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Milliardenpoker um Saatgut

Allgemein

Milliardenpoker um Saatgut
Ein Gentechnik-Trick läßt Saatgut nur noch ein einziges Mal keimen. Ein US-Konzern will Landwirte zwingen, ihr Saatgut jedes Jahr neu zu kaufen. Umweltgruppen und Bauern fürchten, daß das neue Verfahren zu wenigen, gleichförmigen Sorten führt.

US-Patent Nummer 5723765 steht für ein neues Verfahren, mit dem sich Pflanzen sterilisieren lassen. Für Saatgutkonzerne ist es vielversprechend: Bislang müssen sie sich damit herumschlagen, daß die Bauern zwar oft und gerne bei ihnen Hochleistungs-Saatgut erwerben, daraus aber auf dem eigenen Acker das Saatgut für die folgende Saison selber herstellen. In Deutschland etwa, so schätzt der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter, büßen die Firmen auf diese Weise jährlich etwa 670 Millionen Mark ein.

Durch das neue Verfahren bekommt das Saatgut zwei zusätzliche Gene eingebaut. Das eine Gen bringt die Pflanze dazu, ein Gift zu produzieren, mit dem sie sich selbst vernichtet. Vor der Keimung wird es jedoch nicht abgelesen, da zwischen seiner Steuereinheit und der Information für das Gift ein blockierendes Stück Erbsubstanz liegt. Nach der Keimung des Saatguts wird das zweite Gen aktiv. Es bildet ein Enzym, das die Blockadesequenz herausschneiden kann.

Raffiniertes Fein-Tuning der Forscher: Sie sorgten zusätzlich dafür, daß die Steuerungssequenz des Gift-Gens erst in einem Pflanzenembryo anspringt. Damit startet dessen selbstzerstörerisches Programm erst in der nächsten Pflanzengeneration. Das so manipulierte Saatgut keimt einmal und bringt Ertrag. Verwendet der Bauer jedoch im nächsten Jahr einen Teil seiner Ernte als neues Saatgut, bleibt sein Acker leer.

Das amerikanische Landwirtschaftsministerium USDA begrüßt diese Entwicklung. Das neue Patent mache es möglich, daß Firmen Kosten und Mühe investieren, um neue Sorten zu entwickeln, denn das Geschäft sei nun endlich lukrativ. Sandy Miller Hays, Sprecherin des Agricultural Research Service, einer Abteilung des USDA, weist allerdings darauf hin, daß es noch technische Hürden gibt. Das Verfahren habe bislang nur bei der Modellpflanze Tabak funktioniert und in ersten Tests bei Baumwolle. Frühestens im Jahr 2004 könne es eine derartige Baumwolle auf dem Markt geben. Fraglich ist laut Sandy Miller Hays auch, ob sich das Verfahren auf Sojabohnen und Mais übertragen läßt.

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Bedenken meldet dagegen die Rural Advancement Foundation International, RAFI an. Die neue „Terminator-Technologie“ bedrohe die Sicherheit der weltweiten Nahrungsmittelproduktion, behauptet die Umwelt- gruppe mit Hauptsitz im kanadischen Winnipeg, die seit 20 Jahren die Belange der Bauern in der Dritten Welt gegenüber technologischen Neuerungen aus dem reichen Norden verteidigt. Seit 12000 Jahren würden Landwirte ihr eigenes Saatgut herstellen. Jetzt drohe überall die verhängsnisvolle Monopolstellung der großen Saatgutkonzerne mit wenigen, gleichförmigen Sorten.

Tatsächlich sind bereits viele Sorten aus der Landwirtschaft verschwunden. In den USA beispielsweise gibt es heute nur noch ein Zehntel soviel Apfel- oder Maissorten wie vor 100 Jahren – eine Entwicklung, für die etwa die Welternährungsorganisation FAO die Kommerzialisierung in der Agrarwirtschaft verantwortlich macht.

