Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Die Frauen von Babylon

Allgemein

Die Frauen von Babylon
Erstaunliche Freiheiten für die Orientalinnen vor 4000 Jahren. Keilschrift-Briefe, Gerichtsakten und Geschäftsurkunden zeichnen ein neues Bild von der Gesellschaft im alten Orient. Zwar hatte der Mann eindeutig das Sagen, aber die Frau war ihm in vielen Dingen per Gesetz – fast – gleichgestellt.

Ja, ich hätte gern damals gelebt”, versichert Eva Cancik-Kirschbaum. “Damals” heißt in diesem Fall: vor 4000 Jahren. “Ich wäre wohl nicht so gern Frau gewesen, aber als Oberschreiber in einer großen Tempelbibliothek…”

Die promovierte Keilschriftgelehrte vom Altorientalischen Seminar der FU Berlin weiß, wofür sie sich begeistert: Die in Tontafeln gedrückten Verlautbarungen aus dem Vorderen Orient des 3. und 2. Jahrtausends v. Chr. erzählen die spannenden Geschichten vom Anfang der Dinge und vom Aufbruch der Menschheit. “Erklärungen finden, warum die Sonne dort aufgeht und auf der anderen Seite wieder verschwindet, beim Beginn der Wissenschaft dabei sein – das wäre mein Traum. “

Nicht ganz so traumhaft sind die Nachrichten, die Babylonier, Assyrer und Hethiter über ihre Frauen in den Ton stichelten. Zumindest sind sie zwiespältig: Neben Ratschlägen zur Behandlung renitenter Sklavinnen (Durchprügeln) und Strafen für Ehebrecherinnen (Ertränken) lesen Eva Cancik-Kirschbaum und Kollegen von Frauen, die vor Gericht als Klägerin gegen ihren Mann auftreten oder sich scheiden lassen, von erfolgreichen Handelsherrinnen, die Warenkarawanen durch die ganze damalige Welt dirigieren, von “Stiftsdamen”, die eigene Ländereien bewirtschaften lassen, Geld verleihen und ab und an auch wegen Zinswucher verklagt werden. Und das alles in den – im Gegensatz zu Ägypten – durch und durch patriarchalischen Gesellschaften des Vorderen Orients vor vier Jahrtausenden.

In den letzten Jahren haben Archäologen immer mehr Keilschrift-Archive in Syrien, Irak, Iran und Zentralanatolien ausgegraben. Dabei kamen nach den trockenen Inventarlisten der königlichen Magazinverwalter staatliche Korrespondenz, Gesetzestexte, Urkunden und frühgeschichtliche Privatpost in auswertbaren Mengen zum Vorschein. Vor allem die Rechtstexte, Gerichtsurteile und Briefe ermöglichen einen genaueren Blick auf die soziale Stellung der Frau und den Alltag von Familie und Gemeinwesen.

Anzeige

“Betreffs meines Kummers habe ich ein-, zweimal meinem Herrn geschrieben”, beschwert sich um 1780 v. Chr. eine Frau brieflich bei ihrem abwesenden Mann. Die beschwichtigende Antwort hat aber offenbar die prekäre Situation der Frau nicht geändert: ” … die Lieferungen der Stadt Aslakka nimmt die besagte Frau immer wieder in Empfang, und mich hat sie in einer Ecke sitzen lassen.” Ein Eifersuchtsdrama bahnt sich an.

Für klare Verhältnisse sorgte zur gleichen Zeit ein gewisser Warad-Schamasch schon im Ehevertrag mit seinen beiden Frauen: “Taram-Sagila und Iltani hat Warad-Schamasch zur ehelichen Gemeinschaft genommen … Auch wird Iltani die Füße der Taram-Sagila waschen und ihren Stuhl zum Hause ihres Gottes tragen; ist Taram-Sagila ärgerlich, wird Iltani ärgerlich sein; ist sie vergnügt, wird sie vergnügt sein.

Ihr Siegel wird sie nicht öffnen.” Der von zehn Zeugen gesiegelte Vertrag regelt eindeutig das Verhältnis von Hauptfrau und rangniedriger Nebenfrau. “Möglicherweise handelt es sich bei der Hauptfrau um eine Priesterin, der Kinderlosigkeit auferlegt war”, interpretierte die DDR-Altorientalistin Ilse Seibert den Vorgang in ihrem umfassenden, leider nur noch in Bibliotheken greifbaren Buch “Die Frau im Alten Orient”. Um den erwünschten Nachwuchs dennoch zu gewährleisten, gestattete der “Codex Hammurapi” in solchen Fällen ausdrücklich eine zweite Ehefrau oder ein Verhältnis mit einer Sklavin.

König Hammurapi, eine der herausragenden Gestalten des Vorderen Orients, machte die Stadt Babylon in seiner Regierungszeit von 1792 bis 1750 v. Chr. zum Synonym für ein ganzes Reich und eine Epoche. Sein “Gesetz” ließ er in eine 2,25 Meter hohe Basaltstele meißeln, in 282 Paragraphen sind Rechtssätze aus dem Straf- und Verwaltungsrecht seiner Zeit kodifiziert.

