Eigentlich müsste es in der Milchstraße Millionen stellare Schwarze Löcher geben – Relikte massereicher Sterne. Bisher sind aber nur wenige bekannt, weil sie unsichtbar und schwer zu finden sind. Jetzt könnten Astronomen ein solches stellares Schwarzes Loch in der großen Magellanschen Wolke aufgespürt haben. Es verriet sich durch seinen Schwerkrafteinfluss auf einen hellen, massereichen Partnerstern. Aus dessen Bewegungen geht hervor, dass der unsichtbare Partner ein neun Sonnenmassen schweres, inaktives Schwarzes Loch ist. Sollte sich dies bestätigen, wäre dies der erste Nachweis eines solchen ruhenden stellaren Schwarzen Lochs außerhalb der Milchstraße.
Stellare Schwarze Löcher entstehen, wenn massereiche Sterne das Ende ihres Lebenszyklus erreichen und unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren. Dass es solche Schwarzen Löcher gibt, belegen unter anderem die Nachweise von Gravitationswellen, die bei der Kollision und Verschmelzung zweier solcher Schwarzer Löcher freiwerden. Doch diese massereichen Sternenrelikte direkt aufzuspüren, ist deutlich schwieriger. Weil sie unsichtbar sind, machen sich solche stellaren Schwarzen Löcher nur dann bemerkbar, wenn sie Materie – beispielsweise von einem Begleitstern – ansaugen. Dieses Material setzt dann energiereiche Röntgenstrahlung frei und verrät so die Existenz des Schwarzen Lochs. Bisher allerdings sind selbst von solchen Doppelsystemen aus Stern und aktivem Schwarzen Loch nur wenige bekannt. Noch schwieriger ist es, solche stellaren Schwarzen Löcher aufzuspüren, wenn sie inaktiv sind und keine Röntgenstrahlung von ihrem nahen Umfeld ausgeht.
Fahndung nach unsichtbaren Begleitern
„Seit mehr als zwei Jahren suchen wir nach solchen Schwarzen Löchern und Doppelsternsystemen“, sagt Co-Autorin Julia Bodensteiner von der Europäischen Südsternwarte (ESO) in Garching. Für ihre Studie haben die Astronomen sich den Tarantelnebel vorgenommen, ein Gebiet in der Großen Magellanschen Wolke, in dem besonders viele massereiche Sterne und Doppelsternsysteme existieren. Auf Basis von sechs Jahren der Beobachtungsdaten vom Very Large Telescope der ESO in Chile suchten sie gezielt nach Sternen, deren Bewegungen auf das Vorhandensein eines unsichtbaren, schweren Partners hindeuteten. Mithilfe des hochauflösenden FLAMES-Spektrografen konnten die Forscher um Erstautor Tomer Shenar von der Katholischen Universität Leuven in Belgien diese Bewegungen anhand winziger Schwankungen im Lichtspektrum der Sterne identifizieren.
Bei einem der Sterne wurde das Team fündig: Ein heißer, bläulicher Stern von rund 25 Sonnenmassen ist offenbar Teil eines Doppelsternsystems mit verstecktem Partner, wie die Astronomen feststellten. Beide Partner umkreisen sich mit einer Orbitalperiode von 10,4 Tagen. „Während die Bewegung des Primärsterns im Spektrum gut erkennbar ist, konnten wir keine Signatur des zweiten Objekts in den spektralen Daten identifizieren“, berichten die Astronomen. Bei diesem Partner kann es sich daher nicht um einen normalen Stern oder ein anderes stärker strahlendes Objekt handeln. Aus den Bewegungen des sichtbaren Sterns geht aber hervor, dass sein Partner mindestens neun Sonnenmassen schwer sein muss – er liegt damit im Bereich eines kleinen stellaren Schwarzen Lochs. Nach Ansicht der Astronomen ist dies daher auch die plausibelste Erklärung für ihre Beobachtungen. „Wir haben eine Nadel im Heuhaufen gefunden“, sagt Shenar.
Inaktives Schwarzes Loch jenseits unserer Galaxie
Sollte sich dies bestätigen, dann wäre das VFTS 243 getaufte System nicht nur ein Neuzugang unter den wenigen bisher bekannten Doppelsystemen aus Stern und Schwarzem Loch – es wäre auch das erste inaktive stellare Schwarze Loch, das außerhalb der Milchstraße nachgewiesen wurde. „Als Tomer mich bat, seine Ergebnisse zu überprüfen, hatte ich meine Zweifel. Aber ich konnte keine plausible Erklärung für die Daten finden, die kein schwarzes Loch beinhaltete“, sagt Co-Autor Kareem El-Badry vom Center for Astrophysics | Harvard & Smithsonian in den USA. Er hat bereits mehrere vermeintliche Funde Schwarzer Löcher als Irrtum entlarvt. Dieses Mal jedoch ist auch er überzeugt, wie er erklärt. So gibt es keine Hinweise darauf, dass es sich um ein anderes Objekt handelt, gleichzeitig passt auch der geringe Materie-Ausstrom vom Primärstern zu einem ruhenden Schwarzen Loch als Partner.
Die Entdeckung bietet auch neue Einblicke in die Prozesse, durch die solche Schwarzen Löcher aus massereichen Vorgängersternen entstehen. Gängiger Ansicht nach geschieht dies, wenn der sterbende Stern sich zunächst aufbläht und dann sein Kern unter der Last seines eigenen Gewichts kollabiert. Typischerweise löst dieser Kernkollaps eine Supernova aus – so zumindest die Annahme. Allerdings mehren sich die Hinweise darauf, dass manche Sterne auch ohne Explosion direkt zum Schwarzen Loch kollabieren können. Genau dies könnte auch beim jetzt entdeckten Vertreter der Fall gewesen sein: „Der Stern, der das Schwarze Loch in VFTS 243 geformt hat, scheint vollständig kollabiert zu sein, ohne Anzeichen einer vorherigen Explosion“, berichtet Shenar. „In letzter Zeit gibt es immer wieder Hinweise auf dieses Szenario des direkten Kollapses, aber unsere Studie liefert wohl einen der direktesten Hinweise darauf.“
Quelle: Tomer Shenar (KU Leuven) et al., Nature Astronomy, doi: 10.1038/s41550-022-01730-y