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Syrien – Monumente einer 5000jährigen Kultur

Allgemein

Syrien – Monumente einer 5000jährigen Kultur
Alte Stätten – aus der Luft neu betrachtet. Ein Großteil der orientalischen Geschichte präsentiert sich in grandiosen Monumentalbauten. Die Vorgeschichte bringen die Archäologen jetzt ans Licht.

Hier waren sie alle: Die Steinzeitmenschen und die Kreuzritter, die Hethiter und die Römer, die Ägypter und die Perser, die ersten Bauern und die frühen Städtebauer. In Syrien ist die Historie der menschlichen Zivilisation selbst Geschichte – wissenschaftlich greifbar seit weit über 12000 Jahren.

Dabei war dieser alt-orientalische Raum zwischen Euphrat und Mittelmeerküste bis in dieses Jahrhundert hinein nie imperialer Nationalstaat, sondern meist heillos zersplittert in Regionalreiche und Stadtstaaten, die zum Spielball der Mächtigeren wurden: Die Ägypter etwa stritten mit den Hethitern um die Vorherrschaft in Syrien. Die Assyrer eroberten das ganze Gebiet, die Perser übernahmen es von ihnen. Alexander verleibte Syrien seinem Weltreich ein, die Römer traten das Erbe an. Die Kreuzritter versuchten gegen die Mohammedaner zu bestehen.

Doch machtpolitische Verschiebungen im Vorderen Orient begannen oft in den zentralen Steppen Syriens (bild der wissenschaft 12/1996, „Der Mythos vom Heiligen Land“). Die ebenso glorreiche wie blutige geschichtlich faßbare Zeit ist durch vielerlei schriftliche Quellen bekannt. Syrien ist voller archäologischer Stätten aus einer bewegten Vergangenheit – hier sind nur die gezeigten Bildbeispiele eingezeichnet.

Weniger bekannt ist Syrien als Wiege der Zivilisation in den vorgeschichtlichen Perioden der Menschheit. Dabei traten gesellschaftliche Innovationen wie Seßhaftigkeit und Städtebau hier früher auf als andernorts. Fortschritte in Technik und Kultur, in Handel und Wandel wurden hier forciert, denn als „Durchgangsland“ saugte Syrien alle Entwicklungen der Nachbarn auf, formte sie um, verfeinerte sie und gab sie weiter. Auf weite Sicht gesehen, war die Region somit eher treibende Kraft als Opfer.

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„Hier gibt es die besten Daten für die frühe Entwicklung der Menschheit“, schwärmt denn auch Prof. Hartmut Kühne, Archäologe an der Freien Universität Berlin. Das beginnt schon vor rund 900000 Jahren im Pa- läolithikum, in der ganz frühen Steinzeit also, aus der die Archäologen Funde vorweisen können. Aus der nachfolgenden Neandertalerzeit wurde gerade in der Höhle von Dederiye bei Aleppo das erste nahezu vollständige Kinderskelett gefunden. Nach der letzten Kälteperiode, der Würmeiszeit, die im Vorderen Orient freilich eine Regenzeit war, finden die Forscher Hinweise auf eine bahnbrechende Veränderung der Lebensweise: Am Ende des Epipaläolithikums (um 11000 v. Chr.) beginnt eine frühe „Aktion Eichhörnchen“ – in halbunterirdischen Rundbauten werden die ersten Speisekammern mit Steingefäßen angelegt. Ab 10000 v. Chr. (Protoneolithikum) setzt der Mensch dann Wildgetreide auf seinen Essensplan.

