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Titelthema – Hypnose: Zurück, um voranzukommen

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Titelthema – Hypnose: Zurück, um voranzukommen
Milton Erickson – der Mann, der die Hypnose aus dem Dornröschenschlaf weckte. Die moderne Hypnotherapie ist weltweit mit einem Namen verbunden: Milton Erickson. Der amerikanische Mediziner warf akademische Leitsätze über Bord und formte ein System auf dem Boden von Praxis und Menschenkenntnis. Seine eigene schwere Krankheit nutzte er als permanentes Experiment zur Selbsterfahrung.

Als Kind sah Milton Erickson eines Tages, wie sich sein Vater vergeblich abmühte, ein widerspenstiges Kalb von der Tränke im Hof zurück in den Stall zu bugsieren. Es half kein Ziehen, Zerren oder gutes Zureden. Milton ahnte, daß es auf direktem Weg nicht gelingen würde, den Dickschädel durch die Tür zu bewegen. Er ergriff den Schwanz des Kalbes, zog ihn kräftig nach hinten – und das Tier stürmte nach vorne durch die Stalltür. Diese Methode der „paradoxen Intervention“ sollte ein Eckpunkt der Psychotherapie werden, wie Erickson sie formte. Heute handeln Psychotherapeuten weltweit nach seinen Lehren.

Mit 17, im Jahr 1918, entging Milton Erickson nur knapp dem Tod durch Kinderlähmung. Die Polio-Infektion hatte ihn vorübergehend völlig gelähmt. Er konnte nur seine Augen ein wenig bewegen, Sprechen bereitete ihm große Mühe.

t Um seine Bewegungsfähigkeit wiederzugewinnen, nutzte er neben seinem unbändigen Willen auch Trancezustände: Er starrte stundenlang auf seine Hand und versuchte sich daran zu erinnern, wie es sich anfühlte, eine Heugabel zu halten. Nach elf Monaten konnte Milton wieder an Krücken gehen. Bauer zu werden, kam jedoch für ihn nicht mehr in Frage. So studierte er Medizin und Psychologie. Von einem Kanu-Trip, den er allein in den Semesterferien unternommen hatte und der ihn 600 Meilen den Mississippi abwärts und wieder zurück führte, kehrte er ohne Krücken zurück. Was blieb, war ein leichtes Hinken. Erst im Alter machten sich die Folgen der Kinderlähmung wieder heftig bemerkbar. Er litt unter chronischen Schmerzen in Muskeln und Gelenken. Die letzten Lebensjahre verbrachte er halbseitig gelähmt im Rollstuhl. Trotzdem arbeitete und lehrte er bis eine Woche vor seinem Tod im Jahr 1980.

Erickson hatte seine Leiden umgedeutet. Er bezeichnete sie sogar als „unheimlichen Vorteil“. Sie zwangen ihn, sich mehr als andere zu bemühen und mehr zu lernen. Diese Sichtweise ist ein weiteres Grundprinzip seiner Therapiemethode. Er nannte sie Utilisation, Nutzbarmachung. Denn für Erickson hatte jedes Symptom einer körperlichen oder seelischen Krankheit immer auch einen positiven Aspekt. Und den galt es seinen Klienten zu zeigen. Die Utilisation ist die dritte Säule seiner Methode, neben der Trance und dem Vorgehen auf Umwegen, mit dem er einst das störrische Kalb in den Stall brachte.

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Erickson wandte sich nicht nur von der bis dahin traditionellen Psychotherapie ab, sondern ebenfalls von der klassischen Methode der Hypnose. Zwei Drittel seiner Patienten behandelte er, ohne bei ihnen mit den bekannten Mitteln wie Pendel, Spiegel oder fixierendem Augenkontakt absichtlich eine Trance einzuleiten. Die stellte sich jedoch während der Gespräche häufig spontan ein. Erickson wollte auch nicht einen möglichst passiven Patienten „umprogrammieren“. Sein Ziel war es, dem Patienten im hypnotischen Trancezustand dessen Begabungen vor Augen zu führen. Die Trance erleichterte den Zugang zu unterbewußten Fähigkeiten, die sonst durch die Logik des Denkens und den Intellekt überdeckt werden.

Veränderungen zu fördern, auch wenn sie dem Behandelten unbewußt suggeriert wurden, war Erickson wichtiger, als – à la Freud – Vergangenes zu erhellen oder Symptome eines psychischen Leidens bis ins Detail zu analysieren. Der Vorteil seines pragmatischen Ansatzes zeigt sich in der Anzahl der nötigen Sitzungen im Rahmen einer Therapie nach Erickson: In der Regel sind es kaum mehr als 25 Stunden. Bei einer klassischen Psychoanalyse sind dagegen 300 Therapiestunden keine Seltenheit.

