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Harte Schale – weicher Kern

Allgemein

Harte Schale – weicher Kern
„Eine harte Nuß knacken“ ist das sprichwörtliche Synonym für „ein schwieriges Problem lösen“. Lösen Nußknacker das Problem, den begehrten Kern unversehrt aus der Schale zu bergen?

Die Natur hat manche Früchte mit sehr harter Schale ausgestattet, die es Mensch und Tier schwer macht, an den nahrhaften Kern zu kommen. Für eine Pflanzengattung muß der Verzehr ihrer Früchte nicht immer zum Schaden sein. Zum Beispiel ist das Eichhörnchen ein großer Nußfresser und trägt gerade dadurch zur Verbreitung von Hasel- und Walnuß bei, weil es von den Nüssen, die es scheinbar planlos an den verschiedensten Orten vergräbt, im Laufe des Winters eine große Zahl nicht wiederfindet. Im Frühjahr keimen diese Nüsse, und es wachsen neue Nußbäume, falls es ihnen an dem Standort behagt. Wenn also junge Nußbaumpflanzen in einem Garten wachsen, wo weit und breit kein großer Nußbaum steht, können sie von einem vergeßlichen Eichhörnchen herrühren.

Erfahrene Eichhörnchen: Sie sprengen Haselnüsse in ähnlicher Weise auf, wie wir es mit einem spitzen Messer tun können. Dazu schneiden (oder besser: schaben) wir an der Nußschale mit etwas Mühe die kleine Spitze ab. Dabei kommt ein Spalt zum Vorschein, der offenbar eine von der Natur vorgesehene „Sollbruchstelle“ ist, die dem Keim hilft, die Nußschale zu sprengen. Wir erweitern den Spalt, bis sich die Messerspitze bequem hineinstecken läßt. Indem wir nun das Messer mit sanfter Gewalt drehen, hebeln wir ein Stück Schale heraus. Danach läßt sich problemlos ein größeres Loch in die Nußschale brechen und der Kern herausholen.

Das Eichhörnchen fräst zum gleichen Zweck mit seinen Nagezähnen unter eifrigem Kopfnicken eine lange Kerbe über die Spitze der Nußschale, wobei es die Nuß mit den Vorderpfoten festhält. Es schlägt die unteren Nagezähne als Keil (oder „Brechstange“) in die Kerbe und sprengt die Nuß mit einem kräftigen Biß auf, mit etwas Glück in zwei Hälften. Nicht alle Eichhörnchen machen es gleich, sondern jeweils so, wie sie es gelernt haben.

Bei Walnüssen gehen sie ganz ähnlich vor. bdw-Leser Thomas Bark schickte mir zusammenpassende Hälften von Walnußschalen, in die das Eichhörnchen am stumpfen Ende, wo die weiche Wand aus dem Inneren auch die harten Nußschalen trennt, an der Trennfuge entlang eine deutliche Kerbe gefräst hatte, ehe es die Nuß aufsprengte. Die Schalen lagen in einem Umkreis von nur zwei Meter Durchmesser unmittelbar neben dem Nußbaum.

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Wir können von Eichhörnchen lernen, wie man Walnüsse öffnet, ohne den Kern mehr als nötig zu beschädigen. Mit einem flachen spitzen Messer, das wir in die weiche Schicht am stumpfen Ende der Walnuß zwängen, läßt sich die Nuß in zwei Teile brechen, falls die beiden Schalenhälften nicht gar zu fest aneinanderhängen. Die Zahnmarken von Eichhörnchen an den Nußschalen können kaum mit den Freßspuren von Mäusen oder Vögeln verwechselt werden. Mäuse müssen ein komplettes Loch in die Schale nagen. Vögel hacken die Schale mit dem harten Schnabel auf, was leicht an dem zerklüfteten Rand des Loches zu erkennen ist. Dünnschalige Walnüsse werden von den Eichhörnchen allerdings gelegentlich auch aufgebissen.

