Anzeige
1 Monat GRATIS testen, danach für nur 9,90€/Monat!
Startseite »

Warum Stephen Hawking seine Wette verlor

Astronomie|Physik

Warum Stephen Hawking seine Wette verlor
Neue Rechnungen des großen Physikers zeigen: Schwarze Löcher sind keine ewigen Fallen.

„And once you’re gone / you can’t come back / when you’re out of the blue / and into the black“, singt der kanadische Gitarrist Neil Young in seiner Hymne auf die Rockmusik. Was zugleich ein Signum für menschliche Tragödien ist, der Tod, das wäre auf einer kosmischen Skala eine unvorstellbare Katastrophe – für die moderne Physik. Denn falls Informationen – das heißt physikalische Eigenschaften, Kenngrößen und so weiter – tatsächlich auf Nimmerwiedersehen in einem Schwarzen Loch verschwänden, wären die Lehrbücher Makulatur. Der Satz von der Erhaltung der Energie und andere grundlegende Prinzipien würden versagen, und die so erfolgreiche Quantentheorie müsste zusammenstürzen wie ein Kartenhaus (bild der wissenschaft 9/2002, „Finales Fiasko“).

Das waren die Konsequenzen, die der weltberühmte Physiker Stephen Hawking von der University of Cambridge 1975 entdeckt hat. „Wenn Hawkings Argumente richtig wären, stünden wir vor der erschreckenden Aufgabe, eine neue konzeptuelle Basis für die gesamte Physik zu finden“, sagt John Preskill vom California Institute of Technology. „Die gängigen Prinzipien führen zu einem Paradoxon, was bedeutet, dass sie keine richtige Beschreibung der Natur liefern können.“ Wie viele andere Physiker weigerte sich Preskill deshalb, Hawkings Schlussfolgerung zu akzeptieren. Eine Theorie der Quantengravitation, so seine Hoffnung, würde einen Fehler aufdecken und irgendeine der Annahmen in Hawkings sonst ja in sich schlüssiger Argumentation widerlegen.

Doch Hawking, dem es selbst vor den Geistern grauste, die er rief, blieb hartnäckig. Zusammen mit Kip Thorne – wie Preskill am Caltech und einer der renommiertesten Relativitätstheoretiker der Welt – wettete er gegen Preskill darauf, dass Informationen in Schwarzen Löchern verloren gehen. Wetteinsatz war eine Enzyklopädie, „woraus Informationen willentlich entnommen werden können“, wie es in dem Abkommen heißt, das Thorne und Preskill am 6. Februar 1997 unterschrieben haben und das Hawking mit seinem Fingerabdruck besiegelt hat.

„Ich bin jetzt bereit, die Wette verloren zu geben, auch wenn Kip Thorne noch nicht überzeugt ist“, erklärte Hawking überraschend am 21. Juli 2004 auf GR17, der 17. Internationalen Konferenz über Allgemeine Relativitätstheorie und Gravitation in Dublin. Hawking hatte dort erst kurz vor dem Beginn seinen Vortrag eingereicht, weit nach dem offiziellen Einsendeschluss – aber wer würde ihn nicht sprechen lassen?

Anzeige

Die kryptischen Andeutungen in seiner Vortragsankündigung sorgten schon im Vorfeld für Aufregung. Im Internet wurde kräftig spekuliert. Dutzende von Journalisten aus aller Welt reisten nach Irland. „Hawking ist ein Medien-Superstar. Als die Reporter von seinem Vortrag erfuhren, überschattete das Spektakel alles andere auf der Konferenz“, erzählt John Baez, ein mathematischer Physiker von der University of California in Riverside. Die Veranstalter mussten 4000 Pfund für eine PR-Firma ausgeben, um die Journalisten im Zaum und all die selbst ernannten Welterklärer von der Konferenz fern zu halten. Obwohl der Vortrag sogar für Physiker eine harte Nuss war und für Laien fast völlig unverständlich, war er in den Medien ein Riesenerfolg. Sogar die deutschen „Tagesthemen“ sendeten abends dreieinhalb Minuten lang über das Spektakel – das Schwarze Loch stopfte das Sommerloch.

