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Garten Eden in der Sahara

Allgemein

Garten Eden in der Sahara
Vor 200 000 Jahren: Riesiges Binnenmeer in Libyen. In der heutigen Wüste siedelte ein hochentwickelter Homo erectus. Archäologen fanden jetzt sein Haus – es ist eines der ältesten in der Menschheitsgeschichte.

Sa’ad Abdul Assis klettert zwar leichtfüßig über die Geröllhalde, dann wischt er sich aber doch den Schweiß von der Stirn: Die Luft über der Sahara flirrt bei über 40 Grad. Assis zeigt auf einen dunklen Streifen oben am Felsplateau: „Dort hinten verlief die Küstenlinie eines riesigen Sees. So hoch stand hier einmal das Wasser“, erzählt der Chef des Archäologischen Museums der libyschen Wüstenstadt Germa.

Schwer vorstellbar, denn bis zum Horizont erstreckt sich eine Ödnis aus Sand- und Steinwüste. Wir sind im Fezzan, der südwestlichen Provinz Libyens, mitten in der Sahara, dem größten Sandmeer der Welt. „Bar bela ma“, Meer ohne Wasser, nennen die Libyer ihre unwirtlichste Region.

Doch vor 200000 Jahren, so behauptet der Hamburger Archäologe Helmut Ziegert, lebten hier Gruppen von Frühmenschen in Häusern, gingen mit Booten dem Fischfang nach, jagten Wild und verarbeiteten dessen Fell zu Kleidung. Ihre hochdifferenzierten Steinwerkzeuge stellten sie bereits in Serie her. Kann der Hamburger Professor seine These weiter untermauern, wäre dies ein völlig neues Blatt im Geschichtsbuch der frühen Menschheit, denn vor 200000 Jahren, so die gängige Meinung der Paläontologen, herrschte noch finstere Altsteinzeit, in der von häuser- und bootsbauenden, mithin seßhaften Fischern noch nicht die Rede sein konnte. Der klassische Neandertaler war noch lange nicht in Sicht.

Die Beweisführung gleicht einem Puzzlespiel, nährt sich aus vielen Quellen und begann vor etlichen Jahren: Da entwickelten die Geologen Dr. Friedhelm Thiedig aus Münster und Dr. Mehmed El-Chair aus dem libyschen Sebha die damals aufsehenerregende Theorie von ausgedehnten Seen in der Altsteinzeit der heutigen libyschen Kernwüste. Inzwischen steht die Existenz dieser Seen außer Zweifel. Eine Gruppe aus libyschen und deutschen Archäologen, Geologen und Paläobiologen erforscht zur Zeit die bis zu 400000 Jahre alten Spuren der Fruchtbarkeit. Sa’ad Abdul Assis ist einer von ihnen. Die Wissenschaftler untersuchen nicht nur die Ausdehnung der Seen, sondern auch Erdgeschichte, Klima, Vegetation, Lebensbedingungen und Siedlungsgeschichte in dieser heute menschenfeindlichen Region.

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Gebirgsplateaus und hohe Dünen gliedern die Sahara. Oubari und Murzuk heißen diese Dünenmeere in Westlibyen (siehe Karte). Die Ausläufer reichen bis in die Nachbarländer Algerien, Niger und Tschad. Die Lebensbedingungen sind hart, 50 Grad und mehr sind im Sommer an der Tagesordnung, im Winter kühlt es nachts bis zum Nullpunkt ab.

Mit einem durchschnittlichen Niederschlag unter 50 Millimeter verdunstet hier mehr Wasser als jährlich zugeführt wird. Die Sandwüsten (Ergs) von Murzuk und Oubari sind riesige Becken, die durch die Hebung der umliegenden Gebirgszüge entstanden. Während der regenreichen Feuchtphasen in der Sahara führten heute trocken liegende Flußtäler (Wadis) reichlich Wasser und trugen Geröll in die Becken, die sich so über Jahrmillionen allmählich füllten.