Falsche Nüsse: Außer Hasel- und Walnüssen sind Para-, Peca-, Erd- und auch Cashew-Nüsse überaus köstlich, Mandeln nicht zu vergessen. Doch „Nüsse“ im biologischen Sinne sind nur die Früchte mit harter Außenschale, zum Beispiel die kleinen Kerne der Erdbeere. Erdnüsse dagegen sind Hülsenfrüchte wie Erbsen und Bohnen, und Paranüsse sind die Samenkerne der menschenkopfgroßen Sammelfrucht eines bis zu 30 Meter hohen immergrünen tropischen Baumes, der Bertholletia excelsa, von dem jede Frucht 15 bis 40 solcher Kerne enthält. Sogar die Walnuß ist, biologisch gesehen, keine echte Nuß, sondern der Stein einer Steinfrucht wie Pflaume und Kirsche. Ihr Fruchtfleisch umgibt den Stein als grüne Hülle, die später schwärzlich abfault und die Hände beim Pflücken dauerhaft braun färbt. Die Umgangssprache nennt sie alle Nüsse und kümmert sich nicht um die Systematik der Biologen, nach der auch Rosen keine Dornen haben, sondern Stacheln.

Rohe Gewalt: Von einigen Affenarten wird berichtet, daß sie Nüsse aus großer Höhe von den Bäumen werfen – dorthin, wo der Boden hart genug ist – eine Gewaltmethode zum Nüsseknacken, bei der die Kerne kein besseres Schicksal erleiden als die Schalen. Auf weichem Boden lassen sich Nüsse nicht zerschlagen. Auf Englischem Rasen haben sogar rohe Eier, die aus einem Flugzeug abgeworfen werden, eine reelle Chance, beim Aufschlag heil zu bleiben. Ich erinnere mich, in zwei Aufsätzen des englischen Mathematikers Littlewood mit dem Titel „Adventures in Ballistics“ über solche Experimente aus dem Ersten Weltkrieg gelesen zu haben.

Gehen wir der Frage nach, ob die Affen gut beraten sind, Nüsse zum Knakken aus großer Höhe auf den Boden zu werfen. Walnüsse zum Beispiel sind so leicht, daß sie durch die Luftreibung stark gebremst werden. Die Widerstandskraft W der Luft wächst überproportional mit der Geschwindigkeit v der Nuß. Nehmen wir vereinfachend an, daß sie quadratisch mit v wächst, der Querschnittsfläche A der Nuß und der Dichte r der Luft (1,3 Ÿ 10-3 g/cm3) proportional ist: W = cArv2/2. Die dimensionslose Widerstandszahl c wird gewöhnlich so definiert, daß der Faktor 1/2 erscheint; rv2/2 ist der „Staudruck“ der Luft, der sich an der Vorderseite der Nuß einstellt.

Wie auch immer der Affe die Nuß abwirft – nach längerem Flug stellt sich Gleichgewicht zwischen dem antreibenden Gewicht G = mg und dem bremsenden Widerstand W ein (m ist die Masse der Nuß, g = 10 m/s2 die Schwerebeschleunigung). Danach fällt die Nuß mit der konstanten „Sinkgeschwindigkeit“ vo =€2mg/cAr.

Für eine Walnuß mittlerer Größe (m = 11 g, A = 10 cm2) würde sich also etwa vo = 21 m/s oder 75 km/h einstellen, wenn man die Widerstandszahl c = 0,4 schätzt. Die Nuß wäre am Ende nicht schneller, wenn der Affe sie von hoch oben aus dem Baum herunterwerfen würde. Falls die Sinkgeschwindigkeit zu klein ist, die Nuß zu knacken, muß sich der Affe auf den Boden der Tatsachen bemühen und die Nuß entweder mit größerer Heftigkeit zu Boden werfen oder sich eine andere Methode zum Nüsseknakken einfallen lassen.

