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Wenn Tomaten rot sehen

Allgemein

Wenn Tomaten rot sehen
Agrarwissenschaftler bringen Farbe auf den Acker. Höhere Ernte, mehr Qualität und Geschmack – all das ermöglichen bunte Folien auf den Feldern.

Selbst der Verpackungskünstler Christo würde bei diesem Anblick staunen. Auf den Versuchsfeldern des US Agricultural Research Service (ARS) in Florence, South Carolina, leuchten bunte Plastikplanen, mit denen der Boden von Erdbeer- und Tomatenbeeten verhüllt ist. Ähnlich wie bei Christo geht es hier um die Wirkung der Verpackung auf die Umwelt: Am ARS wird geforscht, welchen Einfluß farbige Folien auf bodennah wachsendes Obst und Gemüse haben. Erst seit einigen Jahren ist bekannt, daß die richtige Farbe auf dem Beet nicht nur Quantität und Qualität der Ernte verbessert, sondern auch den Geschmack der Früchte. „Wahrscheinlich wirken Phytochrome mit beim Farbenspiel“, vermutet Dr. Michael Kasperbauer, Pflanzenphysiologe am ARS und geistiger Vater der farbigen Planen. Phytochrome dienen in der Pflanze als Sensoren. Sie messen das Verhältnis von dunkelrotem zu hellrotem Sonnenlicht. Sobald dieses Rotlicht-Verhältnis zugunsten des dunkelroten Lichtes verschoben ist, setzt die Pflanze zusätzliche Energie frei, die hauptsächlich „überirdisch“ wirkt: Sie wächst schneller in die Höhe, trägt früher Früchte und größere Blätter. Ihre Wurzeln werden dagegen weniger stark ausgebildet. Dieses Verhalten provoziert Kasperbauer mit seinen Folien. Zusammen mit seinem Kollegen Patrick G. Hunt machte er folgende Entdeckung: Alle bodennahen Materialien, die vor allem die dunkelroten Anteile des Sonnenlichts reflektieren, lassen Pflanzen stärker wachsen. Solche Materialien sind zum Beispiel Stroh, Kompost – und rote Plastikplanen. Eine von Kasperbauer und Hunt entwickelte Spezialplane kam 1996 auf dem Markt. Mit Erfolg: Tomaten über der roten Folie werden schneller reif und liefern 20 bis 50 Prozent höhere Erträge als solche über schwarzen Planen. Der bunte Kunststoff wirkt auch bei Bohnen, Baumwolle und Paprika erntesteigernd, Erdbeeren werden größer und süßer. Der Rotlicht-Trick funktioniert auch in umgekehrter Richtung. Dies bestätigten Experimente mit Rüben unter weißem, grünem und blauem Plastik: „Folien mit diesen Farben reflektieren mehr vom Sonnenlicht mit einem geringen Dunkelrot-Anteil. Die Folge: Die Pflanze leitet mehr Wachstumsenergie nach unten – und produziert größere Rüben“, erläutert Kasperbauer. Zudem schmecken die Rüben unterschiedlich: Die unter blauem Plastik gezogenen sind schärfer, „grüne“ und „weiße“ Rüben sind eher fad. Den Grund fand Dr. George Antonious, Chemiker an der Kentucky State Universität: Die „blauen“ Rüben enthalten weniger Zucker, mehr Säure und viel mehr Glucosinolate, die Scharfmacher in Rüben und Rettich.

„Seit dem Rübenexperiment interessieren wir uns genauer für die Qualität unserer Produkte“, sagt Kasperbauer. Bei einem „farbigen“ Anbau von Karotten und Erdbeeren fanden die Forscher große Unterschiede im Gehalt an Zucker, Mineralstoffen und Vitaminen. Antonious: „Bald wird es möglich sein, ganz einfach Nutzpflanzen mit spezieller Zusammensetzung zu züchten: Wir müssen nur die richtige Farbe wählen.“ Obwohl also die Technik noch ein wenig grün ist, erscheint die Zukunft farbiger Plastikplanen in der Landwirtschaft rosig.

Phytochrome Diese Pflanzenfarbstoffe sind stoffwechselregulierende Eiweiße in einer Pflanze. Sie reagieren auf den roten Bereich des Lichtspektrums. Je nach dem Verhältnis von dunkelrotem zu hellrotem Licht werden unterschiedliche Aktivitäten in der Pflanze angeregt, zum Beispiel das Wachstum von Blättern oder die Ausbildung von Samen. Vermutlich stimulieren Phytochrome auch Enzyme, die bei der Bildung von Aroma- und Nährstoffen eine Rolle spielen.

Rotlicht-Verhältnis Der Anteil von dunkelrotem (730 bis 760 Nanometer) zu hellrotem Licht (640 bis 670 Nanometer) ist entscheidend für das Wachstum einer Pflanze. Dank ihrer Phytochrome erkennt sie Lichtkonkurrenten: Die grünen Blätter der Nachbarpflanzen absorbieren hellrotes und reflektieren dunkelrotes Licht. Phytochrome stimulieren daraufhin das Höhenwachstum. Bestimmte farbige Plastikplanen verschieben dieses Rotlicht-Verhältnis nach gärtnerischem Gusto.

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Plastikplanen Als Verpackung in der Landwirtschaft sind sie ein alter Hut, der bislang aber nur in schwarz zu haben war. Seit 40 Jahren halten dunkle Polyethylen- Folien Gemüsebeete warm und feucht und schützen die Früchte vor Verschmutzung.

Désirée Karge

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