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Gerhard Casper: Der Einwerber

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Gerhard Casper: Der Einwerber
Wie der Präsident von Stanford University seinen Job anpackt. In der Chefetage der amerikanischen Elitehochschule sitzt ein gebürtiger Deutscher. Rund um die Uhr macht er sich vor allem um eines Gedanken: Wie positioniere ich Stanford noch besser?

Sandsteinfarbene Gebäude leuchten mit ihren roten Dachziegeln gegen den blauen kalifornischen Himmel. Malerisch eingebettet liegen sie in den gelben Hügeln der Santa Cruz Mountains. Eine üppige Fauna aus Oleander, Strelitzien- und Jasminbüschen setzt grüne Akzente. Hohe Königspalmen, die auf der Zufahrtsstraße mehrere hundert Meter lang Spalier stehen, biegen ihre langen Zweige in einer steten pazifischen Brise und begleiten ankommende Gäste bis zu einem großen Rondell. Es umschließt eine fußballplatzgroße Rasenfläche, die von roten und weißen Primeln begrenzt ist. Nachmittags versammeln sich hier Sonnenanbeter und Leselustige. Auf dem parkähnlichen Gelände, das sich über 35 Quadratkilometer erstreckt, erwartet die Besucher mehrere Sportstadien, Tennisplätze, ein großes Schwimmbad und ein Golfplatz. Was sich anhört wie ein Auszug aus einem Prospekt für Luxusferien, beschreibt tatsächlich das Ambiente einer der angesehensten Universitäten überhaupt: Stanford – eine Oase des Wissens, 50 Kilometer südlich von San Francisco, errichtet auf einem ehemaligen Gutshof, das der Bildungsanstalt den Spitznamen „The Farm“ einbrachte. Chef-Farmer ist Prof. Gerhard Casper. Er, der gebürtige Hamburger, ist Präsident der Universität Stanford. Casper scheint Farmarbeit gut zu bekommen. Schlank und hochgewachsen wirkt der 61jährige um Jahre jünger als es sein Paß verrät. Er strahlt jene Dynamik aus, die für Kalifornier typisch sein soll: Optimismus, Energie, Lebensfreude. Ganz unkalifornisch dagegen ist sein Auftreten: würdevoll, stattlich, hanseatisch. Er trägt dunkle Anzüge mit passenden Krawatten. Sein schlohweißes Haar ist sorgsam gescheitelt, fällt freilich keck über die Ohren und umrahmt sein längliches Gesicht, das Kinn und Nase dominieren. Dunkelbraune Augen funkeln wach und aufmerksam. Mit sparsamen Gesten und ruhiger Stimme erklärt der Präsident, warum es alles andere als einfach ist, die Geschikke dieser Traditionsschule in Händen zu halten: „Wir sind einem totalen Wettbewerb ausgesetzt – um die besten Professoren, die besten Studenten und um die Gelder. Die Leute aus der Wirtschaft glauben, daß allein sie den harten Wind des Marktes spüren und wir Universitätsleute in Elfenbeintürmen leben.“

Stanford ist durchaus mit einem Wirtschaftsunternehmen vergleichbar. Einschließlich aller universitären Einrichtungen wie Kliniken und Labors umfaßt der Etat eine Summe von 2,3 Milliarden Dollar. Das finanzielle Wohl der „Farm“ hat daher eine besondere Bedeutung, zumal die Konkurrenz mit anderen Universitäten um Bundesforschungsmittel und private Förderungsgelder groß ist. Auch die volle Studiengebühr von 22000 Dollar pro Jahr deckt nur 60 Prozent der anfallenden Kosten eines Studierenden. Alles übrige bringen ehemalige Stanford-Studenten, Eltern oder andere private Förderer auf. Allein im letzten Jahr wurde die Rekordsumme von 319 Millionen Dollar gespendet. „Dafür muß man etwas tun“, sagt Casper und: „Wenn sich ein Stanford-Professor erfolgreich um Forschungsmittel bemühen will, dann muß er mit seinem Projekt schon der Beste sein.“ Als Casper 1992 in das Amt des Präsidenten berufen wurde, war er der Beste: Ein Kenner des amerikanischen Hochschulwesens, ein exzellenter Lehrer und Akademiker – Casper ist international anerkannter Experte für amerikanisches Verfassungsrecht – und eine Führungspersönlichkeit mit Charisma und Charme. Bevor Casper nach Stanford kam, wirkte er lange Zeit an der Universität Chicago. 1967 – mit 29 Jahren – wurde er dort als Professor Mitglied der juristischen Fakultät, dann Dekan und 1989 schließlich stellvertretender Uni-Präsident. Als er zum Dekan berufen wurde, entschied sich Casper, amerikanischer Staatsbürger zu werden. „Ich sagte immer: wir, wir, wir – und meinte: Wir in Amerika. Da war es nur fair, daß ich mich mit einschließe.“ Caspers Interesse an Amerika entstand bereits als Schüler: Mit 16 Jahren bekam er eine Einladung von der New York Herald Tribune, die 30 Gymnasiasten aus aller Welt für einen Aufenthalt in die Staaten einlud. Casper wohnte bei Gastfamilien in New York und ging dort zur Schule. Auch einige Studiensemester verbrachte er in den USA – an der Universität Yale im Bundesstaat Connecticut. Was macht amerikanische Universitäten international so erfolgreich? „Die Organisation. Der Rest ist weitgehend eine Frage der Einstellung“, erklärt Gerhard Casper. Hier in Stanford sei man schon seit über 100 Jahren auf sich selbst gestellt. Man müsse daher flexibel und unbürokratisch reagieren, könne sich die Studenten selber aussuchen und von heute auf morgen eine Berufung aussprechen, ohne daß jemand hineinredet. Mit dieser von Stanford abgeschauten Struktur seien inzwischen auch viele staatliche US-Universitäten erfolgreich.