Über 20 Paragraphen regeln dabei das Ehe- und Familienrecht. Die Frau ist zwar eindeutig “Objekt” bei einer Eheschließung, sie “wird genommen”. Der Mann darf sie – wie seine Kinder und Sklaven – als Pfand für eine Schuld weggeben oder sogar als Sklavin verkaufen. Andererseits jedoch darf sie “ihre Mitgift nehmen und weggehen zum Haus ihres Vaters”, wenn der Ehemann sie schwer vernachlässigt.

Auch undankbare Kinder gab es offenbar im alten Babylon, denn der Gesetzgeber traf Vorkehrungen, Witwen zu schützen: “Wenn ihre Kinder, um sie aus dem Haus zu vertreiben, sie schikanieren, so sollen die Richter ihre Angelegenheit prüfen und den Kindern eine Strafe auferlegen; diese Frau braucht aus dem Haus ihres Ehemanns nicht auszuziehen.”

Hammurapis Gesetze fußen zum Teil auf noch älteren Vorstellungen, nach denen die altorientalische Frau rechtsfähig war (was ihr zum Beispiel in Israel nicht zugestanden wurde) und in unterschiedlichen Maßen und Angelegenheiten eigenverantwortlich handeln konnte. In altsumerischer Zeit um die Mitte des 3. Jahrtausends wird sie als Persönlichkeit anerkannt, kann besitzen und verkaufen, pachten und verschenken, adoptieren und verleihen.

Die “Freiheit der Frau” – hier taucht der Begriff zum ersten Mal auf – wieder herzustellen, ist dem Herrscher Uruinimginna von Lagasch um 2355 v. Chr. ein Anliegen. Die Witwe wird durch königliche Autorität geschützt, arme Frauen finden im Gesetz Schutz vor der Habgier der Priester.

In nachfolgenden Epochen und Reichen bleibt die, wenn auch nicht gleichberechtigte, so doch starke Position der Frau mit Abwandlungen und Abschwächungen erhalten. In der Stadt Nuzi haben zum Beispiel im 2. Jahrtausend die Geschäfte der Dame Tulpunnaja einen solchen Umfang angenommen, daß sie zehn Schreiber beschäftigen muß. Spätestens aber in sassanidischer Zeit (ab 227 n. Chr.) wird die orientalische Frau im Harem weggeschlossen.

Die organisierte Langeweile des Frauenhauses war spätestens ab dem 12. Jahrhundert v. Chr. in sogenannten Hof- und Harems-Schriften streng reglementiert. Bei anscheinend üblichen Zänkereien und sogar Prügeleien der Haremsdamen empfahl es sich für männliche Bedienstete, schleunigst zu verschwinden, denn wer zuhörte, ging oft eines Ohres verlustig. Auf mehr als sieben Schritte sollte er sich den Frauen sowieso nicht nähern.

Neben dem Harem regten vor allem die orientalischen Priesterinnen die Gedanken männlicher Berichterstatter an. “Die obligatorische Tempelprostitution im alten Orient”, so rückt Eva Cancik-Kirschbaum die Relationen zurecht, “ist ein Phantasieprodukt der späteren griechischen Geschichtsschreiber.” Öffentliche Liebesdienerinnen waren im sinnenfrohen Orient nicht unbedingt anerkannt, wurden aber auch nicht verachtet, manche “harimtu” hat es in verschiedenen orientalischen Gesellschaften zu Geld und Ansehen gebracht. Die regelmäßige “Heilige Hochzeit” von König und oberster Priesterin war als Bestandteil fest in den kultischen Kanon eingebunden. Vor allem die Hohepriesterinnen hatten durch die staatstragende Religion eine herausgehobene Stellung und “mischten oft ganz schön in der Politik mit”, weiß Eva Cancik-Kirschbaum aus ihren Keilschrift-Lektüren.

Noch aktiver waren einige Königinnen, etwa Sammuramat, alias Semiramis. Die ihr zugeschriebenen “Hängenden Gärten” wurden zwar erst 200 Jahre später von König Nebukadnezar (604 bis 562 v. Chr.) angelegt, doch hatte sich die assyrische Herrscherin offenbar als Auftraggeberin von umfangreichen Wasserbauten einen Namen gemacht. Die Babylonierin auf dem assyrischen Thron, hat – so die Mär – die Hose erfunden und konnte rückwärts reiten. Gewichtig war ihre Rolle als Regentin für ihren minderjährigen Sohn, was ihr als einziger Frau eine eigene Weihestele in Assur einbrachte – ein monumentales Zeugnis einer offenbar tatkräftigen Herrscherin, über die sonst nichts Handfestes bekannt ist.

