein ganz besonderes Tier.

Was hält wohl Ihr Hund von Ihrem Sexualleben? „Diese widerlichen Menschen … haben sogar Lust, wenn sie genau wissen, daß kein Kind entsteht. Ob die Frau schwanger ist oder schon jenseits der Wechseljahre, all das ist ihnen gleichgültig. Und das Sonderbarste von allem: Sie machen die Schlafzimmertür zu und treiben es im geheimen, nicht vor ihren Freunden wie ein anständiger Hund!“ Mit diesem Blick à la Gary Larsson beginnt der amerikanische Physiologie-Professor Jared Diamond sein Buch Warum macht Sex Spaß? Darin wird unterhaltsam deutlich: So merkwürdig uns Menschen das sexuelle Gebaren vieler Tiere vorkommt – merkwürdig sind nicht sie, sondern wir. So sind wir die einzige sozial lebende Art, die ihr Sexualleben vor ihren Artgenossen verheimlicht – obwohl gerade wir vor allem aus Lust miteinander schlafen. Außer uns trennen nur wenige Säugetierarten – zum Beispiel Delphine und unsere nächsten Verwandten, die sexwütigen Bonobos – Sex und Fortpflanzung klar voneinander. Warum sind wir so anders? „Für die Entwicklung unserer sonderbaren Sexualität war die Ausbildung der typisch menschlichen Fähigkeiten wie Sprache, Kunst oder Kultur genauso wichtig wie die Entwicklung des Großhirns und des aufrechten Gangs“, antwortet Diamond. Er verarbeitet in seinem Buch die neuen Erkenntnisse der Soziobiologie, berücksichtigt aber auch die Besonderheiten der menschlichen Zivilisation.

Anders der Wissenschaftsjournalist Michael Miersch: Er empfindet die Tiere und nicht sich selbst als sonderbar. Zahlreiche hübsche Details über Das bizarre Sexualleben der Tiere hat er in Form eines „populären Lexikons von Aal bis Zebra“ zusammengetragen. Darin erzählt er zum Beispiel von den Beutelmäusen, die sich derart heftig paaran, daß die Männchen schon in der ersten Brunft sterben. Und von den Kamelen, die ihre Weibchen so lange treten, bis diese Urin lassen. An dessen Geschmack und Geruch prüfen sie dann, ob die Weibchen zu Sex bereit sind. Neben solchen merkwürdigen Sex-Praktiken schildert Miersch aufwendige Balzrituale und skurrile Genitalien, so daß sein Buch insgesamt eine Raritätensammlung darstellt. Sehr viel ruhiger geht es im Buch von Heinrich Zankl zu. Der Professor für Humangenetik und Humanbiologie an der Universität Kaiserslautern erklärt in Phänomen Sexualität vor allem die biologischen Grundlagen der Sexualität und trägt damit dem Zeitgeist Rechnung: „Sexualität wird immer wichtiger“, schreibt Zankl. Während dieser Begriff in der Brockhaus-Enzyklopädie von 1903 noch gar nicht vorkam, waren ihm in der Ausgabe von 1973 ganze 22 Zeilen gewidmet, und die von 1993 erklärt das Wort immerhin über 350 Zeilen. Neben einer körperlichen und einer genetischen Ebene dieses Phänomens gibt es auch eine psychische und soziale, meint Zankl. In seinem Buch kommen diese letzten beiden allerdings kaum vor. Der Humanbiologe liefert dafür detailliert – wenn auch etwas verkrampft – die biologischen Grundlagen von asexueller Fortpflanzung, Jungfernzeugung und Zwittern und beschreibt, weshalb sich getrennte Geschlechter entwickelt haben und welche Gene auf den Geschlechtschromosomen zu finden sind. Eingehend beschäftigt sich Zankl mit dem, „was uns (sexuell) antreibt“, nämlich den Hormonen. Auch Wolfgang Wickler und Uta Seibt wollen in ihrem Buch Männlich – Weiblich erklären, wie es evolutionsbiologisch zu den beiden Geschlechtern kam. Sex ist nach ihrer Ansicht „Reparatur-Sex“, bei dem es lediglich darauf ankommt, das genetische Repertoire im Kampf gegen Mikroben zu verändern. Bei ihrer Begeisterung für das Tier im Menschen vergessen die beiden Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen, daß unser Erbgut uns vielleicht zu einem Tier, unsere Kultur jedoch zu einem ganz besonderen Tier macht.

Der französische Journalist Jean-Claude Guillebaud tut gerade das Gegenteil. In seinem neuen Buch betrachtet er das Phänomen Sexualität ausschließlich historisch und soziologisch. Dabei konzentriert er sich vor allem auf die nur vermeintliche „sexuelle Befreiung“ dieses Jahrhunderts, die letztlich Die Tyrannei der Lust mit sich gebracht hat – eine völlige Sexualisierung der Gesellschaft, in der die Maximierung des Lustgewinns schon beinahe die Lust am Geld abgelöst hat. „In Ermangelung jeglicher symbolischer Bedeutung verkommt der Sex zur reinen Muskelfunktion, und nebenbei ist dieser Sport eher ein einsames als ein gemeinsames Vergnügen“, bemängelt der Autor. Mit seiner kritischen Analyse des menschlichen Verhaltens ragt Guillebauds Buch aus den zahlreichen neu erschienenen Sexbüchern heraus. Indem er beschreibt, wie stark sich die menschliche Sexualität im Wandel der Zeit und unter dem Einfluß verschiedener Regimes und Religionen verändert hat, weist er vor allem auf eines hin: Das Tier im Menschen ist dressiert, es gehorcht äußeren Gesetzen sehr viel mehr als einem – sicherlich auch vorhandenen – biologischen Drang.

Sexualität

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Jared Diamond Warum macht Sex Spaß? Bertelsmann 1998, DM 36,90

Michael Miersch Das bizarre Sexualleben der Tiere Eichborn 1999, DM 44,-

Heinrich Zankl Phänomen Sexualität Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1999, DM 68,-

Wolfgang Wickler, Uta Seibt Männlich – Weiblich Spektrum Akademischer Verlag 1998, DM 39,80

Jean-Claude Guillebaud Die Tyrannei der Lust Luchterhand 1999 DM 49,80

Christina Berndt

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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