„Ich möchte darüber berichten, dass ich denke, ein großes Problem der Theoretischen Physik gelöst zu haben, das uns beschäftigt, seit ich vor 30 Jahren entdeckt habe, dass Schwarze Löcher Strahlung abgeben. Die Frage lautet: Geht Information bei der Verdampfung Schwarzer Löcher verloren?“, begann Hawking seinen Vortrag. Den hielt der stumme und aufgrund einer Muskellähmung an den Rollstuhl gefesselte Physiker mit Hilfe des Sprachprogramms seines Computers. Dann unternahm er einen halbstündigen Ausflug durch entlegene Gebiete der Mathematik, Quantenphysik und Stringtheorie, bei dem er vorübergehend selbst die meisten anwesenden Experten abhängte. Hawking versuchte zu zeigen, dass die Informationen doch nicht für immer verschwinden, wie er ursprünglich dachte. „Es ist großartig, ein Problem zu lösen, das mich fast 30 Jahre lang beunruhigt hat, auch wenn die Antwort weniger aufregend ist als die Alternative, die ich vorgeschlagen hatte“, schloss er den technischen Teil seinen Vortrags. Was dann folgte, war – mit den Worten von Urs Schreiber, einem Theoretischen Physiker an der Universität Essen, „ein Paradebeispiel, Theoretische Physik zu vermarkten“:

„Ich werde John Preskill die Enzyklopädie überreichen, um die er gebeten hatte“, kündigte Hawking an. „John ist ein ganzer Amerikaner, deshalb wollte er natürlich eine Baseball-Enzyklopädie. Ich hatte große Schwierigkeiten, hier eine zu finden. Deshalb bot ich ihm als Alternative eine über Cricket an, aber John war von der Überlegenheit dieser Sportart nicht zu überzeugen. Glücklicherweise konnte mein Assistent, Andrew Dunn, den Verlag Sportclassic Books überzeugen, eine Ausgabe von ,Total Baseball. The Ultimate Baseball Encyclopedia‘ nach Dublin fliegen zu lassen. Ich überreiche John die Enzyklopädie jetzt. Kip kann mich auszahlen, wenn er die Wette später ebenfalls als verloren anerkennt.“

Breit grinsend ließ Hawking dem ebenfalls grinsenden Quantenphysiker das sieben Kilogramm schwere Buch geben. In ironischer Parodie von Pokalsieger-Posen hielt es Preskill über seinen Kopf. „Ich habe immer gehofft, dass Zeugen anwesend sein würden, wenn Stephen sich geschlagen gibt. Aber dies hier übertrifft alle meine Erwartungen“, sagte er. Und gab zu: „Ich will ehrlich sein: Ich habe den Vortrag nicht verstanden. Aber das brauche ich auch nicht. Die Vereinbarung lautete, dass der Gewinner die Enzyklopädie erhält, wenn die andere Partei aufgibt. Ich muss nicht damit einverstanden sein.“

Die Geschichte des Informationsverlust-Paradoxons begann schon in den sechziger Jahren mit den Arbeiten russischer Physiker und besonders von Werner Israel von der kanadischen University of Alberta. Dies wurde zum „Keine-Haare-Theorem“ verallgemeinert. Ihm zufolge gehen alle Informationen verloren, die einen Körper beschreiben, der zu einem Schwarzen Loch kollabiert, außer Masse, Drehimpuls und elektrische Ladung. Es gibt keine weiteren Eigenschaften, die aus dem Loch „herausragen“ wie Haare aus dem Kopf eines Menschen. Der Gravitationskollaps ist demnach ein universeller Gleichmacher: Alle Schwarzen Löcher sind einander so ähnlich wie geschorene Soldaten in Uniform.

„Dieser Informationsverlust war noch kein Problem für die klassische Physik. Ein klassisches Schwarzes Loch währt ewig, und man kann annehmen, dass die Information in seinem Inneren erhalten bleibt, aber nicht besonders gut zugänglich ist“, charakterisiert Hawking die Situation im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie mit seinem unnachahmlichen Humor. Denn „ zugänglich“ wären die Informationen allenfalls für ein Selbstmord-Kommando, das ihnen ins Schwarze Loch nachspringt – draußen würde niemals jemand davon erfahren können.

„Die Situation änderte sich jedoch, als ich entdeckte, dass Quanteneffekte dazu führen, dass ein Schwarzes Loch Strahlung abgibt“, fuhr Hawking mit dem Hinweis auf seine bahnbrechende Erkenntnis von 1974 fort. „Aus den Näherungsverfahren zu schließen, die ich verwendete, müsste diese Strahlung vollständig thermisch sein und könnte somit keine Information in sich tragen. Was also würde mit all den Informationen geschehen, die im Inneren des Schwarzen Lochs eingeschlossen sind, wenn es verdampft und sich schließlich vollständig auflöst? Es sah so aus, dass der einzige Weg, wie Informationen wieder herauskommen können, darin besteht, dass die Strahlung nicht exakt thermisch ist, sondern subtile Korrelationen besitzt.“

