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Konrad Schily: Der Geist von Herdecke

Allgemein

Konrad Schily: Der Geist von Herdecke
Der Gründer der ersten deutschen Privatuniversität zieht Bilanz. Hellwach, aber wenig aufgeregt führte der Mediziner die erste deutsche Privatuniversität Witten/Herdecke 17 Jahre lang als Präsident. Bis heute verkörpert Konrad Schily seine Universität wie kein zweiter Hochschullehrer.

Mitten in Witten. In einem Industriegebiet des Ruhrstädtchens – zwischen Nissan- und Volkswagen-Händler – trotzt die erste deutsche Privathochschule dem staatlich bewirtschafteten Geist. Die Nähe der „Universität Witten/Herdecke GmbH“ zur Industrie ist kein Zufall. Auch wenn der Universitätscampus auf dem höchsten Punkt des Hügels thront und sich baulich somit über die Kleinode des Wittener Gewerbetreibens erhebt: Berührungsängste mit der Wirtschaft hat niemand an dieser Hochschule, die den Linken schon immer zu rechts und den Rechten zu links war. Davon zeugt Dr. Konrad Schily: Der langjährige Präsident des Wittener Hochschulzwergs gründete 1982 gegen die „gelenkte Bildungsplanwirtschaft an staatlichen Universitäten“ (Schily) einfach seine eigene Universität, obwohl private Bildungseinrichtungen damals gerade unter Sozialdemokraten als Hort für lernresistente Sprößlinge reicher Eltern verpönt waren. Das damalige SPD-Mitglied Schily – inzwischen ist er aus der Partei ausgetreten – wollte sich mit bloßen Diskussionen über Hochschulreformen nicht zufriedengeben und rief statt dessen eine Reformhochschule ins Leben. „Anfang der achtziger Jahre war eine Privatuni doch etwas ganz Furchtbares – ein Verbrechen“, erinnert er sich. Motivation waren ihm dabei sicherlich sein Hang zum Weltverbessern und seine felsenfeste Überzeugung, damit das einzig Richtige zu tun. Motiviert hat ihn aber auch sein Leidensdruck: Schily hatte Medizin studiert, in Tübingen und Hamburg – und war in hohem Maße frustriert und unglücklich über das, wie sich ihm die staatlichen Bildungseinrichtungen präsentierten. Wie viele andere – nur: Er packte zu.

„Am Anfang war nur Schily. Der kann Leute begeistern“, schwärmte einmal Bertelsmann-Vorstand Reinhard Mohn, der der Universität Witten/Herdecke 1989 durch eine längerfristige und großzügige Spendenzusage (fünf Jahre lang fünf Millionen Mark) aus dem Gröbsten heraushalf. Dabei hatte Mohn bei Schilys erstem Vorstoß sauer reagiert: „Das soll Ihr Konzept sein?“, fragte er – und wie es denn überhaupt mit der Führungsstrategie aussehe. „Bringen Sie uns das bei“, war damals Konrad Schilys Antwort. Das motivierte Mohn, sich zu engagieren. Wer den Bundesinnenminister Otto Schily kennt, kennt zu einem Stück dessen Bruder Konrad. Die Ähnlichkeit der beiden ist auffällig. Gleichwohl ist Konrad der besser aussehende, der smartere und der weniger bissige. Allerdings kann er auf die Bissigkeit seines fünf Jahre älteren Bruders Otto verzichten. Denn in seinem Job brauchte er, wovon er im Überfluß hat: Charme. So manche Million floß nur wegen dieses Charmes, verbunden mit Schilys tiefer Überzeugung in den Universitätsfonds. Denn in dem, was Schily seit 17 Jahren verkauft, liegt ein Teil seiner Seele: Er verkauft den vielzitierten Geist der Universität Witten/Herdecke. Eigenverantwortung und Praxisnähe, Internationalität, Gedankenaustausch zwischen den Fächern, Phantasieförderung und soziale Verantwortung – das ist dieser Geist, der nach Schilys Vorstellung in Witten/Herdecke umgeht. Gerne läßt der Präsident auch mal das Wort „Elite“ fallen. Einen Harvard-Verschnitt wolle er, warf man ihm deshalb früher oft vor. „Das war nicht ganz unrichtig“, sagt Schily heute. „Auf der einen Seite wollte ich eine Universität, an der eine Elite ausgebildet wird. Und auf der anderen Seite wollte ich aber auch, daß diese Elite begreift: Die Welt ist nicht nur für uns da, sondern die Probleme der Welt sind auch unsere.“ Ein anderes Reizwort, das Schily von Anfang an unermüdlich bemühte, heißt Studiengebühren. Mit seiner Forderung nach einer finanziellen Beteiligung der Studenten an ihrer Ausbildung stand er innerhalb der Hochschulgemeinde lange Zeit alleine da. 1995 – während der größten Finanzkrise der Universitäts-GmbH, setzte er sich schließlich durch. In langen Diskussionen schuf Schily gemeinsam mit den Studierenden ein Finanzierungsmodell, das heute noch gilt: Jedes Studium an der Privatuni kostet den Studierenden 29700 Mark – ganz gleich, wie lange es dauert und um welches Fach es sich handelt. Fördermittel können dafür nicht in Anspruch genommen werden. Mit der Zwangsabgabe hat Schily eine seiner letzten großen Forderungen aus Gründerzeiten durchgesetzt.