Höhere Primaten, etwa Schimpansen in Tanganjika, gebrauchen Werkzeuge, wenn die Kraft der Hände oder Zähne nicht ausreicht. Offenbar haben sie die Erfahrung gemacht, daß ein harter Schlagstein zum Nüsseknacken nicht genügt, sondern die Nuß gleichzeitig auf einem harten Amboßstein liegen muß. Nachdenklich muß uns stimmen, daß vergleichbare Werkzeuge, nämlich Amboß und Nußhammer, bis zum heutigen Tage in den Nußindustrien des französischen Périgord und in Chile das professionelle Werkzeug beim Entkernen der Walnüsse sind – ein Anachronismus des Technik-Zeitalters. Erfahrungsgemäß erzielen geübte Arbeiterinnen in Handarbeit eine größere Ausbeute an heilen Walnußhälften als alle bekannten maschinellen Techniken.

Bissige Nußknacker: Beim häuslichen Nüsseknacken wird gewöhnlich zu etwas fortschrittlicheren Werkzeugen gegriffen. Am bekanntesten ist bei uns der buntbemalte hölzerne Nußbeißer, dem das Maul bis zum Bauch reicht. Es gibt ihn wohl schon seit dem 16. Jahrhundert. Im Erzgebirge und neuerdings auch in Taiwan wird er noch hergestellt. Sein Kopf ist übergroß, und die Körperproportionen sind grotesk, sie entsprechen im Oberkörper einem Kleinkind, im Unterkörper einem Erwachsenen. Mit seinem großen Maul wurde er zum Menschenfresser und Kinderschreck und avancierte schon in der napoleonischen Zeit zur Symbolfigur der politischen Satire. E.T.A. Hoffmanns Märchen vom „Nußknacker und Mäusekönig“ (1816) entstammt der gleichen Zeit.

Technisch ist der erzgebirgische Nußknacker eine Hebelpresse mit langem Kraftarm l und kurzem Lastarm x in Bezug auf den Drehpunkt A. Nach dem Hebelgesetz („Kraft mal Kraftarm gleich Last mal Lastarm“) verstärkt sich die von der Hand ausgeübte Kraft F zur Kraft P = Fl/x auf die Nuß.

Mein großer Nußknacker hat einen Handhebel von ungefähr l = 15 cm Länge, und die Mitte der Nuß ist etwa x = 3 cm vom Hebeldrehpunkt entfernt (zum Festhalten der Nuß ist in die Zunge eine kleine Vertiefung eingelassen). Also wird die Kraft der Hand um den Faktor l/x = 5 verstärkt.

Eine Walnuß bricht nach unseren Versuchen auf der Prüfmaschine im Mittel bei P = 300 N (Newton), eine Haselnuß bei Kräften um P = 500 N. Um eine durchschnittlich harte Nuß zu knacken, muß man daher bei diesem Nußknacker-typ mit verhältnismäßig großen Kräften F = 60 N beziehungsweise F = 100 N drücken, die dem Gewicht von 6 oder 10 Kilogramm entsprechen.

Dieser hölzerne Mann ist also nicht der ideale Helfer beim Nüsseknacken. Im nächsten Heft von bild der wissenschaft werden wir uns deshalb die typischen Zangen und Pressen ansehen, mit denen man die Nüsse leichter knackt.

Wolfgang Bürger

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Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

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Wissenschaftslexikon

Rhythm and Blues  〈[riðm nd bluz] m.; – – –; unz.〉 stark rhythmisierte Bluesmusik der amerikanischen Schwarzen [engl., ”Rhythmus und Blues“]

Raum|fahrt|be|hör|de  〈f. 19〉 für Raumfahrtprogramme zuständige Behörde, z. B. die NASA

po|ly|rhyth|misch  〈Adj.〉 in der Art der Polyrhythmik, verschiedene Rhythmen zugleich aufweisend

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