Diese Quantenbeziehungen wären gleichsam die Informationsträger und die Verbindung mit den Eigenschaften der Materie und Energie, bevor diese ins Schwarze Loch stürzten. Wenn Schwarze Löcher unwiderruflich Informationen vernichteten, wäre die so genannte Unitarität der Quantentheorie verletzt und die Korrelationen wären zerstört. Mit anderen Worten: Nicht jeder physikalische Endzustand würde eindeutig mit einem Anfangszustand korrelieren, das heißt zu ihm gehören. Das würde die Gültigkeit der Quantentheorie unterlaufen. Und es würde bedeuten, dass in der Natur der Zufall in einem noch viel schockierenderen Ausmaß herrscht, als es die übliche Interpretation der Quantenphysik schon vorsieht – etwa beim radioaktiven Zerfall, der keine Ursache hat –, wogegen sich Albert Einstein mit den Worten, Gott würfle nicht, bis an sein Lebensende wehrte. Hawking trieb Einsteins Bonmot deshalb 1976 auf die Spitze, indem er es auf Schwarze Löcher übertrug: „Gott würfelt nicht nur mit dem Universum, sondern er wirft die Würfel sogar manchmal dorthin, wo man sie nicht sehen kann.“

Aber selbst wenn die Quantenkorrelationen erhalten blieben: Eine andere Frage ist, ob sie sich dann auch praktisch auswerten ließen – so als wollte man daraus die gefälschten Rechnungen rekonstruieren, die ein gerissener Politiker in einem Schwarzen Loch entsorgt hat, um einen Spendenskandal zu vertuschen. Die Wahrscheinlichkeit wäre extrem gering, auf diese Weise dem Politiker auf die Schliche zu kommen – doch wenn die Informationen eines Tages wieder aus einem verdampfenden Schwarzen Loch herauskämen, würde wenigstens das Universum nichts vergessen. Streng genommen ließe sich somit keine Schandtat aus der Welt schaffen.

Hawkings Argument ist diffizil und wurde im Vortrag teilweise mehr skizziert als ausgeführt. Auch deswegen sind viele seiner Kollegen skeptisch und warten auf eine ausführlichere Publikation. Andere haben große Verständnisschwierigkeiten.

Hawkings Ansatz basiert auf der Analogie mit einem Streuexperiment, wie es oft in der Teilchenphysik gemacht wird. Dabei werden Partikel auf andere geschossen und man beobachtet, was dabei geschieht – also beispielsweise wie die Teilchen abgelenkt werden oder welche Kollisionsprodukte entstehen. In Hawkings Gedankenexperiment werden die Partikel gleichsam so geschossen, dass sie ein Schwarzes Loch bilden, das dann wieder verdampft. Der Beobachter misst, was wieder herauskommt (überwiegend sind es Photonen) – und zwar in einer großen Entfernung vom Schwarzen Loch. Auf diese Weise lassen sich die extremen Bedingungen bei einem Schwarzen Loch – die starken Felder und die Fluktuationen der Raumzeit – umgehen. Denn für deren Beschreibung ist eine Quantentheorie der Gravitation nötig, die im Augenblick noch in den Sternen steht und deren Ansätze bislang nur Näherungsrechnungen erlauben. Hawkings Idee ermöglicht es also, die Hauptschwierigkeit auszublenden und trotzdem sinnvolle Schlüsse zu ziehen.

„Die Bildung und Verdampfung eines Schwarzen Lochs kann als Streuexperiment gedacht werden. Man schickt Teilchen und Strahlung aus der Unendlichkeit und misst, was in der Unendlichkeit ankommt. Alle Messungen finden im Unendlichen statt, wo die Felder schwach sind, so dass man die starken Felder in der Mitte nicht berücksichtigen muss. Deshalb kann man nicht sicher sein, dass sich ein Schwarzes Loch gebildet hat, so gewiss das in der klassischen Theorie auch sein mag“, sagte Hawking in Dublin. „Diese Möglichkeit erlaubt es, dass die Information erhalten bleibt und in die Unendlichkeit zurückgelangt.“

Wegen der Unschärferelation in der Quantenphysik ist es also – im Gegensatz zur klassischen Physik – notwendigerweise unklar, ob sich in dem gedanklichen Streuexperiment entlang des Weges ein Schwarzes Loch gebildet hat oder nicht. Die quantenmechanische Unbestimmtheit erlaubt nur Wahrscheinlichkeitssaussagen, aber keine Sicherheit im klassischen Sinn. Mit Hawkings Worten: „Die einzigen beobachtbaren Größen in der Quantengravitation sind die Werte des Feldes im Unendlichen. Man kann das Feld nicht an einem bestimmten Punkt in der Mitte definieren aufgrund der quantenphysikalischen Unschärferelation.“