Diese Ablagerungen stapeln sich Schicht für Schicht übereinander. An den Kanten erodierte der Wind weicheres Gestein zu heute beeindruckend bizarren Felsgebilden. Im witterungsbeständigen verhärteten Kalk- und Sandstein verbergen sich unscheinbare, aber wichtige Zeitzeugen der Erdgeschichte: fossile Muscheln, Krebse, Schnecken und anderes Urgetier. Sie sind der klare Beweis für ehemals ausgedehnte Gewässer und ein mediterranes beziehungsweise subtropisches Klima in der Sahara.

Die heutigen Sandmeere im Fezzan und im östlichen Libyen bei Kufra entsprechen in Größe und Verlauf in etwa den urzeitlichen Seen. Nach den Erkenntnissen von Friedhelm Thiedig dehnte sich allein der Fezzan-See 500 Kilometer in Nord-Süd- und 550 Kilometer in Ost-West-Richtung, bedeckte also, abzüglich Schichtstufen und Landbrücken, rund 200000 Quadratkilometer. Prof. Helmut Ziegert rechnet die Subtropisch bis mediterran war das Klima im Süden des vorgeschichtlichen Libyen. Flora und Fauna deckten dem Menschen reichlich den Tisch. Die Schilfgürtel am Binnenmeer wurden immer wieder abgebrannt, wie gewaltige Ascheschichten (mittleres Bild) belegen. Spezialisierte Steinwerkzeuge fertigte der Frühmensch hier offenbar schon in Serie.

Wasserfläche jetzt noch größer: Im letzten Herbst fand er eine Verbindung des urzeitlichen Fezzan-Sees mit dem 2000 Kilometer entfernten Kufra-See. Die ganze südlibysche Sahara war demnach ein Binnenmeer, mit rund 350000 Quadratkilometern Wasserfläche so groß wie das wiedervereinte Deutschland – eine bizarre Vorstellung.

Relikte dieses Binnenmeeres existieren noch heute. Zwischen der historischen Wüstenstadt Germa und der Oase Idri, inmitten endloser Sanddünen, glitzert Wasser, umgeben von dichtem Schilfgras. Aus der Ferne gleicht der See einer Oase, einem Garten Allahs in der Wüste. Um so ernüchternder ist der Blick aus der Nähe: Nur noch wenige Zentimeter Wasser führt der See. Bald wird es verdunstet sein und nicht mehr zurücklassen als eine ausgetrocknete Salzpfanne.

Zehn Kilometer entfernt, durch hohe Dünenkämme getrennt, liegt ein weiterer See: Umm el ma – Mutter des Wassers. Blaugrün schimmert seine Oberfläche. Nur scheinbar ein Idyll, denn sein Salzgehalt beträgt 34 Prozent, erheblich mehr als im Toten Meer.

Derzeit kennt man zwölf solcher Seen im Fezzan, die meisten sind ausgetrocknet. Der größte ist heute der Gabroron-See, versteckt hinter bis zu 200 Meter hohen Dünen. 26 Meter tief und ziemlich kalt ist dieses salzige Gewässer eine Einladung zum Bade für abenteuerlustige Wüstentouristen. Für die Einheimischen ist er ein Geistersee, denn obwohl sein Wasser salzig ist, gibt es im Uferbereich unter dem Sand Süßwasser, nach dem man graben kann.

Die märchenhafte Seengruppe im heutigen Fezzan ist ein kümmerliches Überbleibsel eines einst riesigen Süßwassermeeres in der Südwestsahara. Die Forscher wissen, daß die ältesten Wasservorräte des Fezzan rund 400000 Jahre alt sind und sprechen deshalb von fossilem Wasser aus dem Pleistozän. Weitere Wasservorkommen stammen aus regenreichen Perioden der jüngeren Erdgeschichte, die in etwa unseren Eiszeiten entsprechen. Die umfangreichen Ressourcen liegen in verschiedenen Tiefen und machen die Wüste zum gigantischen Grundwasserspeicher.

