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Die ägyptischen Plagegeister

Allgemein

Die ägyptischen Plagegeister
Der Mistkäfer war ihnen heilig, die Gottesanbeterin wurde einbalsamiert und bestattet. Gegen Parasiten und Schädlinge aber setzten sich die alten Ägypter fantasiereich zur Wehr.

„Entferne dich von mir, du mit deinen nagenden Lippen!“, droht vor 3300 Jahren ein Ägypter auf seinem Grabgemälde einer Schabe mit erhobenem Messer. „Wenn du Flöhe aus einem Haus vertreiben willst, besprenge es mit Natronlösung, bis sie verschwinden“, empfiehlt eine Sammlung medizinischer Texte im 16. Jahrhundert v.Chr. Zwischen diesen beiden Polen – magische Beschwörung und effektive Bekämp-fung – versuchten die alten Ägypter, ihrer allgegenwärtigen und ungeliebten Begleiter Herr zu werden.

Prof. Hermann Levinson und seine Frau Dr. Anna Levinson vom Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie in Seewiesen beschäftigen sich seit über 30 Jahren mit Insekten und ihrer Bekämpfung in der Antike. Jetzt haben sie ihr gesammeltes Wissen über die menschenbegleitenden Kerbtiere vorgelegt. Die alten Ägypter hatten zu den Schwirr- und Krabbeltieren ein zwiespältiges Verhältnis, etliche von ihnen genossen sogar religiöse Verehrung. Chepri etwa, der Gott der aufgehenden Sonne, erscheint in der Gestalt des Skarabäus. Der Mistkäfer war durch seine Lebensweise Sinnbild für die ständige Erneuerung des Lebens (siehe Kasten „Der heilige Mistkäfer“). Ein weiteres heiliges Tierchen, einen „Strahlenden Sonnenkäfer“, fanden die Seewieser Insektenforscher schon bei Bestattungen des 4. Jahrtausends: Ausgehöhlte und getrocknete Käferskelette waren in Tonkrügen „als schützende Amulette mit in die Gräber gegeben worden“.

Die Verehrung von Insekten ging sehr weit: Bei Ausgrabungen wurden immer wieder kleine Sarkophage gefunden, in denen eigens mumifizierte Skarabäen und die ebenfalls heilige Gottesanbeterin beigesetzt waren. Denn nach altägyptischem Glauben „erwartete auch das Tier ein Leben nach dem Tod“, so der Hamburger Ägyptologie-Professor Lothar Störk.

Um ein Weiterleben des Menschen im Nicht-Irdischen zu ermöglichen, musste vor allem der Körper des Toten unversehrt bleiben. Daher versuchten die Hinterbliebenen, die Mumien vor Schädlingen zu schützen: „Bleibe fern von mir, du, der du Kiefer hast, die nagen!“, lautet denn auch eine bebilderte Beschwö- rungsformel, die das Insekt Apschait von Mumien fern halten sollte – einen Fleisch fressenden Schinken- oder Speckkäfer.

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Auf vier weiteren Beschwörungsbildern des altägyptischen Totenbuchs werden Skarabäen, Schaben und Rüsselkäfer mit Messer und Lanze abgewehrt oder symbolisch durchbohrt. Diese Plagegeister ernähren sich von Samen oder verrottenden Pflanzenteilen und waren so nicht dem Leichnam selbst, sondern nur den Speisen gefährlich, die den Toten als unerlässliche Wegzehrung mit ins Grab gegeben wurden. Die Kopfläuse in den Haaren mancher Mumien fühlten sich dort sicher schon zu Lebzeiten wohl. Die modischen langhaarigen Frisuren und Perücken aus Wolle oder Menschenhaar boten ihnen eine ideale Umwelt. Gegen die Blutsauger, die unter anderem Fleckfieber übertrugen, wehrten sich die alten Ägypter mit dichtzinkigen, zweireihigen Kämmen. Die feinen Damen setzten sich zudem – mit aromatischen Ölen übergossene – Kegel aus Rinder- oder Schaftalg auf den Kopf, um den Parasiten den Garaus zu machen: Das parfümierte Fett schmolz und floss über das Haar oder in die Perücke. „Solches Einfetten, Parfümieren und Desinfizieren des Haupthaares“, so Hermann und Anna Levinson, „war aber sicher nur vorübergehend hilfreich.“

Erfolgversprechender klingen die Maßnahmen, die der griechische Geschichtsschreiber Herodot gut ein Jahrtausend später von den ägyptischen Priestern überliefert: „Sie scheren sich den ganzen Körper einen Tag um den anderen, damit sich bei ihnen weder Läuse noch anderes Ungeziefer festsetzen können.“ Ähnlich pragmatisch gingen laut Herodot die altägyptischen Fischer vor. Sie können als Erfinder des Moskitonetzes gelten: „ Jedermann nimmt in der Nacht das Netz, das ihm am Tage zum Fischfang dient. Er windet es um das Bett, kriecht hinein und schläft ungestört darunter.“

Mücken waren indes nicht die einzigen Lästlinge, die die Menschen um den Schlaf brachten. Die Archäoentomologin Dr. Eva Panagiotakopulu von der University of Sheffield fand in der Arbeitersiedlung von Amarna – der glanzvollen Metropole des Ketzerpharaos Echnaton (1372 bis 1354 v. Chr.) – die ausgetrockneten Reste von Menschenflöhen und Bettwanzen. Wanzen verstecken sich tagsüber in Ritzen und Möbeln und übertragen unter anderem Hepatitis B. Die in Amarna gefundenen Wanzen sind die ältesten, die bislang nachgewiesen wurden.