Die stattliche, aber im Vergleich zu US-Privatuniversitäten doch bescheidene Summe kann semesterweise entrichtet werden oder auch erst nach Verlassen der Universität, wenn auf die „Elitestudenten“ das große Geld wartet. Zumindest die Einstiegsgehälter der Absolventen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät sind bundesdeutsche Spitze. Nur fünf Prozent der Uni-Mittel werden auf diese Art von den knapp 1000 Studierenden zusammengetragen. Der Rest kommt aus Spenden, der Landesförderung, aus Dienstleistungen der Universität sowie aus eingeworbenen Forschungsmitteln. Wie sieht Schily sein Lebenswerk heute, am Ende seiner Präsidentschaft? „Es wäre sicherlich nicht gut, wenn die Universität genauso geworden wäre, wie ich mir das vor Jahren vorgestellt habe“, sagt er. „Dann wäre es auch nicht diese Universität. Denn die lebt ja vom ständigen Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden.“ Eine von Schilys Visionen, die sich zunächst nicht realisieren ließen, war es, die Fakultätsgrenzen aufzubrechen: „Aber da habe ich nachgegeben. Es war praktischer, in Fakultäten zu denken, uns auf diese Weise zu organisieren und so schneller voranzukommen.“ Schily glaubt dennoch, daß seine Vision von der fakultätsübergreifenden Hochschule Realität wird: durch den schnellen Wandel in den Wissenschaften. „Die Randbereiche werden jetzt sogar zwischen den Natur- und Geisteswissenschaften unscharf. Was Witten/Herdecke immer gewollt hat – den Generalisten auszubilden -, wird schon bald in jedem fortschrittlichen Studium zur Notwendigkeit werden.“ „Denken, was noch nie jemand gedacht hat“ ist einer der markigen Sprüche, mit denen die Universität die geistige Leistungsfähigkeit ihrer Studenten preist: Auf Konrad Schily trifft er wirklich zu. Langsam dringen seine reformerischen Ideen von einer Hochschule, die kritische, fachlich gut ausgebildete und zugleich interdisziplinär denkende Menschen mit sozialer Verantwortung ins Berufsleben entläßt, zunehmend auch in die staatlichen Bildungseinrichtungen. Schon heute hat sich aber auch ein ganz anderer gesellschaftlicher Bereich von Schilys Denken prägen lassen: der Alltag in deutschen Krankenhäusern. Vor 30 Jahren, als Konrad Schily noch als Arzt arbeitete, gründete er zusammen mit anderen das Gemeinschaftskrankenhaus in Herdecke an der Ruhr. Damals wollte er vor allem eines erreichen: die Menschlichkeit zurück ans Krankenbett holen. Die Herdecker Klinik war die erste, die möglich machte, was selbstverständlich sein sollte und heute vielerorts auch wieder selbstverständlich ist: etwa daß Neugeborene bei ihren Müttern bleiben oder daß die Familie beim Kranken übernachten kann. Von der Verwirklichung eines anderen Teils des Herdecker Konzepts sind allerdings auch moderne deutsche Kliniken noch weit entfernt: Am Gemeinschaftskrankenhaus gibt es keine Chefärzte, was die Standesvertreter der deutschen Ärzteschaft in den siebziger Jahren endgültig gegen die Reformklinik aufbrachte: Für sie herrschte dort blanke Anarchie. Doch ein Anarchist ist Konrad Schily nicht. Allerdings hat er Führung schon als Kind nur akzeptiert, wenn sie ihn überzeugte. So ohrfeigte er als 13jähriger einen Lehrer vor der Klasse – aus Wut über die Verwandlungskunst des ehemaligen Nationalsozialisten – und flog dafür von der Schule.