Hier setzte Hawking ein in der Quantenphysik etabliertes Verfahren ein: die von dem Nobelpreisträger Richard Feynman entwickelte Pfadintegral-Methode. Damit wird gleichsam über alle Wege – oder Möglichkeiten – aufsummiert. Denn in der Quantenphysik gibt es beispielsweise keinen einzigartigen, sicher bestimmbaren Weg eines Teilchens zwischen zwei Punkten A und B. Stattdessen existieren viele Pfade, und mit den Pfadintegralen werden gleichsam alle von ihnen auf einmal beschrieben – wobei die meisten nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit und somit Gewichtung haben. Der „klassische“ Weg (beispielsweise die kürzeste Verbindung von A nach B) ist in der Regel auch der wahrscheinlichste.

Im Gegensatz zur herkömmlichen Quantenphysik wird bei Hawkings Fragestellung nicht über die Pfade, sondern über die Geometrien und Topologien integriert – sozusagen über die Form und Gestalt des Raumes selbst. Das ist notwendig, denn ein Schwarzes Loch verändert mit seiner Gravitation den Raum beziehungsweise stellt selbst eine solche Veränderung dar. Somit ist eine Pfadintegral-Methode im Rahmen der Quantengravitation nötig – ein sehr spekulatives und mathematisch vermintes Gelände. Hawking verwendete die so genannten Euklidischen Pfadintegrale. Dies sei „ die einzige gesunde Weise, Quantengravitation ohne Störungsrechnungen zu betreiben“, sagte er in Dublin mit einem Grinsen – wohl wissend, dass es sich um eine sehr umstrittene Methode handelt. Mit einigem Aufwand – ein Kritiker sprach von „ mathematischer Gymnastik“ – und mehreren ebenfalls kontrovers diskutierten Annahmen gelangte Hawking dann zu dem Ergebnis, dass die Informationen in verdampfenden Schwarzen Löchern nicht verloren gehen (siehe Beitrag „Auf entlegenen Pfaden“).

„So hat zu guter Letzt jeder auf gewisse Weise recht: Informationen verschwinden in topologisch nichttrivialen Metriken wie bei einem ewigen Schwarzen Loch. Aber andererseits bleiben sie erhalten in topologisch trivialen Metriken“, fasste Hawking sein Ergebnis zusammen. „Die Verwirrung und das Paradoxon sind entstanden, weil man klassisch dachte – bezogen auf eine einzige Topologie der Raumzeit: entweder die vierdimensionale Raumzeit oder ein Schwarzes Loch. Aber die Feynman’sche Summation erlaubt es, dass beides gleichzeitig der Fall ist. Man kann genauso wenig sagen, welche Topologie zur Beobachtung beiträgt, wie man nicht sagen kann, durch welchen Spalt das Elektron beim Doppelspalt-Experiment in der Quantenphysik geht. Das Einzige, was ein Beobachter im Unendlichen feststellen kann, ist, dass die Information nicht verloren geht.“

Soweit Hawkings Schlussfolgerung. Schwarze Löcher sind demnach keine irreversiblen Informationsfallen. Und das bedeutet, dass die Informationen auch nicht vom Zentrum eines Schwarzen Lochs aus in ein anderes Universum entweichen. „Es spaltet sich kein Baby-Universum ab, wie ich einst gedacht habe. Die Information bleibt fest in unserem Universum“, sagte Hawking in Dublin und fügte schmunzelnd hinzu: „Es tut mir Leid, Science-Fiction-Fans enttäuschen zu müssen. Aber wenn die Informationen erhalten bleiben, gibt es keine Möglichkeit, mithilfe Schwarzer Löcher in andere Universen zu reisen. Wenn man in ein Schwarzes Loch springt, wird – allerdings verstümmelt – die Masse und Energie in unser Universum zurückkehren, die die Informationen darüber enthalten, was man war, wenn auch in einem nicht wiedererkennbaren Zustand.“

Nach Hawkings Vortrag wurde es unruhig im Saal. Pressevertreter und Wissenschaftler äußerten ihr starkes Informationsbedürfnis über die nun angeblich doch frei werdenden Informationen. Die meisten Fragen beantwortete Hawkings Student Christophe Galfard, der an dem Vortrag mitgearbeitet hatte – kein Zuckerschlecken vor 800 gestandenen Physikern und der Weltpresse. Wenn Schwarze Löcher ewig existierten, betonte Galfard erneut, wären die Informationen in ihnen tatsächlich verloren.