Auch zahlreiche leere Puppen von Stubenfliegen entdeckte Eva Panagiotakopulu in den Arbeiterhäusern: „Möglicherweise haben wir hier das Ursprungsgebiet der Fliege überhaupt gefunden.“ Die Fliegen, damals so lästig wie heute, galten wegen ihrer unbeirrten Attacken auf die Menschen als besonders tapfer. Verdienten Soldaten im Neuen Reich (1580 bis 1085 v.Chr.) wurde ein fliegengestaltiges Goldamulett als Tapferkeitsorden verliehen. Die Menschen damals wollten ihre lästigen Begleiter ebenso wenig hinnehmen wie heute. So enthält der Papyrus Ebers, eine Sammlung medizinischer Texte aus dem 16. vorchristlichen Jahrhundert, eine Reihe von Rezepten, um Schädlinge aus dem Haus zu vertreiben:

• Räuchern mit Harzen und Gewürzen wie Weihrauch, Myrrhe oder Zimt verscheucht nicht nur menschenliebende Parasiten, sondern auch Vorratsschädlinge. Die Räuchermittel wurden pulverisiert und auf glühender Holzkohle verdampft. Ein erfolgversprechendes Verfahren, wie Hermann und Anna Levinson feststellten: „ Dreistündiges Räuchern mit Zimt tötet alle Getreidemotten in einem Vorratslager ab.“

• Auch ein Anstrich der Wände mit Natronlösung hilft: „Die Insekten werden an ihrem letzten Beinsegment verätzt und verscheucht“, erklären die beiden Insekten-Forscher die Wirkungsweise dieser Rezeptur.

• Seit dem Mittleren Reich (2065 bis 1785 v. Chr.) setzten die Ägypter in der Schädlingsbekämpfung auf die „antipathische Therapie“. Dabei nutzten sie die Abneigung von Schädlingen gegen deren natürliche Feinde: Das Fett von Insekten fressenden Vögeln sollte Insekten vertreiben.

Mit dem Ackerbau begannen die Menschen, ihre Ernte in häuslichen Vorratskammern zu lagern. Im Alten Reich (2649 bis 2200 v.Chr.) wurden erstmals große Vorratslager gebaut. Weite Teile der Bevölkerung konnten so von zentralen Stellen aus mit Nahrung versorgt werden. Damit war der Weg frei für eine weitere Arbeitsteilung, die die Entwicklung einer vielschichtigen Gesellschaft ermöglichte.

Doch diese großen Mengen von Nahrungsmitteln an einem Ort boten Insekten ideale Lebensbedingungen. Eva Panagiotakopulu spürte in der Amarna- Arbeitersiedlung verschiedene Getreideschädlinge auf, zum Beispiel Kornkäfer in fossilem Schweinemist. Diese flugunfähigen Rüsselkäfer waren vermutlich durch Handel mit Syrien und Anatolien nach Ägypten eingeschleppt worden. Sie sind bis heute weltweit die größten Schädlinge für das Lagergetreide. Auch die ebenfalls in Amarna gefundenen winzigen Getreidekapuziner kamen von weit her – aus Indien. Eine wirkungsvolle Maßnahme zum Schutz der Staatsvorräte ist im jüdischen Sefer Hajaschar, dem „Buch des Rechtschaffenen“, überliefert: „Auf Befehl Josefs musste das Getreide ungedroschen aufbewahrt und die Böden der Speicher mit dem Erdstaub der Felder bestreut werden, auf dass das Korn nicht verderbe.“ Das Ergebnis: Die staubfeine Ackererde heftete sich an die Außenhaut der Insekten. Sie vergrößerte die Körperoberfläche und machte die wachshaltige Insektenhaut wasserdurchlässig. „Die Insekten trocknen förmlich aus“, erläutern Hermann und Anna Levinson diese Methode, die modifiziert heute noch zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt wird.

Der schlimmste Nahrungsfeind aber waren die Heuschrecken. Das Alte Testament beschreibt eine Invasion im Niltal: „Als der Morgen kam, hatte der Ostwind die Heuschrecken herbeigetragen. Sie bedeckten die Oberfläche des ganzen Landes und fraßen alle Feldgewächse und alle Baumfrüchte, so dass in ganz Ägypten nichts Grünes an den Bäumen und kein Kraut auf dem Felde übrig blieb. Da ließ Jahwe einen Westwind wehen. Dieser nahm die Heuschrecken mit und trieb sie in das Schilfmeer.“

Die alten Ägypter litten ebenso wie die Bewohner des Vorderen Orients unter diesen wiederkehrenden Heuschreckenüberfällen. Während in den Augen der Ägypter dagegen nur Beten half, sind aus Mesopotamien handfeste Abwehrmaßnahmen überliefert: Bei Bedarf wurden die Bewohner eines Landstrichs mobilisiert, um die umherhüpfenden Jungtiere der Heuschrecken zu zertrampeln. Außerdem ernteten Soldaten schnellstens die bedrohten Feldfrüchte. Doch wenn die Ernte nicht mehr zu retten war, konnten Heuschrecken im Zweistromland auch schon mal als alternative Nahrungsquelle am Bratspieß enden.

Der heilige Mistkäfer

Der Skarabäus, ein Mistkäfer, war im alten Ägypten heilig. Die Ägypter beobachteten, dass der Käfer Dungkugeln über weite Strecken rollte und sie dann in einem Erdloch versenkte. Zudem legte der Skarabäus seine Eier in kleine Erdhöhlen, aus denen einige Zeit später ein neuer Käfer schlüpfte. Durch diese scheinbar zeugungslose Geburt eines jungen Käfers aus der Erde und das Rollen und Versenken der Dungkugel brachten die Ägypter den Skarabäus mit der aufgehenden Sonne in Verbindung. Skarabäen wurden in vielen Materialien nachgebildet und als unheilabwehrende Amulette getragen.

Doris Gutsmiedl

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