Und das alles ohne Geschirr, Tiegel und Topf. Denn Keramik zählt nicht zu den Fertigkeiten des neolithischen Zeitgenossen. In dieser „akeramischen“ Epoche – „Pre Pottery Neolithic“, nochmals in PPNA und PPNB unterteilt – setzt der Mensch, nicht nur in Syrien, zum zivilisatorischen Tigersprung an: In Nevali Chori im südöstlichen Anatolien entdeckten deutsche Archäologen einen Tempel, der im 8. Jahrtausend errichtet und mit Steinskulpturen ausgestattet wurde. Im nahegelegenen und etwas älteren Göbekli Tepe wurden Tierskulpturen und monolithische Architektur freigelegt, die auf ein Freiluft-Heiligtum schließen lassen. In Jerf al-Ahmar an der syrisch-türkischen Euphrat-Grenze gruben französische Archäologen Rechteckbauten aus – das setzt die Beherrschung des rechten Winkels voraus. Die Forscher fanden auch Steinplättchen mit Symbolen, die man als Kommunikationssystem ansprechen kann. Alter: 11000 Jahre vor heute. Vor 9000 Jahren lebten in ‚Ain Ghazal im heutigen Jordanien 2000 Menschen mit hohem Komfort in einer ausgeklügelten Stadt, die Handelsbeziehungen bis nach Anatolien und zum Mittelmeer unterhielt (bild der wissenschaft 4/1994, „Aufstieg und Fall der Stadt ‚Ain Ghazal“). Die Bibel-berühmten Mauern von Jericho wurden (erstmals) im 8. Jahrtausend v. Chr. errichtet. Mit Bouqras brachten holländische Ausgräber eine planmäßig angelegte Stadt mit Gassen, Freiplätzen und rund sieben Hektar Fläche aus dem 7. Jahrtausend v. Chr. ans Licht der Neuzeit.

„Angesichts dieser revolutionären archäologischen Funde“, resumiert Orient-Archäologe Hartmut Kühne, „muß man sich fragen, ob unsere Vorstellung vom Leben des frühen Menschen noch haltbar ist.“

Der FU-Forscher, der selbst erfolgreich in Syrien gräbt (bild der wissenschaft 3/1996, „Wie Gott in Assyrien“), ist dabei nachdrücklich der Meinung, daß „man für die Zeit des 8. und 7. Jahrtausends umdenken und sich ein anderes Modell für die gesellschaftliche Entwicklung zurechtlegen muß“.

Bislang gingen die Forscher davon aus, daß diese steinzeitliche Menschheitsperiode von sogenannten egalitären Gesellschaftsstrukturen geprägt war, in denen gleichberechtigte Familien nebeneinander existierten und sich autark versorgten. Eine hierarchische Schichtung der Gemeinschaft sollte sich nach diesen Vorstellungen erst im folgenden Chalkolithikum, der Steinkupferzeit ab 4500 v. Chr., herausgebildet haben. Das ist angesichts der archäologischen Funde schwer vorstellbar: Meterdicke Mauern, Siedlungen mit Straßenzügen, Tempel mit Götterstatue und Stele, Vorratsräume mit Wasserkühlung und Werkstätten zur Serienproduktion sind ohne einen übergeordneten Willen und ohne Arbeitsteilung nicht denkbar. So scheut sich Kühne denn auch nicht, diese vorkeramische Steinzeit in Syrien als „neolithische Hochkultur“ zu bezeichnen.

Gegen 6000 v. Chr. kommt die „blühende Kulturlandschaft“ (Kühne) zu einem Ende, zu einem langsamen, wie Kühne meint, auf alle Fälle zu einem friedlichen Ende. Grund ist eine Klimaänderung, die das labile Gleichgewicht des Vorderen Orients kippt. Der „Fruchtbare Halbmond“ – jene sichelförmige Großregion von Ägypten über Palästina, Nordsyrien zum Euphrat – hatte mit ausreichend Fluß- und Grundwasser, unterschiedlich starken Regenfällen und pflanzenreichen Steppengebieten die Seßhaftwerdung, Landwirtschaft und Viehzucht begünstigt. Doch es blieb eine Risikozone, mit dem immer trokkener werdenden Klima im 7. Jahrtausend verdorrte die Nahrungsgrundlage. Für die rasant gewachsene Bevölkerung ging es ums Überleben, sie zog sich in regensicherere Gebiete zurück. Die steinzeitlichen Siedlungen jedenfalls wurden aufgegeben und auch später, in einer neuen Feuchtphase, nicht wieder reaktiviert. Die neolithische Hochkultur war vorüber. Die weitere Kulturentwicklung verlagert sich in den mesopotamischen Bereich, dort setzt der gut dokumentierte Urbanisierungsprozeß ein, der über die frühen Stadtstaaten zu den babylonischen und assyrischen Reichsgründungen führt.