Das Hineinreden ist einer der Punkte, die Casper am deutschen Hochschulwesen kritisiert, auch als Mitglied einer internationalen Kommission zur Beurteilung deutscher Forschungseinrichtungen, die von Bund und Ländern ins Leben gerufen wurde. Casper erzählt, im Abschlußbericht der Kommission sei kritisiert worden, daß die Universitäten zu sehr unter dem Diktat des Verordnungsstaates stünden. „Auch viele in Deutschland möchten, daß die Universitäten mehr Autonomie erhalten.“ Allerdings sei es den wenigsten bewußt, was dann auf sie zukommt – vor allem an persönlicher Verantwortung. „Wenn ich in Deutschland eine Reform durchführen dürfte, würde ich den Universitäten das Recht geben, sich die Studenten selber auszusuchen. Dadurch käme vieles in Schwung, meint der gebürtige Hanseat. Gute Studenten wollen an gute Universitäten. Und gute Universitäten wollen unter einem solchen Wettbewerb stets noch besser werden. „Das hat positive Folgen für die Berufung von Lehrkräften, für das Verhältnis von Forschung und Lehre, für den Lehrbetrieb.“ Wer einen der jährlich etwa 1600 neuvergebenen Studienplätze in Stanford erhalten will, muß herausragen. Im letzten Jahr verbuchte die Universität die Rekordzahl von 18000 Bewerbungen. Zwar könnte Stanford die Zahl der Studienplätze erhöhen – Platz und Lehrkräfte gäbe es genug. Doch einen Massenbetrieb will dort keiner. Um zu den Auserwählten zu zählen, reichen sehr gute Schulnoten und Einstufungstests bei weitem nicht. „Seit jeher suchen wir uns einen Jahrgang aus, der etwas für uns alle bringt“, sagt Casper, „nicht nur intellektuell, sondern auch auf Ebenen wie Sport, Musik, Kunst und sozialem Engagement.“ Die Liste der Stanford-Absolventen liest sich wie die Mischung aus „Fortune 500 Magazine“ und „Who is Who“: Firmengründer William Hewlett und David Packard sowie Jerry Yang und David Filo (Yahoo!) studierten hier ebenso wie die heutigen Chefs der boomenden Unternehmen 3com, Cisco Systems, Sun, Nike oder GAP. Der ehemalige US-Außenminister Warren Christopher und Ex-Präsident Herbert Hoover gehören zu den „Stanford Alumnis“, den Ehemaligen, ebenso wie die Astronautin Sally Ride und der Schriftsteller John Steinbeck. Daß er mit seiner Arbeit einmal dazu beitragen wird, für eine ruhmreiche Fortsetzung dieser Liste zu sorgen, hätte sich Casper nicht träumen lassen. Denn ursprünglich wollte er Karriere im Auswärtigen Dienst machen. Er begann deshalb ein Jurastudium an der Universität Hamburg. Eine zufällige Begegnung mit einem hochgestellten Beamten aus dem Auswärtigen Dienst brachte Caspers Berufswunsch ins Wanken. „Aber Herr Casper, wollen Sie wirklich Ihr ganzes Leben auf Cocktailpartys verbringen?“, wurde er als Erstsemester gewarnt. Casper selbst hatte damals Zweifel an seiner Studienwahl, wobei ihn weniger die Cocktails störten als das Fach selber. Daß Casper doch bei der Juristerei blieb, verdankt er engagierten Professoren in Freiburg und Yale. Das Seminar in Freiburg, das der spätere Bundesverfassungsrichter Konrad Hesse hielt, motivierte den jungen Mann durch seine fachliche Brillanz. Das Seminar in Yale inspirierte ihn durch Brisanz: „Ich habe mich mit einem Yale-Professor das ganze Jahr über Rechtstheorien gestritten.“ Die Diskussionsfreude wurde belohnt. Mit einem Empfehlungsschreiben von jenem Professor ging der streitlustige Student zurück nach Deutschland, promovierte und folgte anschließend einem Ruf der Universität Berkeley, die den damals 27jährigen als Assistenz-Professor engagierte. Seitdem ist er Amerika treu.

