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„Eisschollen“-Tektonik auf der Venus

Astronomie|Physik

„Eisschollen“-Tektonik auf der Venus
Venus
Krustenblöcke in der Venus-Tiefebene Lavinia Planitia. (Bild: NC State University, NASA/JPL)

Die Erde ist bislang der einzige bekannte Planet mit einer aktiven Plattentektonik – nur auf ihr gibt es driftende Kontinente. Doch auch die Oberfläche unseres Nachbarplaneten Venus ist nicht komplett starr und unveränderlich, wie nun eine Studie bestätigt. Vor allem die tiefliegenden, dünnen Teile ihrer Kruste bewegen sich demnach leicht gegeneinander wie Eisschollen im Packeis des Polarmeeres. Erkennbar ist dies an stabilen, kaum deformierten Bereichen der Venusoberfläche, die von schmalen Dehnungs- und Bruchzonen umgeben sind, wie Forscher berichten. Ähnlich könnte auch die Oberfläche der jungen, heißen Erde ausgesehen haben.

Auf unserem Planeten erzeugen großräumige Umwälzströmungen im Erdmantel Kräfte, die auch die darüberliegende Kruste in Bewegung halten. Im Rahmen der Plattentektonik steigt Mantelmaterial an den mittelozeanischen Rücken auf und erzeugt neues Krustenmaterial, an den Grenzen zu den Kontinentalplatten wird diese Kruste wieder in die Tiefe gedrückt und subduziert. Dieser Kreislauf sorgt für die Kontinentaldrift und lässt unter anderem Gebirgszüge, Vulkanketten und Tiefseegräben entstehen. Bisher ist die Erde damit einzigartig unter den bekannten Planeten: Auf keinem anderen Himmelskörper wurde bisher eine vergleichbar aktive Tektonik nachgewiesen. Unser Nachbarplanet Mars scheint zu kalt, um eine ausreichend starke Mantelkonvektion auszubilden, die Venus könnte dagegen zu heiß sein: Ihre Kruste galt als zu weich und flexibel, um feste Platten auszubilden.

Bruchzonen und Dehnungsfugen

„Im Gegensatz zum Mosaik mobiler tektonischer Platten, das die Erde kennzeichnet, besitzt die Venus gängiger Annahme nach eine global durchgängige Lithosphäre“, erklären Paul Byrne von der North Carolina State University in Raleigh und seine Kollegen. „Die Venus zeigt mindestens seit 0,5 bis einer Milliarde Jahren alle Anzeichen eines Ein-Platten-Planeten.“ Dennoch gibt es auch auf der Oberfläche der Venus Anzeichen für Veränderungen: An einigen Stellen deuten langgestreckte Bruchzonen und Gräben auf eine mögliche Dehnung der Kruste hin, an anderen Orten gibt es Verwerfungen und Grate, die auf eine Stauchung hinweisen. Auch Indizien für einen seitlichen Versatz von Krustenteilen wurden bereits beobachtet. Besonders häufig kommen diese geologischen Strukturen in den Tiefebenen der Venus vor – den Krustenregionen, die als besonders jung und dünn gelten, wie die Forscher berichten. Bisher war aber unklar, inwieweit dies nur lokale Phänomene sind und welche Mechanismen dahinterstecken könnten.

Um mehr Klarheit zu gewinnen, haben Byrne und sein Team Radardaten der NASA-Venussonde Magellan genutzt, um gezielt die geologische Struktur des Venus-Tieflands näher zu untersuchen. Dabei richteten sie ihr Augenmerk vor allem auf eine bestimmte Formation, die sie als Campi – lateinisch für „Felder“ – bezeichnen. „Wir definieren einen Campus als tiefliegende Region von im Radar glatt erscheinenden Ebenen, die zu mindestens 50 Prozent von tektonischen Strukturen umgeben sind“, erklären die Wissenschaftler. „Diese von Verwerfungen umgebenen Ebenen sind im Schnitt 100 bis 1000 Kilometer groß.“ Anhand der Radaraufnahmen ermittelte das Team, wie viele solcher Campi es auf der Venus gibt und welche Rückschlüsse sie auf die Krustenbewegung und -entwicklung des Planeten ermöglichen.

Mantelströmungen bewegen Krustenschollen

In ihren Auswertungen identifizierten die Forscher 58 solcher Campi auf der Venus, die meisten davon in flachen Tiefebenen. Aus den umgebenden Verwerfungen lasse sich schließen, dass diese Krusteneinheiten in sich stabil blieben, sich aber gegeneinander bewegt haben. „Sie zeigen Anzeichen dafür, dass sie sich gedreht und/oder relativ zueinander seitlich verschoben haben – ähnlich wie sich anrempelnde Schollen im Packeis“, so Byrne und seine Kollegen. „Unsere Beobachtungen sprechen dafür, dass jeder der identifizierten Blöcke im Laufe der Zeit einige seitliche Bewegungen durchlaufen hat.“ Um herauszufinden, was diese Bewegungen verursacht, rekonstruierten die Wissenschaftler das Geschehen mithilfe eines geophysikalischen Modells. Dabei prüften sie, ob die für den Venusmantel postulierten Strömungen im Mantel genügend Belastungen in der Kruste erzeugen, um die beobachteten Risse und Bewegungen zu erklären.

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Es zeigte sich, dass auch die Deformation der Venusoberfläche von internen Prozessen angetrieben wird – wenn auch etwas anders als auf der Erde. „Auf der Erde wird die Plattentektonik durch Konvektion angetrieben“, erklärt Byrne. „Eine Variante davon scheint auch auf der Venus zum Tragen zu kommen. Dort werden zwar keine großen Gebirgszüge oder gigantischen Subduktionszonen erzeugt, aber auch ihre subtileren Veränderungen der Oberfläche gehen auf interne Mantelströmungen zurück. Dass dies auf der Venus im globalen Maßstab stattfindet, ist zuvor noch nicht nachgewiesen worden.“ Noch ist unklar, in welchen Zeiträumen diese Deformationen stattfanden oder ob sie möglicherweise noch immer anhalten. „Aber einige der sich anrempelnden Krustenblöcke haben sich in jungen Lavaebenen gebildet und deformiert, die Lithosphäre muss daher fragmentiert sein, nachdem diese Ebenen entstanden“, sag Byrne. „Das gibt uns Anlass zu der Vermutung, dass diese Blöcke sich geologisch gesehen erst vor kurzem bewegt haben – möglicherweise tun sie dies sogar bis heute.“

Nach Ansicht des Forscherteams könnte diese neu identifizierte Form der Tektonik nicht nur weitere Einblicke in Geologie und Entwicklung der Venus liefern, sondern auch in die anderer Planeten. So könnten extrasolare Gesteinsplaneten mit ähnlichen Temperaturbedingungen wie die Venus auch eine ähnliche Tektonik besitzen. Und nicht zuletzt hat auch unsere Erde in ihrer heißen Anfangszeit womöglich eine solche Phase der Eisschollen-Tektonik durchlaufen, bevor ihre Plattentektonik einsetzte.

Quelle: Paul Byrne (North Carolina State University, Raleigh) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2025919118

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