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Delfinarien in Deutschland schließen

Kommentar

Delfinarien in Deutschland schließen
Fotolia_3420934_Matthias_Kruettgen
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Ist die Delfinhaltung in Zoos artgerecht? Dazu tagt zurzeit ein Naturschutzausschuss im nordrhein-westfälischen Landtag. In einer Anhörung kamen jetzt Wissenschaftler zu dem Schluss: ja, alles artgerecht. Einhellig waren die Meinungen der Experten allerdings nicht. Einer von ihnen: Nicolas Entrup von OceanCare. Er sagt, Delfinarien sollten abgeschafft werden. Ein Kommentar

Als wichtiges Argument führen die Befürworter von Delfinarien ins Feld, dass die jährliche Überlebensrate bei Großen Tümmlern in Gefangenschaft heutzutage der Überlebensrate in freier Wildbahn gleichkäme. Das bestätigen auch die letzten Veröffentlichungen dazu. Doch die sind mit Vorsicht zu genießen. Sie liegen nicht nur anderthalb Jahrzehnte zurück, sondern die Ergebnisse sind auch mangelhaft. Die für die Berechnung genutzten Datensätze stammen vom US Marine Mammal Inventory. Deren Daten sind unvollständig, da über das weitere Schicksal der Tiere, die aus den USA exportiert wurden, kaum berichtet wurde. Für Delfine in europäischen Anlagen gibt es überhaupt keine vergleichbaren und öffentlich zugänglichen Daten.

Außerdem muss die regionale Entwicklung der Delfinhaltung einbezogen werden. In Europa boomten Delfinarien in den 70er und 80er Jahren. Das führte zur Entnahme Hunderter Delfine aus der freien Wildbahn. Dies wiederum resultierte in einer extrem hohen Sterblichkeitsrate. Übrig blieben nur jene Tiere, die diesen Prozess überlebten.

Wende bei der Delfinhaltung

Anfang der 90er Jahre änderte sich der Trend, was auf mehrere Gründe zurückzuführen ist:

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  • die Verschärfung der EU-Gesetzgebung und das Erschweren von Importen in den EU-Raum,
  • die Tatsache, dass die USA kaum noch Fanggenehmigungen für Delfine erteilten,
  • die zunehmende Kritik an Delfinarien in einigen Ländern, darunter Großbritannien und Deutschland, die zur Schließung dutzender Delfinarien in Europa führte.

Zoos, die die Delfinhaltung beendeten, verteilten die Tiere an andere Einrichtungen. So auch in Deutschland. Von neun in den 80er Jahren aktiven Delfinarien sind heute nur noch zwei übrig. Der Grund für den Rückgang von Delfinimporten liegt somit auch darin, dass die Anzahl der Delfinarien sank und Delfine an bestehende Einrichtungen weitergegeben wurden. Fakt ist aber: Wenn man auch in Zukunft Delfine in europäischen Einrichtungen halten möchte, wird man irgendwann „Nachschub“ brauchen. Es wird daher wieder zu Importanträgen und Wildfängen kommen – und diese stellen einen Verstoß gegen die europäische Artenschutzgesetzgebung dar.

Tatsächlich Artenschutz?

Befürworter von Delfinarien betonen auch immer wieder, sie würden einen Beitrag für den Artenschutz leisten. Dieses Argument ist in vielerlei Hinsicht irreführend. Denn fortwährende Wildfänge haben negative Auswirkungen auf die lokalen Populationen. Dies gilt etwa für die Schwertwale vor der nordamerikanischen Küste in den 60er und 70er Jahren, aktuell vor Japan und Russland sowie den Fang von Weißwalen in russischen Gewässern, von Großen Tümmlern im Schwarzen Meer, vor den Salomonen, vor Kuba und in anderen Regionen. Zudem schrecken Delfinarien im asiatischen Raum nicht davor zurück, stark gefährdete Irawadi-Delfine zu fangen.

Aktuell möchte das Georgia Aquarium in den USA wildgefangene Weißwale aus Russland einführen. Die Genehmigung wurde abgelehnt, da sie gegen die US-Schutzbestimmungen verstößt. Statt die Entscheidung zu akzeptieren, geht das Georgia Aquarium nun rechtlich gegen den Entscheid vor und versucht weiterhin an neue Wildfänge zu gelangen.

Dünne Daten

Werfen wir einen Blick auf die Nachzucht von Delfinen in europäischen Einrichtungen. In den 80er Jahren haben Zoos und Vergnügungsparks das sogenannte Erhaltungszuchtprogramm für gefährdete Arten (EEP) nominell eingeführt. Doch seit mehr als 30 Jahren sind die Daten des EEP für Große Tümmler nicht öffentlich zugänglich oder werden nur spärlich gesät.

Von einer regelmäßigen Nachzucht von Großen Tümmlern, deren Eltern in Gefangenschaft geboren sind, und von Folgegenerationen sind Delfinarien in der EU weit entfernt. Außerdem planen die Anlagen in der EU keine wissenschaftlich seriöse Begleitmaßnahmen, um die Zuchtpopulation etwaig in die freie Wildbahn zu integrieren – was als Naturschutzmaßnahme geeignet wäre (Ex-Situ-Maßnahmen, siehe Art. 9 der Konvention zur Erhaltung der biologischen Vielfalt). Stattdessen wurden Tiere aus unterschiedlichen Populationen, ja sogar Ozeanen, gekreuzt.

Weitere Wildfänge vorprogrammiert

Dass der Tiergarten Nürnberg es vehement ablehnt, ein Einfuhrverbot von wildgefangenen Großen Tümmlern zu akzeptieren, macht es offensichtlich, dass es Delfinarienbetreibern nicht wohl bei dem Gedanken ist, ohne weitere Wildfänge auszukommen.

Deutlich wird die Situation auch im Urteilsspruch des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofes zur Klage der Whale and Dolphin Conservation Society gegen die Stadt Nürnberg auf Akteneinsicht und auf Anwendung des Umweltinformationsgesetzes. Darin wird zur Frage der Nachzucht des Großen Tümmlers im Tiergarten Nürnberg zusammenfassend ausgeführt: „Die Zucht von in Gefangenschaft lebenden Delfinen sei allgemein und auch bei der Beklagten nicht nachhaltig, zumal die Beklagte nach eigenem Bekunden ohne Wildfänge nicht auskomme.“

Konzept „Zoo“ vor dem Ende?

Woran liegt aber nun die große Angst der Betreiber vor einem Einfuhr- und auch Halteverbot begründet, das ja rechtlich ohnehin längst besteht? In dem Eingeständnis, gewisse Tierarten nicht tiergerecht halten zu können. Was auch das überkommene Grundkonzept von Zoos in Frage stellen würde. Doch ebenjenes Eingeständnis, dass Delfine nicht tiergerecht zu halten sind, würde eine fruchtbare Diskussion auslösen und neuen Konzepten eine Chance geben.

Der Trend der Delfinhaltung in Europa zeigt deutlich, dass die Anzahl der Einrichtungen, die Delfine halten, auf Grund zunehmender öffentlicher Kritik abnimmt. Vergangenes Jahr schloss das letzte Delfinarium in der Schweiz seine Pforten. Ein Weg, dem Deutschland folgen sollte und folgen muss.

Nicolas Entrup, Shifting Values, Konsulent für OceanCare

Weitere Informationen finden Sie bei OceanCare, PETA und Whale and Dolphin Conservation.

Foto: Matthias Krüttgen/Fotolia.com

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