70 Jahre nach ihr “korrigierte” Zakutu-Naqi’a, eine Nebengattin Sanheribs (704 bis 681 v. Chr.), die Erbfolge in Assur in ihrem Sinne. Die kompetente Autorin Ilse Seibert zollt ihr ganz unwissenschaftliche Anerkennung: “Man muß mit Staunen feststellen, daß diese resolute, ehrgeizige und hochgescheite Dame sowohl ihren Sohn Asarhaddon als auch nach dessen Tode ihren berühmten Enkel Assurbanipal ,gemanagt` hat, obwohl sie zu jener Zeit bereits eine betagte Großmutter war.” Da sie in beiden Fällen gegen die reguläre Linie verstieß, kam es zu blutigen innerfamiliären Auseinandersetzungen. Zakutu-Naqi’a obsiegte stets.

Mehr als ein halbes Jahrtausend zuvor hatte die hethitische Königin Puduhepa, eine ehemalige Priesterin, eine aktive Rolle in der Staatspolitik gespielt. Die Frau des erfolgreichen Großkönigs Hattusilis (1289 bis 1265 v. Chr.) genoß die wohl größte Selbständigkeit aller altorientalischen Königinnen. Sie führte eine rege diplomatische Korrespondenz und stand auch außenpolitisch neben ihrem Mann. Briefe an ihn gingen “in Kopie” an Puduhepa.

Der Friedensvertrag zwischen Ägyptens Ramses II. und dem Hethiterreich nach der Schlacht von Kadesch ist auch mit ihrem Siegel bekräftigt. Das Zweckbündnis der beiden Großmächte wurde durch die Hochzeit des alternden Pharaos mit einer Tochter Hattusilis gefestigt. Die Prinzessin wurde nicht glücklich und klagte in langen Briefen ihren Eltern ihr Leid.

In der Hethiter-Familie hatte es zwei Generationen zuvor einen saftigen Dynastie-Skandal gegeben. Puduhepas Schwiegervater, Mursili II. (1345 bis 1315 v. Chr.), hatte seine Stiefmutter Chinti vor Gericht gebracht, um ihr die Würde (und die Machtbefugnisse) der “Tawananna” aberkennen zu lassen. Der Titel Tawananna kennzeichnete eine hethitische Besonderheit: der “Thron des Königinnentums” stand einer Herrscher-Gattin auch nach dessen Tod zu und gab ihr weitreichende Vollmacht in Haus- und Staatsverwaltung bis hin zur Steuererhebung. Tawananna Chinti machte davon regen Gebrauch und, so der klagende Stiefsohn, ruinierte Haus und Staat. Wie das Verfahren ausging, ist nicht überliefert – und auch die Tontafeln der damaligen Yellow press sind nicht erhalten…

Königinnen sind nicht repräsentativ für die Lage ihrer profanen Geschlechtsgenossinnen. Auch die bislang bekannten Urkunden, Urteile und Briefe liefern kein soziologisches Abbild der femininen Realität in den frühgeschichtlichen Jahrhunderten im Großraum “Vorderer Orient”. Aus den Berichten über die vielen namentlich bekannten “freien” Frauen lassen sich auch keine Lebensläufe rekonstruieren. Über die Masse der Frauen weiß man nichts; dennoch werfen die Keilschriften – in dieser Fülle zusammengetragen und gelesen – mehr als ein Schlaglicht auf weibliche Wirklichkeit vor 4000 Jahren.

Sie stellen zugleich die Frage, ob diese so erstaunlichen wie widersprüchlichen Freiheiten nicht doch der matte Abglanz einer früher matriarchalisch organisierten Gesellschaft waren. Vielleicht hätte Eva Cancik-Kirschbaum ja ein paar Jahrhunderte zuvor gerne als Frau und Wissenschaftlerin im Vorderen Orient gelebt …

Attacke auf die Haushaltskasse

Der Sohn, “Affe” genannt, ist pleite. Sein Bettelbrief an die Mutter stammt aus dem Jahr 2000 v. Chr. Zu Ludiludi, meiner Mutter, sprich:

Folgendermaßen spricht “Affe”: Ur ist die Stadt der Wonne Nannas, Eridu ist die Stadt des Überflusses Enkis. Ich aber sitze hinter der Tür des Großsängerhauses, esse Abfälle. Daß ich daran nicht sterbe! Brot koste ich nicht, Rauschtrunk koste ich nicht! Einen Eilboten schicke mir! Dringlich!

Michael Zick

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

po|ly|gra|phisch  〈Adj.〉 = polygrafisch

Kor|re|la|ti|ons|ana|ly|se  〈f. 19; Math.; Statistik〉 Rechenmethode, mit der die Korrelation zweier Merkmale, die in keinem funktionalen Zusammenhang zueinander stehen, nach den Verfahren der Wahrscheinlichkeitsrechnung ermittelt werden kann

Kamp|fer|spi|ri|tus  〈m.; –; unz.; Chem.〉 Spiritus, in dem Kampfer aufgelöst ist

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige