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Die bewegte Teenagerzeit unserer Milchstraße

Astronomie|Physik

Die bewegte Teenagerzeit unserer Milchstraße
Milchstraße
Visualisierung der Milchstraße von oben. © Stefan Payne-Wardenaar / MPIA

Unsere Heimatgalaxie erscheint heute relativ stabil und ruhig. Doch sie hat eine bewegte Geschichte hinter sich – und einen Teil davon haben Astronomen nun erstmals genauer beleuchtet. Ihre spektralen Analysen von rund 250.000 Sternen ermöglichten eine Datierung der Ereignisse und enthüllten, dass der älteste, dickste Anteil der galaktischen Sternenscheibe schon vor 13 Milliarden Jahren entstand – nur 800 Millionen Jahre nach dem Urknall. Den größten Schub in der Sternbildung gab es jedoch erst rund zwei Milliarden Jahre später, als unsere Galaxie mit einer kleineren Nachbargalaxie zusammenstieß und verschmolz. Etwa um diese Zeit bildete sich auch der galaktische Halo.

Unsere Milchstraße besteht aus Milliarden Sternen unterschiedlichen Alters, interstellaren Gasen und reichlich Dunkler Materie. All diese Komponenten hat sie im Laufe einer bewegten Entwicklung angesammelt. Am Anfang stand dabei die Verschmelzung gasreicher Vorläufergalaxien zu einer zunächst noch kleineren und weniger stark strukturierten Galaxie. In dieser Zeit bildete sich die sogenannte dicke Scheibe unserer Milchstraße, der rund 100.000 Lichtjahre große und 6000 Lichtjahre dicke Hauptteil der Sternenscheibe. Später kamen dann durch Verschmelzung mit weiteren, kleineren Nachbargalaxien der wie eine Hülle um die Sternenscheibe liegende Halo dazu sowie die sogenannte dünne Scheibe, die nur rund 2000 Lichtjahre dick ist. Wann diese einzelnen Phasen jedoch stattfanden und was sie bedingte, ist bisher erst in Ansätzen geklärt.

Stellare Unterriesen als Datierungshelfer

Einen detaillierteren Einblick vor allem in die Jugendjahre unserer Milchstraße vor 13 bis acht Milliarden Jahren liefern nun Maosheng Xiang und Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie. Ihnen ist es gelungen, wichtige Phasen der Galaxiengeschichte erstmals genauer zu datieren. Möglich wurde dies durch die Auswertung von Daten zweier großer Himmelsdurchmusterungen, der europäischen Gaia-Mission und dem LAMOST-Survey, einer Spektralanalyse von rund neun Millionen Sternen mit dem Large Sky Area Multi-Object Fibre Spectroscopic Telescope in China. Die Kombination beider Datensätze lieferte den Astronomen Informationen über Position, Bewegung sowie Temperatur und chemische Zusammensetzung von Sternen aus verschiedenen Bereichen der Milchstraße.

Über diese Daten konnten die Forscher einen für die Datierung entscheidenden Sternentyp identifizieren, die sogenannten Unterriesen. Diese Sterne haben einen Großteil des Wasserstoffvorrats in ihrem Kern bereits verbraucht, weshalb die Kernfusion dort nachlässt und der Kern schrumpft. Parallel dazu beginnt die Kernfusion in der den Sternenkern umgebenden Schale – und damit der Übergang zum Riesenstern. In dieser nur wenige Millionen Jahre anhaltenden Übergangsphase lässt sich das Alter dieser Unterriesen direkt aus deren Oberflächentemperatur und Helligkeit erschließen. „Das macht Unterriesen zu wertvollen Datierungshelfern für die galaktische Archäologie“, erklären Xiang und Rix. Der Nachteil ist allerdings, dass Unterriesen sehr selten sind. Deshalb mussten die beiden Astronomen die Daten von Millionen Sternen auswerten, um rund 250.000 dieser Unterriesen in unserer Galaxie aufzuspüren und mit ihrer Hilfe die Teenagerjahre der Milchstraße zu rekonstruieren.

Strukturbildung und Sternbildungs-Schub

Die Auswertungen ergaben, dass die ältesten Vertreter der Unterriesen in der dicken Scheibe der Milchstraße liegen und bis zu 13 Milliarden Jahre alt sind. Dieser Teil unserer Galaxie entstand demnach nur rund 800 Millionen Jahre nach dem Urknall. Aus der hohen Gesamtzahl der gebildeten Sterne schließen die Astronomen, dass die dicke Scheibe von Anfang an große Mengen an Gas und damit Rohstoff für neue Sterne enthielt. Das würde auch ihre vergleichsweise große Dicke erklären. Wenig später begann sich dann der galaktische Halo zu bilden. „Die ältesten Sterne der dicken Scheibe sind im Schnitt ein bis zwei Milliarden Jahre älter als die Hauptpopulation der Halosterne“, berichten die Forscher. Die Bildung dieser äußeren Gas- und Sternhülle war dann vor rund elf Milliarden Jahren abgeschlossen.

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Etwa um diese Zeit durchlebte auch der Rest der Milchstraße einen dramatischen Wandel. Denn vor rund elf Milliarden Jahren zeigen die Daten ein auffälliges „Produktionsmaximum“ bei der Sternentstehung, gleichzeitig veränderten sich die Bahnen zahlreicher Sterne plötzlich. Dies führen Xiang und Rix darauf zurück, dass die Milchstraße etwa um diese Zeit mit der etwas kleineren Nachbargalaxie Gaia-Enceladus/Sausage kollidierte. „Die offensichtliche Interpretation dieser zeitlichen Übereinstimmung ist, dass die Störung durch die Gaia-Enceladus/Sausage-Galaxie die Sternbildung in der dicken Scheibe stark anregte“, schreiben die Astronomen. Die Schockwellen der Kollision ließen demnach vermehrt Gaswolken kollabieren und dadurch neue Sterne entstehen. Dieser Schub der Sternbildung hielt rund fünf bis sechs Milliarden Jahre an, schwächte sich aber in dieser Zeit allmählich ab.

Ruhige Spätphase

Vor acht Milliarden Jahren endeten dann die turbulenten und produktiven „Teenagerjahre“ der Milchstraße. Der größte Teil des interstellaren Wasserstoffgases in der dicken Scheibe war verbraucht, sodass dort nur noch wenige neue Sterne entstanden. Weil aber immer noch gewisse Mengen an frischem Gas aus dem intergalaktischen Raum heranströmten, blieb die Sternbildung in einem Teil der galaktischen Scheibe länger aktiv – die dünne Scheibe bildete sich. Mit der Entwicklung dieser Struktur begann nun die lange, ruhige Erwachsenen-Phase unserer Heimatgalaxie. Weil die Milchstraße seither keine größeren Kollisionen mehr durchlaufen hat, ist ihre Struktur bis heute weitgehend unverändert geblieben. Damit entspricht die Entwicklung der Milchstraße dem, was auch Modelle für Galaxien vorhersagen: eine produktive Frühphase, gefolgt von einer ruhigen, wenig gestörten Spätperiode.

Quelle: Maosheng Xiang und Hans-Walter Rix (Max-Plank-Institut für Astronomie, Heidelberg), Nature, doi: 10.1038/s41586-022-04496-5

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