Laut kosmologischem Standardmodell und basierend auf den Spektralmessungen von Galaxien expandiert der Weltraum. „Wohin dehnt sich das Universum aus?“, fragt unser Leser Bernhard K. per E-Mail – und bringt damit ein weit verbreitetes Missverständnis zum Ausdruck.
Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie ist die bis heute durch Messungen glänzend bestätigte Theorie für die Schwerkraft, die Raumzeit und das Universum als Ganzes. Aus ihr folgt, dass der Weltraum auf großen Maßstäben nicht statisch sein kann. Er wäre instabil, wie Einstein 1917 erkannte (aber zunächst nicht wahrhaben wollte). Also muss der Raum kontrahieren oder expandieren. Messungen der Spektrallinien ferner Galaxien und Galaxienhaufen sowie weitere Beobachtungsdaten zeigen, dass sich das Universum ausdehnt. Kurioserweise tut es dies seit etwa sechs Milliarden Jahren sogar immer schneller.
Drei Missverständnisse
Weit verbreitet sind drei Missverständnisse:
- Das All dehnt sich von einer Art Mittelpunkt aus, der den Urknall markiert.
- Das All dehnt sich seither überall gleichmäßig aus.
- Das All dehnt sich an seinem „Außenrand“ aus.
Alle diese Aussagen sind falsch.
Vier kosmologische Konsequenzen
Richtig sind folgende Konsequenzen der Kosmologie auf Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie:
- Der Urknall war keine Explosion in Raum und Zeit, sondern eine Explosion von Raum und Zeit. Die Raumzeit unseres Universums ist erst mit dem Urknall entstanden. Es gibt also keinen Mittelpunkt des Universums, sondern der Urknall hat gewissermaßen überall stattgefunden.
- Der Raum dehnt sich nur dort aus, wo die Schwerkraft der Materie und Energie gering ist. Er expandiert daher nicht innerhalb von Galaxien oder kompakten Galaxiengruppen, sondern zwischen den Galaxienhaufen und -superhaufen. Die Ausdehnungsrate (missverständlich Hubble-Konstante genannt) ist auch in der Zeit nicht konstant, sondern ändert sich raumzeitlich. (Daher spricht man am besten von lokalen Hubble-Parametern und einem globalen, zeitabhängigen Hubble-Parameter als Durchschnittswert.)
- Es gibt keinen äußeren Rand des Universums – unabhängig davon, ob es endlich oder unendlich groß ist. Es gibt allerdings für jeden Ort im Universum prinzipielle Grenzen der Beobachtbarkeit: die kosmischen Horizonte. Sie sind das Resultat der endlichen Vakuum-Lichtgeschwindigkeit. Licht braucht also Zeit, um Entfernungen zu überwinden. Daher ist jeder Blick hinaus in den Raum ein Blick zurück in die Zeit. Weil unser Universum ein endliches Alter hat und sich ausdehnt, können wir nur einen Ausschnitt des Universums betrachten.
Die konkrete Datenlage: Das Alter des Universums beträgt ungefähr 13,8 Milliarden Jahre und seine Expansionsrate gegenwärtig etwa 70 Kilometer pro Sekunde und Megaparsec (das ist die Hubble-„Konstante“). Wir können daher etwa 13,8 Milliarden Jahre zurückblicken – das erste, im Mikrowellenbereich heute noch messbare Licht entstand 380.000 Jahre nach dem Urknall. Wir können aber nicht nur 13,8 Milliarden Lichtjahre in den Raum hinausspähen, sondern weiter. Denn er ist nicht statisch, sondern hat sich ausgedehnt und tut das noch. Wie weit wir im Prinzip zu sehen vermögen, hängt von der Expansionsgeschichte des Alls ab. Den aktuellen Daten zufolge hat unser kosmischer Horizont ringsum eine Distanz von rund 46 Milliarden Lichtjahren.
- Das Universum expandiert nicht nur am kosmischen Horizont (der ja ohnehin für jeden Beobachter ein anderer ist), sondern überall zwischen den Galaxiensuperhaufen. Der Raum dehnt sich also nicht „nach außen“ aus – oder gar innerhalb eines Raums jenseits des Universums beziehungsweise in einen zusätzlichen „Umgebungsraum“ hinein. Für die Existenz eines solchen Extraraums gibt es keinen Hinweis, und er ist in der Kosmologie der Relativitätstheorie auch nicht erforderlich. Vielmehr dehnt sich der Weltraum „innerlich“ aus. Er expandiert also überall, wo ihn die Schwerkraft nicht zusammenhält, und diese Ausdehnung summiert sich über die Entfernungen hinweg (und wird bei hinreichend großen Distanzen sogar effektiv überlichtschnell!). Gravitativ ungestörte Strecken vergrößern sich daher: Eine Strecke von einem Megaparsec Länge (das sind 3,26 Millionen Lichtjahre) dehnt sich um rund 70 Kilometer in jeder Sekunde aus.
Rüdiger Vaas ist bdw-Redakteur für Astronomie und Physik. Dieser Text basiert auf der Neuausgabe seines Buchs Hawkings neues Universum (Kosmos-Verlag 2018).
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