Der Abschied von der Macht, die er in Form der Präsidentschaft zum 29. Oktober an den Schweizer Philosophen Walther Zimmerli abgegeben hat, fällt Schily nicht leicht. Aber vor zwei Jahren sei nun einmal „gemeinsam im Direktorium vereinbart“ worden, daß er zu seinem 62. Geburtstag am 7. November den Stab weiterreicht. „Das war so Wille im Direktorium“, sagt Schily und klingt fremdbestimmt – so, als sei das Vereinbarte zwar ein Konsensentscheid gewesen, wie er in vielen Gremien der Universität Witten/Herdecke üblich ist, aber doch nur ein mühsam zustande gekommener. Wie wird es der Privathochschule ohne ihren Gründer ergehen? Schily selbst sagt, er wolle sich nach dem Ausscheiden aus dem Präsidentenamt „nicht immer einmischen“. Nicht immer? Vielleicht ist ihm diese Formulierung auch nur so herausgerutscht. Das passiert ihm allerdings selten. Dafür spricht er einfach zu ruhig und zu bedacht. Schily wählt jedes Wort sehr genau und packt seine volle Überzeugung in jeden Satz. „Auch nimmt er jeden ernst und jedes Anliegen wichtig“, unterstreicht seine Sekretärin Sigrid Fischer, die seit 28 Jahren mit ihm zusammenarbeitet. Konrad Schily weiß sich zu konfrontieren – und doch kaum etwas von sich preiszugeben. Fischer: „In all den Jahren hat er mir nie viel über sein Privatleben erzählt.“ Das mag daran liegen, daß er das, was ihn wirklich bewegt, lieber vor der Öffentlichkeit verbirgt. Er erweckt den Eindruck, als empfinde er schon die Frage nach der Zahl seiner Kinder – es sind vier – als unverschämtes Herumschnüffeln in seinem Privatleben. Vielleicht nimmt er sich selbst aber auch einfach nicht wichtig genug. „Er stellt die Sache über alles“, glaubt Sigrid Fischer, die an ihrem langjährigen Chef gar nichts auszusetzen hat: „Im Prinzip kann ich auf ihn nur ein Loblied singen.“ Kritisches ist auch anderen Menschen in Schilys direktem Umfeld nicht zu entlocken. Dabei kann Konrad Schily Kritik ganz gut einstecken – „verbunden meist mit längerem Zurücklehnen und drei tiefen Gauloise-Lungenzügen“, verrät sein ehemaliger Chauffeur und heutiger Mitarbeiter in Witten/Herdecke, der Arzt Martin Butzlaff. „Wenn die Studierenden unzufrieden sind und eine Vollversammlung einberufen, dann geht er da rein und hört sich deren Kritik an – und zwar mehr, als ich ertragen könnte“, ergänzt seine Sekretärin. Schily findet es immer wieder spannend, sich mit den Ideen und Forderungen der Studenten auseinanderzusetzen. Schließlich sei dieses Spannungsverhältnis zwischen Lehrenden und Lernenden eine Grundvoraussetzung dafür, daß der Geist in Witten/Herdecke auch umgeht: „Alles, was an dieser Universität gut geworden ist, ist aus diesem Spannungsverhältnis entstanden.“

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Und was ist in Konrad Schilys Augen nicht gut geworden an dieser Universität? „Gäbe es da etwas, dann würde ich das bestimmt nicht der Presse erzählen“, erwidert er. „Aber eigentlich kann man erst sagen, daß etwas erfolgreich ist, wenn es auch ohne den geistigen Vater weiterlebt.“

Christina Berndt / Konrad Schily

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