Besonders bedrohlich ist diese Entwicklung für die Bauern in der Dritten Welt, die immer noch Nahrung für knapp ein Fünftel der Weltbevölkerung herstellen. „Sie sind darauf angewiesen, eigenes Saatgut nachzubauen und es dabei an ihre oft wenig rentablen Böden anzupassen“, erklärt etwa Hope Shand, Forschungsdirektor bei RAFI.

Hiesige Landwirte haben die gewaltigen Ertragssteigerungen bei modernen Nutzpflanzensorten auch ohne das neue Verfahren mit der Abhängigkeit von Saatgutfirmen bezahlt. So kreuzen die Firmen beispielsweise verschiedene Sorten Mais oder Sonnenblumen für die Herstellung von Saatgut, das aufgrund der genetischen Unterschiede beider „Eltern“ besonders hohe Erträge liefert. Der Versuch, aus solchem Material wieder eigenes Hochleistungs-Saatgut herzustellen, scheitert allerdings – die genetischen Eigenschaften der Elterngeneration bleiben bei den Nachkommen nicht erhalten.

Anders sieht es derzeit noch bei Getreide aus. Wiltrud Jennissen, Pressesprecherin des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter: „Wir schätzen, daß etwa die Hälfte des angebauten Weizens und Roggens Nachzuchten sind.“ Allerdings geht dabei der Züchter seit diesem Jahr nicht mehr leer aus. Laut einer Neuregelung im Bundessortenschutzgesetz muß jeder Landwirt ab einer gewissen Fläche und Saatgutmenge eine Gebühr an den BDP zahlen, wenn er zertifiziertes Saatgut von Weizen, Roggen, Gerste, Ackerbohnen, Lupinen, Erbsen oder Kartoffeln nachbaut.

Immer mehr hiesige kleinere und mittlere Saatgutunternehmen stehen vor dem Problem, daß ohne Gentechnik nicht mehr viel läuft, diese Forschung aber vergleichsweise teuer ist. Etwa 1500 Saatgutfirmen gibt es derzeit, 600 davon in den USA, 400 in Europa. Doch schon heute besetzen 24 Firmen mehr als die Hälfte des Markts – Tendenz steigend. Jennissen: „Es ist absehbar, daß sich bei den Pflanzen, mit denen an den Weltmärkten das große Geld verdient wird, ein Dutzend Firmen den Markt teilen werden.“

Wollte ein bundesdeutscher Züchter das neue Verfahren dereinst lizenzieren, würde er seine Gebühren auch nicht mehr an die amerikanische Firma Delta & Pine bezahlen, die das US-Patent zusammen mit dem amerikanischen Landwirtschaftsministerium angemeldet hat. Am 11. Mai schockte Monsanto, der „Life-Sciences“-Konzern aus St. Louis, Missouri, USA, die Branche mit der Übernahme der Saatgutfirma für 1,76 Milliarden US-Dollar.

Am gleichen Tag blätterte er weitere 2,5 Milliarden US-Dollar für die Saatgutfirma DeKalb Genetics, den zweitgrößten Maisverkäufer in den USA, auf den Tisch. Laut Aussagen von Insidern ist es nur eine Frage der Zeit, bis Monsanto auch in Deutschland Saatgutfirmen kauft. Inzwischen hat das Unternehmen seinen Plan bekanntgegeben, daß es mit dem Chemiekonzern American Home Products fusionieren will.

Vielleicht setzt der dann entstehende Biotechnologie-Riese das neue Patent am Ende aber gar nicht ein. Nach derzeitigem Stand der Technik verbietet sich das eigentlich von selbst. Denn die eingebaute Sterilität könnte via Pollenflug auch an andere Sorten der gleichen Nutzpflanze im Nachbarfeld weitergereicht werden. Das Ergebnis lautete im schlimmsten Fall: Ein Landwirt, der sein Saatgut legal nachgebaut hat, stellt fest, daß es nicht keimt. Das wäre dann wirklich der lange beschworene große Unfall in der grünen Gentechnik.

Bernhard Epping

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