Es sind jedoch keine unterirdischen Seen, wie oft behauptet wird, sondern poröse, wasserführende Gesteinsschichten. Bis zu 25 Prozent seines Volumens kann Sedimentgestein, ähnlich einem Schwamm, an Wasser speichern.

2 Meter 60 Innendurchmesser hat das eventuell älteste Haus der Menschheit. Die kreisförmige Grundmauer wurde aus Brocken eines nahen Steinbruchs unvermörtelt aufgeschichtet. Links oben ein separater Vorratsraum. Unten: Museumsdirektor Sa’ad Assis.

Diese unterirdischen Wasservorkommen erneuern sich nicht (bild der wissenschaft 1/1995, „Das Meer unter der Wüste“). Einmal ausgebeutet, sind sie unwiederbringlich verbraucht. Libyen und seine Anrainerstaaten zapfen die Vorräte für Bewässerungsvorhaben in ihren riesigen Wüsten an.

Seit 1962 ist Helmut Ziegert mit libyschen Kollegen in dieser unwirtlichen Gegend dem frühen Menschen auf der Spur. Seine Funde und Erkenntnisse erlauben ihm ein Gemälde der Welt vor 200000 Jahren an den Seen der Sahara: Das Schilf am Ufer brannten die Menschen nieder, so hatten sie freie Sicht und besseren Schutz vor Raubtieren. Außerdem wurden Schlangen und Skorpione vom Haus ferngehalten. In der Regenzeit wohnten die Seeanrainer auf einer Zwischenterrasse, in der Trockenzeit direkt am Ufer. Sie fingen Fische und sammelten Pflanzen. Begehrte Jagdbeute waren Flußpferde und Strauße. Aus den Straußeneierschalen wurden Perlen gefertigt. Die Strandbeuter schlichen keineswegs nackt durchs Schilf, sondern trugen Kleidung aus den Häuten der erlegten Tiere. Mit Booten fuhren sie auf den See hinaus.

Für den Hamburger Forscher war es Homo erectus, der sich hier tummelte. Ziegert spricht ihm bereits hochentwikkelte menschliche Fähigkeiten zu (siehe Interview: „Die Wüste lebt“). Vieles an seinem Gemälde kann Ziegert mit Funden nach 200000 Jahren dingfest machen. Vom Niederbrennen des Schilfgürtels zum Beispiel zeugen heute 2 Meter 50 starke Ascheschichten. Daß die frühen Menschen Boote hatten, folgert der Forscher aus einem Wohnplatz mit menschlichen Siedlungsspuren, der über Generationen kilometerweit von Wasser umgeben war.

Kleidung aus Fell postuliert Ziegert einerseits ganz pragmatisch: „Ich wende mich gegen diese Rekonstruktionen, in denen die Frühmenschen halbnackt oder mit umgehängtem Fell dargestellt werden. Die wären ja alle an Lungenentzündung gestorben!“ Zum anderen hat er speziell gearbeitete Faustkeile – er nennt sie Frauenmesser – hauptsächlich an den Wohnplätzen gefunden: Die für die Jagd hilfreichen Zacken des groben Faustkeils sind dabei nachträglich vorsichtig abgequetscht, so daß eine zwar scharfe, aber glatte Klinge entstand – bestens geeignet zum Schaben, etwa von Fellen.

Diese und andere Spezialwerkzeuge sind in hohem Maße standardisiert und sehen aus, als seien sie in einer regelrechten Serienproduktion entstanden. Sie scheinen in gleicher Form lange Zeit in Gebrauch gewesen zu sein, was die Archäologen als Hinweis für Seßhaftigkeit dieser Menschen interpretieren – vor etwa 200000 Jahren, zu einer Zeit also, in der man ein derart hohes kulturelles Niveau bisher nicht erwartete.