Hawking brachte noch einmal die Bedeutung seines Ergebnisses zum Ausdruck: „Schwarze Löcher scheinen alles zu verschlingen. Doch später öffnen sie sich wieder und entlassen Informationen. Das hilft uns, die Vergangenheit zu verstehen und die Zukunft vorauszusagen.“ Und von einem BBC-Reporter befragt, worin denn nun die Signifikanz dieser Aussage für „das Leben, das Universum und den ganzen Rest“ läge, antwortete Hawking: „Das Ergebnis zeigt, dass alles im Universum von den Gesetzen der Physik regiert wird.“

Die Reaktionen auf Hawkings Vortrag waren und sind freilich außerordentlich gemischt. „Er hat alles widerrufen. Aber ich glaube, das ist falsch“, war der erste Eindruck von Roger Penrose. Der Mathematiker von der Oxford University ist mit Hawking nicht nur befreundet, sondern hat mit ihm auch Ende der sechziger Jahre die Urknall-Singularität im Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheorie bewiesen und 1994 eine viel beachtete öffentliche Debatte über die Natur von Raum und Zeit geführt. „Hawking hat seine frühere Überzeugung komplett revidiert, dass ausgelöscht wird, was in ein Schwarzes Loch gelangt. Nun glaubt er, dass alles, was von einem Schwarzen Loch abgestrahlt wird, zu seiner Quelle zurückverfolgt werden kann. Er rennt weg von dem, was wir noch immer für wahr halten“, meint auch Robert Wald von der University of Chicago, einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Allgemeinen Relativitätstheorie. „Es sieht für mich nicht überzeugend aus“, haut John Friedman von der University of Wisconsin, Milwaukee, in dieselbe Kerbe. Ganz anders dagegen Leonard Susskind von der Stanford University: „Stephen war bis zu seiner Umkehr der Einzige, der noch falsch lag.“ Joan Baez äußert sich abwartend: „ Mysteriös ist, warum die Geometrien in der Nähe der klassischen Lösungen, wo es ein Schwarzes Loch gibt, nicht zum Informationsverlust beitragen, obwohl sie zu anderen Dingen beitragen, etwa zur Hawking-Strahlung. Hier möchte ich eine genaue Rechnung haben.“ Kip Thorne, der mit Hawking gegen Preskill gewettet hatte, zögert ebenfalls noch: „Hawking hat vermutlich Recht. Es sieht wie ein treffendes Argument aus. Aber ich möchte noch mehr Details sehen.“ ■

Rüdiger Vaas

Ohne Titel

„Stephen Hawking und Kip Thorne glauben fest daran, dass Informationen, die von einem Schwarzen Loch verschluckt wurden, in alle Ewigkeit für das äußere Universum verborgen bleiben und niemals freigesetzt werden, selbst wenn das Schwarze Loch verdampft und vollständig verschwindet.

Und John Preskill glaubt fest daran, dass ein Mechanismus für die Informationen, die von einem verdampfenden Schwarzen Loch freigesetzt werden, in einer korrekten Theorie der Quantengravitation gefunden werden muss und wird.

Wenn ein anfänglich reiner Quantenzustand gravitativ kollabiert und ein Schwarzes Loch bildet, wird der Endzustand am Ende der Verdampfung des Schwarzen Lochs immer ein reiner Quantenzustand sein.

Der/die Verlierer wird den/die Gewinner mit einer Enzyklopädie nach der Wahl des Gewinners entlohnen, woraus Informationen willentlich entnommen werden können.“

Ohne Titel

• Wenn alles, was in Schwarzen Löchern verschwindet, unwiderruflich verloren wäre, würden fundamentale Prinzipien der Physik verletzt.

• Stephen Hawking, der das Informationsverlust-Paradoxon 1975 entdeckt hat, argumentiert nun selbst dagegen – und gibt damit eine Wette verloren.

Ohne Titel

die leser, die mehr wissen wollen, finden im Folgenden eine genauere Beschreibung von Hawkings Argumentation und Voraussetzungen. Alle anderen blättern am besten rasch weiter, denn ein Seiltanz über schwindelnde Höhen der Abstraktion ist dabei unvermeidlich – mitsamt einer verstörenden neuen Weltsicht.