„Offensichtlich kann man seinem Schicksal doch nicht entkommen“, bemerkt Casper lachend. „Denn jetzt verbringe ich doch einen Großteil meiner Zeit auf Empfängen und Partys.“ Abend für Abend und an vielen Wochenenden repräsentiert er auf Veranstaltungen oder empfängt Gäste der Universität in einer Villa, die als Amtssitz des Präsidenten dient. Auf die Frage, was er denn tagsüber tue, greift Casper in sein Jackett, zückt Brille und Terminkalender. „Der heutige Tag begann um 7 Uhr mit einer zweistündigen Besprechung. Es ging um die Finanzierung unserer Krankenhäuser“, präsentiert sich der Präsident. Dann folgte ein nicht enden wollendes Stakkato gespickt mit Sitzungen, Ausschüssen und Gesprächen, die sich im stündlichen Rhythmus aneinanderreihten. Sehr zu seinem Bedauern unterrichtet er nur noch selten. Gerade einmal für drei Wochen pro Jahr – bei den Einführungsseminaren vor Beginn eines Semesters – könne er sein Büro gegen den Hörsaal tauschen: Für den regulären Uni-Betrieb sei sein Terminkalender einfach zu turbulent. Trotzdem ist der Präsident für die Studenten kein Unbekannter. Er trifft sich häufig mit Studentenvertretern, besucht Sportveranstaltungen der Stanford-Athleten und folgt gerne den Einladungen zu Studentenpartys. Weniger gerne beschäftigt sich Casper dagegen mit universitätsinternen Konflikten. Doch die nehmen einen immer größeren Teil seiner Arbeit ein. Auch in den USA habe so etwas wie deutsche Reglementierungswut und Klagefreudigkeit eingesetzt, bedauert Casper. Interne Streitereien gehören zum Alltag eines Universitätspräsidenten. Schon zehn Prozent seiner Zeit müsse er diesen Problemen opfern. Rechne man den damit verbundenen Aufwand in den Fakultäten und bei den Anwälten mit ein, dann käme man pro Fall schon mal auf 10000 Arbeitsstunden. Wird seine Tochter Hanna – von Beruf Anwältin – nach den Tätigkeiten ihres Vaters gefragt, antwortet sie: „Er ist Beklagter.“ Diese Stunden fehlen ihm auch im Privaten. Für Tochter, Enkelin und Ehefrau Regina, die ebenfalls Professorin in Stanford ist, bleibt ihm wenig Zeit. Und zu seinem Hobby, dem Lesen, kommt Casper meist erst, wenn die Uhr den neuen Tag eingeläutet hat.

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Doch Casper ist von seinem Beruf nach wie vor begeistert. Vor allem „das Dialogische“ ist dem Präsidenten wichtig. Er meint damit den Dialog zwischen Studenten und Lehrpersonal. „Es soll ja nicht so sein, daß der Professor vorne steht und seine Weisheit den Studenten mitteilt. Die Studenten sollen seine Weisheit in Frage stellen.“ Und das ginge am besten im Rahmen von kleinen Veranstaltungen. Höchste Anerkennung wurde ihm zuteil, als er 1996 die „Stanford Introductory Studies“ einführte, die sich durch kleine Vorlesungen und Seminare für die jüngeren Studentenjahrgänge auszeichnen. Der Präsident warb Gelder ein für mehr Lehrkräfte und brachte über einen langwierigen Prozeß die Fachbereiche dazu, einen Teil ihrer Lehrveranstaltungen besser als bisher auf die jüngeren Semester zuzuschneiden. Am Herzen liegt dem 61jährigen auch die Stärkung der Geisteswissenschaften in Stanford. Aus seinem eigenen Fond rief er 1997 die „Stanford Presidential Lectures“ ins Leben, eine künstlerisch-geisteswissenschaftliche Vortragsreihe, die mit Christo und Jean-Claude eröffnet wurde. Gegenwärtig bemüht sich Gerhard Casper um eine von staatlichen Mitteln unabhängige Förderung der „Graduate Students“, der Doktoranden. Rund 300 Standford-Studenten sollen ihre Ausbildung für drei Jahre voll finanziert bekommen. Das kostet gut 200 Millionen Dollar. 160 Millionen hat Casper schon zusammengetrommelt. Erfolg, Erfolg Erfolg. Welche Ziele setzt sich ein Mann, der so vieles erreicht hat und soeben verkündete, daß er ab Herbst 2000 nicht mehr als Stanford-Präsident zur Verfügung steht? „Daß wir bis dahin noch besser werden“, antwortet Gerhard Casper wie aus der Pistole und macht sich auf den Weg zur nächsten Besprechung.

Désirée Karge / Gerhard Casper

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