Doch aus Syrien kommen weiter Impulse und Initiativen: Zu Beginn des 2. Jahrtausends drücken aus der syrischen Zentralsteppe die Kanaäer nach Westen und sorgen – in der Bibel nachzulesen – in Palästina für erhebliche Unruhe. Die Amoriter starten, ebenfalls aus der Steppe kommend, ostwärts nach Mesopotamien. Sie sickern ein und übernehmen in einem Marsch durch die Institutionen die Macht – die Grundlage für das altbabylonische Reich wird bereitet.

Gegen Ende des 2. Jahrtausends, um 1200 v. Chr., verbreiten sich, aus der Steppe kommend, die Aramäer in Syrien, ihre Kleinstaaten – darunter Damaskus (Aram) – können sich gegen die Assyrer nicht halten und werden in deren Reich integriert. Ihre Buchstabenschrift jedoch, vermutlich bei den Phöniziern entlehnt – und damit ihre Sprache – setzt sich so erfolgreich durch, daß sie bis in christliche Zeit zum internationalen Verständigungsmittel des Orients wird.

Syrien selbst blieb in Stadtstaaten und Kleinkönigreiche aufgesplittert. Die beiden Reiche, die zeitweilig zu Macht und Bedeutung kamen, sind Ebla und Iamchad, das heutige Aleppo. Ebla – heute Tall Mardich – war aus altorientalischen Schriften bekannt, konnte aber erst in den siebziger Jahren unseres Jahrhunderts archäologisch in Nordwestsyrien lokalisiert werden: Italienische Archäologen gruben das umfangreiche Keilschriftarchiv aus – rund 15000 Tafeln zeugen nun davon, daß bereits um 2500 v. Chr. in Syrien Schrift verwendet wurde. Ebla war im 3. Jahrtausend Drehscheibe des Handels zwischen Mesopotamien und dem Mittelmeer sowie zwischen Anatolien und Ägypten – das dürfte Reichtum und Macht, aber auch Neid und schließlich finale Feindschaften gebracht haben.

Iamchad hatte seine Blütezeit im 2. Jahrtausend v. Chr. Bis vor kurzem war die Wissenschaft über das Reich nur sekundär, durch Keilschrifttexte aus Tell Atchana (dem alten Alalach) informiert. Die bronzezeitliche Metropole – heute mit 550 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Syriens – ist völlig überbaut. Der Burgberg, unter dem die alten Siedlungen vermutet werden, ist nicht nur mit einer bombastischen Zitadelle gekrönt, sondern komplett gepflastert. Im letzten Jahr haben Berliner Forscher dort einer früheren französischen Sondage nachgegraben und Skulpturen und reliefierte Orthostate aus dem 10. Jahrhundert v. Chr. ans Tageslicht gefördert. Die Hoffnungen auf noch ältere Funde sind groß, die Grabungen werden fortgesetzt.

So ist das in den letzten 30 Jahren intensiv erforschte Gebiet des heutigen Syriens immer noch gut für Überraschungen aus dem alten Orient. Fortsetzungen sind nicht ausgeschlossen, denn es gibt noch einige offene archäologische Fragen, die der Lösung harren: Zum Beispiel die Wiederentdeckung der mittanischen Hauptstadt Waschukanni, die in Nordostsyrien gelegen haben muß.

Michael Zick / Georg Gerster

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