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Landgänger mit weichen Beinen

Astronomie|Physik Erde|Umwelt

Landgänger mit weichen Beinen
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Die Oberarmknochen (unten) von Acanthostega verraten durch ihre Wachstumsringe (rechts) das Alter der Tiere bei ihrem Tod. (Grafik: Sophie Sanchez)
Die Eroberung des Festlands durch die ersten Wirbeltiere war ein Meilenstein der Evolution. Doch wie diese ersten Landgänger lebten, war bislang ein Rätsel. Jetzt haben Forscher Überraschendes über ein halbaquatisches Wesen herausgefunden, das vor rund 360 Millionen Jahren zu diesen ersten Landgängern gehört haben könnte: Acanthostega. Untersuchungen fossiler Knochen dieser Spezies enthüllen, dass nahezu alle bekannten Fossilien von Jungtieren stammen – und dass diese noch nicht dazu fähig waren, an Land zu kriechen.

Das Leben auf der Erde war den größten Teil seiner Existenz rein aquatisch. Während sich in den Urmeeren verschiedene Organismen entwickelten, blieben die Landflächen lange Zeit kahl. Erst verhältnismäßig spät begannen Pflanzen, dann Wirbellose und schließlich vor rund 400 Millionen Jahren auch Wirbeltiere, diese Lebensräume zu erobern. Letztere schafften den Übergang, indem fischartige Wesen nach und nach Anpassungen entwickelten, die ihnen das Atmen und die Fortbewegung außerhalb des Wassers ermöglichten. Als einer dieser ersten Landgänger gilt Acanthostega, eines der ersten Wirbeltiere, das schon eine Art Beine statt reiner Fischflossen besaß. Doch wie diese Übergangsart vor rund 365 Millionen Jahren lebte und ob und wie lange Acanthostega sich damals schon an Land aufhielt, war bisher unbekannt. „Unser Wissen über diese Wesen hat hier eine große Lücke“, erklären Sophie Sanchez von der Universität Uppsala in Schweden und ihre Kollegen.

Um mehr über das Leben von Acanthostega herauszufinden, haben die Forscher nun die wenigen fossilen Knochen neu untersucht, die von diesem Tier gefunden wurden. Nahezu alle Fossilien stammen aus nur einer Gesteinsformation im Osten Grönlands. Dort wurden mehr als 200 Acanthostega-Knochen und 14 Schädel nah beieinander gefunden. Paläontologen gehen daher davon aus, dass diese Tiere damals gemeinsam gestorben sein müssen. Während des Devon lag in dieser Gegend ein ausgedehntes Inlanddelta inmitten einer eher trockenen Landschaft – ähnlich dem Okavango-Delta im heutigen Afrika. Forscher vermuten, dass eine Flut die Urzeittiere in einen Ausläufer dieses Deltas spülte. „Danach ließ eine Dürreperiode das Delta schrumpfen und die Tiere blieben in einem kleiner werdenden Tümpel gefangen, bis sie schließlich dort starben“, rekonstruieren Sanchez und ihre Kollegen die Ereignisse. Für sie ist dieses Massensterben ein echter Glücksfall, denn dadurch konnten sie nun gezielt die Beinknochen dieser Acanthostega in einem Röntgensynchrotron durchleuchten und ihre innere Feinstruktur sichtbar machen. „Wie ein wachsender Baum bilden auch die Gliedmaßenknochen so etwas wie Jahresringe aus“, erklärt Sanchez. „Sie verraten daher viel über die Entwicklung und das Alter eines Tieres.“

Langes Jugendstadium und weiche Beine

Die Auswertung der Analysen ergab Überraschendes: Entgegen bisherigen Annahmen waren offenbar alle Acanthostega-Exemplare dieser Fundstelle noch nicht voll ausgewachsen. Zwar waren diese Tiere zum Zeitpunkt ihres Todes schon sechs Jahre alt und älter, dennoch zeigten ihre Beinknochen noch keine Anzeichen für eine Verlangsamung des Wachstums, wie es für das Erwachsenenalter typisch ist. „Das belegt, dass selbst die größten Exemplare dieser Fundstelle noch Jungtiere waren“, konstatieren Sanchez und ihre Kollegen. „Ein langes Jugendstadium könnte demnach für die allerersten Vierbeiner typisch gewesen sein.“ Diese Erkenntnis erlaubt auch erste Rückschlüsse auf das Sozialverhalten von Acanthostega: Weil alle im Urzeit-Tümpel gestorbenen Exemplare Jungtiere waren, vermuten die Forscher, dass Acanthostega-Jungtiere zumindest zeitweise Gruppen bildeten, zu denen keine Erwachsenen gehörten. Wo die erwachsenen Tiere während dieser Zeit lebten, ob im Wasser oder an Land, bleibt weiter unbekannt.

Die Untersuchung der fossilen Knochen lieferte noch eine weitere Information: Wie die Wissenschaftler feststellten, waren die Oberarmknochen der Acanthostega-Jungtiere noch nicht verknöchert. Selbst in den größten Exemplaren dieser Urzeittiere bestand ein Großteil dieses Knochens noch aus weichem Knorpel. Die Bildung stabilerer, kalkhaltiger Knochenstrukturen hatte auch bei diesen Jungtieren erst begonnen. „Dieser späte Beginn der Verknöcherung deutet darauf hin, dass die Jungtiere von Acanthostega noch rein aquatisch lebten“, erklären Sanchez und ihre Kollegen. „Denn ein knorpeliger Oberarmknochen wäre für die Bewegung an Land ungeeignet gewesen.“ Das weiche Material hätte das Gewicht der Tiere an Land nicht tragen können. „Das widerspricht der gängigen These eines terrestrischen Lebens der Jugendstadien – zumindest für diesen frühen Vierbeiner“, konstatieren die Forscher. Bisher vermuteten Paläontologen, dass möglicherweise die Larven der ersten Tetrapoden die eigentlichen Landgänger waren: Sie schlüpften aus Gelegen in kurzlebigen Tümpeln und robbten dann über Land, um in dauerhaftere, tiefere Gewässer zu gelangen. Die knorpeligen Beine der Acanthostega-Jungtiere hätten dies allerdings nahezu unmöglich gemacht.

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Damit werfen die neuen Erkenntnisse zu diesen frühen Vierbeinern mindestens ebenso viele Fragen auf, wie sie beantworten. Denn wenn die Jungtiere von Acanthostega nicht an Land gingen, taten es dann die Erwachsenen? Oder war diese Art möglicherweise doch komplett aquatisch? „Unsere Studie gibt uns nur einen allerersten Einblick in die Lebensweise eines frühen Tetrapoden“, sagt Sanchez. „Wir wollen nun auch die Lebensgeschichte anderer früher Vierbeiner untersuchen. Möglicherweise stoßen wir dabei auf Erkenntnisse, die unser Lehrbuchwissen völlig verändern.“

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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