Glanzstück der Ziegert-Funde aber ist das Haus bei Budrinna am nördlichen Rand des ehemaligen Fezzan-Sees. Blökke aus Quarzit und Sandstein vom nahen Steinbruch wurden ungemörtelt aufeinandergesetzt, die Mauer hatte ursprünglich eine Höhe von 60 Zentimetern. Gedeckt war die Behausung vermutlich mit Schilfrohr oder Tierhäuten. Eine etwa 30 Zentimeter breite Grube im Fußboden aus Stampferde präsentiert, so Ziegert, eine Feuerstelle. Nachdem das Haus aufgegeben wurde, fertigten die Frühmenschen aus den Mauersteinen Werkzeuge. Dieses vorgeschichtliche Recycling und das Nebeneinander von Haus und Steinbruch ermöglichten dem Forscher erstmals eine gesicherte Datierung: Der Grundstein wurde vor 200000 Jahren gesetzt. Damit gehört das Haus mit Seeblick zu den drei ältesten bislang bekannten gebauten Unterkünften des Menschen. Vielleicht ist es sogar das älteste Haus überhaupt.

Die Wüste lebt Seit rund 30 Jahren forscht Prof. Helmut Ziegert nach dem frühen Menschen in Afrika. Der Hamburger Archäologe fand verblüffende Spuren von Homo erectus an einem riesiges Binnenmeer im Süden des heutigen Libyen – unter anderem ein sicher datierbares Haus.

bild der wissenschaft: Herr Prof. Ziegert, was reizt Sie archäologisch an der Sahara?

Ziegert: Die Diagonale Mittelmeer – Sahara – Ostafrika.

bild der wissenschaft: Das hört sich recht kryptisch an.

Ziegert: Ist es aber nicht. Wenn man bedenkt, daß in Afrika immer wieder höchst unterschiedliche Klimazonen und damit sehr variable Lebensbedingungen vorhanden waren, kann man bei der Suche nach dem Menschen nicht in 1000-Kilometer-Sprüngen vorgehen. Noch ist die Verwendung dieser Steinstücke in Form einer Acht unklar. Helmut Ziegert kann sie sich als Teil einer vorgeschichtlichen Schlingenfalle vorstellen. An der Mittelmeerküste forschen und dann gleich in Ostafrika weitersuchen, ohne dazwischen nach Spuren zu gucken, bloß weil es heute Wüste ist – das ist unwissenschaftlich.

bild der wissenschaft: Der Erfolg gibt Ihnen recht: Sie haben in dieser Wüste ein datierbares Haus und differenzierte Werkzeuge gefunden – Spuren einer Besiedlung vor 400000 und dann wieder vor 200000 Jahren. Waren das schon Menschen?

Ziegert: An den Seen lebte Homo erectus, der, wie ich meine, Mensch war. Damit stehe ich sicher im Gegensatz zu manchem meiner Kollegen. Aber: Der Homo erectus, dessen Spuren wir an den Sahara-Seen gefunden haben, besaß ein ganzes Werkzeugbündel. Wir haben über 20 standardisierte Typen von Werkzeugen gefunden, die offensichtlich für spezielle Zwecke immer wieder hergestellt wurden – wie heute Messer, Gabel, Löffel. Da muß man ja wohl das Vorbild der Typen als Idee gespeichert haben – also muß analytisches Denken vorhanden gewesen sein: Homo erectus war Mensch.

bild der wissenschaft: Ein entscheidender Schritt der Menschheitsgeschichte wurde also in der heutigen Sahara gesetzt?

Ziegert: Es greift sicher zu kurz, wenn man sich aufgrund der bisherigen Funde immer nur auf Ost- und neuerdings Südafrika als Geburtsstätte des Menschen stützt – ganz Afrika war die Wiege des Menschen.

bild der wissenschaft: Sie haben das Haus des frühen Menschen gefunden. Es wäre mit die älteste, wenn nicht gar die älteste gebaute Behausung. Aber ein dazugehöriges Skelett haben Sie noch nicht entdeckt?

Ziegert: Leider nein. Darauf hoffe ich noch. Andererseits läßt sich aus Kulturresten mehr über die geistigen Fähigkeiten herauslesen als aus Skeletten. zet

Elke Werry / Brigitte Kazenwadel

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