Hawkings Rechenmethode basiert auf den umstrittenen Euklidischen Pfadintegralen. Dabei wird die Zeitvariable „t“ durch „i mal t“ ersetzt (die imaginäre Zahl i ist definiert als i hoch 2= –1). Dann führt man die Rechnungen aus und ersetzt anschließend „i mal t“ durch eine neue Zeitvariable „T“ (eine als Wick-Rotation bekannte Operation). Das heißt, die vierdimensionale Raumzeit wird auf geradezu magische Weise in einen vierdimensionalen Raum umgewandelt. In ihm werden die physikalischen Antworten als Integrale über alle möglichen vierdimensionalen Geometrien und Topologien gesucht. (Auf ähnliche Weise hat Hawking 1983 mit Jim Hartle und 1998 mit Neil Turok versucht, die Urknall-Singularität zu eliminieren und den Anfang des Universums mit einer imaginären Zeit zu erklären, siehe bild der wissenschaft 5/2002, „Hawking & Co“.)

Allerdings weiß niemand, wie sich diese Euklidischen Integrale exakt definieren lassen. Deshalb ist bislang nur eine semiklassische Approximation möglich. Das heißt, man kann nicht über alle Geometrien integrieren, sondern nur über jene, die nahe an den Lösungen der klassischen Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie liegen. Und man muss gleichsam mit gekreuzten Fingern hoffen, dass die partiellen Antworten, die man so erhält, hinreichend mit der Gesamtantwort übereinstimmen. „Wer sich durch diese Prozedur beleidigt fühlt, sollte zu etwas Einfacherem übergehen, etwa zur Mathematik“, kommentiert John Baez von der University of California in Riverside lakonisch.

Hawking betrachtete der Einfachheit halber nur zwei Arten von klassischen Lösungen: solche mit einem ewigen Schwarzen Loch und solche, die keines enthalten. Dann summierte er über beide. Dabei fand er, dass das Ergebnis dasselbe ist, unabhängig davon, ob es kein Schwarzes Loch gibt oder ob man nicht weiß, ob es eines gibt. Die Quantengravitation bleibt unitär – das heißt Informationen gehen nicht verloren, es sei denn, es wäre ein ewiges Schwarzes Loch „im Weg“. Somit verhält es sich in Hawkings neuem Ansatz gerade umgekehrt wie ursprünglich gedacht.

Dieses Ergebnis – für das Hawking freilich noch keinen Beweis vorgelegt hat – ist allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Denn das Euklidische Pfadintegral ist, wie Physiker sagen, infrarot-divergent: Es läuft bei der Rechnung auf großen Skalen und bei kleinen Energien quasi unkontrollierbar auf und davon. Um es überhaupt anwenden zu können, muss die Infrarot-Divergenz gleichsam gebändigt werden. Das ist möglich, wenn man eine negative Kosmologische Konstante einführt – eine von der Allgemeinen Relativitätstheorie erlaubte anziehende Eigenschaft des Raumes, die die Divergenz verhindert. „Das ist nicht bloß ein technisches Detail“, kommentiert Jacques Distler von der University of Texas in Austin. „Kein Schritt der nachfolgenden Argumentation hat ohne es einen Sinn.“

Eng damit zusammen hängt eine zweite Voraussetzung für Hawkings Rechnungen. Sie hat sich zwar zu einer regelrechten Modeströmung unter Theoretischen Physikern entwickelt, ist jedoch bei aller mathematischen Eleganz keineswegs gesichert: die so genannte AdS/CFT-Korrespondenz der Stringtheorie. Aus der Perspektive des Alltagslebens handelt es sich um eine entlegene, spekulative Hypothese. Doch die Stringtheorie ist der gegenwärtig populärste Kandidat für eine Quantentheorie der Gravitation (bild der wissenschaft 4/2004, „Das Duell: Strings gegen Schleifen“). Sie fasst die Elementarteilchen als Anregungsformen winziger schwingender eindimensionaler Saiten auf und kann alle Naturkräfte einheitlich beschreiben. Dies gelingt freilich nur unter der Annahme, dass es nicht drei, sondern in Wirklichkeit neun oder zehn Raumdimensionen gibt, wobei die überschüssigen sechs oder sieben kompaktifiziert sind – das heißt, gleichsam aufgerollt und somit winzig klein sind.