Erickson war der erste, der mit seinen Patienten das Behandlungszimmer verließ, um sie bewußt Situationen auszusetzen, vor denen sie sich fürchteten – engen Fahrstühlen, hohen Brücken, freien Plätzen.

Milton Erickson (1901 bis 1980). Ein Grundprinzip seiner Arbeit war es, Menschen mit körperlichen oder seelischen Leiden ihre ganz persönlichen Fähigkeiten bewußt zu machen. Dazu entwickelte er eine neue Form der Hypnose, die heute weltweit eingesetzt wird.

Die Methode gehört heute, auch ohne Hypnose, zum Standardrepertoire jedes Verhaltenstherapeuten. Erickson interessierte sich auch für die Familie und das soziale Umfeld des Patienten, weil er wußte, wie beides Wesen und Verhalten bestimmt.

Berühmt sind die Prüfungen, die Erickson seinen Patienten auferlegte. Auf seine Anweisung haben viele den Squaw Peak erklommen, einen Berg vor den Toren von Phoenix, wo Erickson praktizierte. Sie sollten neue Erfahrungen sammeln, Ungewohntes erleben, Muster durchbrechen. Eine Lehrerin, die über ihr eingefahrenes Leben verzweifelt war, wies er an, einen Monat lang jeden Tag einen anderen Weg zur Arbeit zu fahren. Das Unbewußte, das Erickson durch die Hypnotherapie der Erinnerung zugänglich machte, definierte er völlig anders als Freud: Es war nicht mehr der Hort aller verbotenen, verdrängten und unerwünschten Triebe und Ängste. Vielmehr lagen für ihn hier die wahren Fähigkeiten des Menschen verborgen.

Erickson versuchte mit dem Unterbewußtsein des Patienten „kreativen Kontakt“ aufzunehmen. Das gelang ihm oft durch das Erzählen von Märchen, Parabeln, Metaphern und Anekdoten. Er war überzeugt, daß eine auf die Situation des Patienten zugeschnittene Geschichte ihn in der Trance tiefer berührt, ihn für die Botschaft empfänglicher macht und ihn suggestiv dazu anregen kann, eigene Verhaltensmuster zu überdenken.

Die Diplompsychologin Liz Lorenz-Wallacher, Leiterin des Milton-Erickson- Instituts in Saarbrücken, meint: „Eine Geschichte ist eine sehr höfliche Art, dem Patienten eine andere Perspektive nahezubringen. Über diesen Umweg lassen sich innere Blockaden eher lösen als über direkte Aufforderungen, die häufig nur Widerstand hervorrufen.“ Erickson hat mit seinen Erfolgen auch den auf ihre Autorität pochenden Kollegen der alten Schule bewiesen, daß therapeutische Botschaften in Form von humorvollen Anekdoten den in Trance zuhörenden Empfänger wirkungsvoller erreichen als jede Kette sachlicher und logischer Argumente.

Wer lehrt Hypnose Die in Deutschland nach den Ideen und Methoden Milton Ericksons arbeitenden Mediziner und Psychologen haben sich in der 1978 gegründeten Milton-Erickson-Gesellschaft für klinische Hypnose (M.E.G.) zusammengeschlossen. Mehr als 10000 Therapeuten haben die Ausbildung in einer der 15 regionalen Außenstellen der M.E.G. durchlaufen und dürfen die Zusatzbezeichnung „Klinische Hypnose (M.E.G.)“ führen. Die M.E.G. bildet nicht nur Psychotherapeuten, sondern auch Ärzte in „medizinischer Hypnose“ aus. Zudem bietet sie Kurse an in „Hypnotherapeutischer Gesprächsführung“ für Hebammen, Logopäden, Pflegepersonal, Pädagogen, Sozialarbeiter und Richter. Eine Liste von Therapeuten kann bei der M.E.G., Konradstraße 16, 80801 München angefordert werden (DM 3,- in Briefmarken beilegen). Neben der M.E.G. bildet die Deutsche Gesellschaft für Hypnose (DGH) Hypnotherapeuten aus. Beide Gesellschaften haben sich mittlerweile in den Lehrplänen stark angeglichen, es gibt auf vielen Ebenen eine enge Zusammenarbeit. Kontaktadresse: DGH – Druffelsweg 3, 48653 Coesfeld. Die Deutsche Gesellschaft für ärztliche Hypnose und autogenes Training (DGÄHAT) bietet hauptsächlich Ausbildungen im Bereich des autogenen Trainings an: DGÄHAT – Postfach 50 28, 32457 Porta Westfalica. Weitere Gesellschaften sind: Deutsche Gesellschaft für Hypnose und Therapeutische Hypnoseforschung – Kaiserstr. 2a, 66955 Pirmasens Arbeitsgemeinschaft für Hypnosetherapie und Psychotherapie – Johannes-Müller-Str. 50, 50735 Köln.

Ulrich Fricke / Milton Erickson

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