1997 machte der argentinische Physiker Juan Maldacena, auf den Hawking sich mehrmals explizit berief, eine überraschende Entdeckung (sein 1998 erschienener Artikel ist inzwischen weit über 3000-mal zitiert worden). Maldacena, der heute am Institute of Advanced Study in Princeton forscht, fand heraus, dass es in der Stringtheorie eine Dualität – einen speziellen Zusammenhang – von fünfdimensionalen Supergravitationstheorien innerhalb eines bestimmten kosmologischen Modells (AdS) mit einer bestimmten Klasse von vierdimensionalen konformen Quantenfeldtheorien (CFT) gibt: Sie sind mathematisch betrachtet äquivalent, daher AdS/CFT-Korrespondenz. „Das war ein enormer theoretischer Durchbruch, mit dem erstmals zwei Klassen scheinbar völlig verschiedener Theorien in Verbindung gebracht wurden“, sagt Urs Schreiber, ein Stringtheoretiker von der Universität Essen. „ Freilich ist die AdS/CFT-Korrespondenz nur der einfachste Spezialfall einer allgemeineren Dualität von String- und Eichtheorien, wobei nichtkonforme Varianten der letzteren freilich viel schwerer zu handhaben sind.“

Die konformen Feldtheorien sind supersymmetrische Eichtheorien, die alle Kräfte beschreiben, auch die Gravitation. Supersymmetrisch sind sie, weil sie zwei Partikel-Klassen miteinander in Verbindung bringen – sie gleichsam als zwei Seiten derselben Medaille erweisen –, die im etablierten Standardmodell der Elementarteilchen getrennt sind (bild der wissenschaft 5/2004, „SUSY, Higgs und Technicolor“). Diese beiden Klassen sind einerseits die bosonischen Teilchen (mit halbzahligem Eigendrehimpuls), die als Kraftüberträger fungieren (etwa Photonen und Gluonen), und andererseits die fermionischen Teilchen (mit ganzzahligem Spin), die Bausteine der Materie (Quarks und Elektronen). „Konform“ bedeutet symmetrisch nicht nur in Bezug auf Drehungen und Verschiebungen, sondern auch hinsichtlich der Skaleninvarianz: Die Theorie verhält sich auf allen Längenskalen völlig gleich und ist winkeltreu. Solche CFTs sind nicht unbedingt realistisch, aber als gut verstandene Grenzfälle wichtige Zwischenschritte für den Wunschtraum der Teilchenphysiker: eine vereinheitlichte Beschreibung aller Partikel und Kräfte.

Umso erstaunlicher ist es, dass diese vierdimensionalen konformen Feldtheorien mathematisch in bestimmte zehndimensionale Superstringtheorien überführt werden können (oder kurz Stringtheorien – das „super“ steht wieder für supersymmetrisch). Die Stringtheorien gelten nicht in der uns vertrauten vierdimensionalen Raumzeit, sondern in einem Anti-de-Sitter-Raum (AdS), der vier Raumdimensionen besitzt (und die Dimension der Zeit). Genauer: In dem Produktraum von AdS5 x S5, was gewissermaßen der Kombination eines fünfdimensionalen Kegels mit einer fünfdimensionalen Kugel (S5) entspricht, wobei die fünf S5-Raumdimensionen nur winzig klein sind. Der unendlich große AdS-Raum ist durch eine negative Kosmologische Konstante gekennzeichnet, die ihn innerlich negativ krümmt – das ist die Verbindung zur Behebung der erwähnten Infrarot-Divergenz. (Der niederländische Kosmologe Willem de Sitter hatte 1917 eine kosmologische Lösung von Einsteins Feldgleichungen mit positiver Kosmologischer Konstante gefunden, ein materiefreier, ewiger und unendlich expandierender Raum – AdS ist gleichsam ein Antipode zu diesem de-Sitter-Raum.)

Das Bemerkenswerte an der AdS/CFT-Korrespondenz ist, dass sich – wenn auch vielleicht nur in einem artifiziellen Kontext – ein Zusammenhang zwischen einer Quantentheorie und der Allgemeinen Relativitätstheorie und somit der Welt des ganz Kleinen und des ganz Großen herstellen ließ. Identische physikalische Beobachtungsgrößen können hier auf zwei unterschiedliche Weisen berechnet werden, weil beide Theorien dasselbe Phänomen beschreiben. Es ist, als würde Maldacena mit einem Zaubertrick ein Kaninchen in eine Taube verwandeln – und wieder zurück. Zuerst reagierten Physiker ungläubig, bald jedoch enthusiastisch, sangen sogar augenzwinkernd zur Melodie des einstigen Sommerhits „ Macarena“: „Aaaaah, Maldacena!“ Der junge Wissenschaftler bekam Stellenangebote von den renommiertesten amerikanischen Universitäten.

Der AdS/CFT-Korrespondenz zufolge liegt unser vierdimensionales Universum auf einem Rand des fünfdimensionalen AdS-Raums – ähnlich wie eine zweidimensionale Karte der Erde auf einem dreidimensionalen Globus. Unsere Alltagswelt wäre dann eine Art Hologramm, erzeugt von einer höheren Dimension. Tatsächlich propagieren der Physik-Nobelpreisträger Gerard ‚t Hooft von der Universität Utrecht und Leonard Susskind von der kalifornischen Stanford University, einer der Heroen der Stringtheorie, diese exotische Vorstellung schon seit längerem – und meinen genau damit das Informationsverlust-Paradoxon Schwarzer Löcher auflösen zu können (bild der wissenschaft 9/2002, „Finales Fiasko“).

Auch andere Stringtheoretiker sind nicht überzeugt. Jacques Distler erkennt in Hawkings Vorschlag nicht einmal etwas wesentlich Neues: „Das Informationsparadoxon Schwarzer Löcher ist im AdS gelöst, und zwar schon lange. Allerdings gibt es noch Zweifel, ob dies auch im flachen Raum ohne negative Kosmologische Konstante der Fall ist. Über diese heikle Sache sagt Hawking nichts.“ Urs Schreiber spricht sogar von einer „Luftblase“ und bemängelt: „Wenn dieses Resultat wirklich so viel Aufmerksamkeit verdient, dann müsste doch eigentlich Juan Maldacenas drei Jahre alter Artikel die Öffentlichkeit beschäftigen. Statt ihn zu interviewen, wird aber fotografiert, wie Hawking Baseball-Enzyklopädien verteilt. Seine Person und Wetten sind eben medienwirksamer.“

Schreiber hat auch technische Bedenken: „Eine Wick-Rotation in einem Szenario ohne Hintergrundmetrik ist ein Mysterium. Niemand weiß, ob der mathematische Trick einen physikalischen Sinn hat.“ Andererseits sei nicht klar, ob Hawking das vollständige Euklidische Pfadintegral für seine Argumentation überhaupt benötigt. „Letztlich betrachtet er ja nur zwei spezielle Metriken, und für diese haben Maldacena und andere die Wick-Rotation bereits erfolgreich eingesetzt.“. Ein weiteres Problem ist , dass die Raumzeit nicht absolut gesetzt werden sollte. Hawkings semiklassische Vereinfachung ist deshalb womöglich zu stark.

Fazit: Hawkings Argument hat gleich mehrere Probleme.

· Es basiert auf umstrittenen Methoden (Euklidische Pfadintegrale).

· Es benutzt Vereinfachungen (die Approximation der Summation), die noch unklar und nicht im Detail ausgeführt sind.

· Es beruht auf einer spekulativen Annahme (der AdS/CFT-Korrespondenz im Rahmen der Stringtheorie) und somit auch auf einem kosmologischen Modell (Anti-de-Sitter-Raum mit negativer Kosmologischer Konstante), für das es, gelinde gesagt, keine empirische Stütze gibt. (In unserem Universum ist die Kosmologische Konstante, wenn sie existiert, sogar positiv.)

· Und es ist eigentlich nur ein indirektes Argument, weil es das Problem gleichsam aus unendlicher Ferne betrachtet, ohne den detaillierten Mechanismus zu beschreiben (zum Beispiel, ob die Informationen in der Hawking-Strahlung wieder zum Vorschein kommen und wie das geschieht). RV

Exzentrische Physik in der imaginären Zeit und in 10 Raum-Dimensionen

Anzeige

Wissenschaftsjournalist Tim Schröder im Gespräch mit Forscherinnen und Forschern zu Fragen, die uns bewegen:

  • Wie kann die Wissenschaft helfen, die Herausforderungen unserer Zeit zu meistern?
  • Was werden die nächsten großen Innovationen?
  • Was gibt es auf der Erde und im Universum noch zu entdecken?

Hören Sie hier die aktuelle Episode:

Aktueller Buchtipp

Sonderpublikation in Zusammenarbeit  mit der Baden-Württemberg Stiftung
Jetzt ist morgen
Wie Forscher aus dem Südwesten die digitale Zukunft gestalten

Wissenschaftslexikon

Fluss|fisch  〈m. 1〉 in Flüssen lebender Fisch

Al|ka|li  〈n.; –s, –li|en; Chem.〉 Hydroxid der in der ersten Gruppe des Periodensystems stehenden Elemente u. das Ammoniumhydroxid [<arab. al–qaly … mehr

Kar|bo|rund  〈n.; –s; unz.; Chem.〉 durch Erhitzen von Koks, Tonerde, Kochsalz u. Quarzsand hergestelltes Siliziumkarbid [<lat. carbo … mehr

» im Lexikon stöbern
Anzeige
Anzeige
Anzeige