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Älteste Funde des Homo sapiens in Europa

Geschichte|Archäologie

Älteste Funde des Homo sapiens in Europa
Bacho Kiro
Ausgrabungen in der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien. (Bild: Tsenka Tsanova, CC-BY-SA 2.0)

Wann erreichten die ersten Vertreter des Homo sapiens Europa? Eine Antwort auf diese bislang strittige Frage liefern nun Funde aus einer Höhle in Bulgarien. Dort haben Forscher Zähne, Knochen und zahlreiche Steinwerkzeuge entdeckt, die vom Homo sapiens stammen. Datierungen zufolge sind diese Relikte rund 45.000 Jahre alt – und damit die ältesten eindeutigen Zeugnisse für die Präsenz unserer Vorfahren in Europa. Das hohe Alter dieser Funde belegt zudem, dass viele der ursprünglich dem Neandertaler zugeschriebenen Werkzeuge aus dieser Zeit ursprünglich vom Homo sapiens stammen. Die letzten Neandertaler schauten sich diese Techniken dann bei den Neuankömmlingen ab.

Rund 250.000 Jahre lang war der Neandertaler die dominierende Menschenart in Europa. Sie besiedelten unseren Kontinent von der Iberischen Halbinsel bis zum Ural und hinterließen unzählige Lagerstätten, verschiedenste Werkzeuge und auch ihre Toten. Doch vor rund 45.000 Jahren endete die Ära dieses Frühmenschen: Die Populationen des Homo neanderthalensis schrumpften, dafür breitete sich eine neue Menschenart in Europa aus – der Homo sapiens. Doch wann unsere Vorfahren in Europa ankamen und wann sich ihre ersten Populationen etablierten, ist bislang unklar, weil es nur wenige menschliche Fossilien aus dieser Zeit gibt. Als älteste eindeutig datierte Relikte unserer Spezies in Europa galten bislang die rund 41.000 Jahre alten Knochen eines Homo sapiens aus der Pestera cu Oase, einer Höhle in Rumänien. Unter anderem deshalb ist strittig, welche Menschenart die rund 45.000 Jahre alten Steinwerkzeuge herstellte, die an einigen Ausgrabungsstellen in Europa gefunden wurden. Einige ordnen sie aufgrund von Knochenfunden am gleichen Ort den Neandertalern zu, bei anderen ist der Urheber jedoch weniger eindeutig.

45.000 Jahre alte Homo-sapiens-Relikte

Jetzt liefern Funde in der Bacho-Kiro-Höhle in Bulgarien eine neue Antwort auf diese Fragen. In dieser Fundstätte rund 70 Kilometer südlich der Donau wurden schon in den 1970er Jahren zahlreiche Steinwerkzeuge und einige menschliche Knochenfragmente damals noch unbestimmter Herkunft entdeckt. Seit 2015 führt ein internationales Forscherteam um Jean-Jacques Hublin vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig dort weitere Ausgrabungen durch. In einer der Schichten im Höhlengrund stießen sie auf mehr als 2000 Steinwerkzeuge, Knochenperlen, Anhänger und tausende Tierknochen mit Bearbeitungsspuren. Auch einige Zähne und Knochenfragmente menschlicher Herkunft waren darunter. „Die meisten Knochen aus dem Pleistozän sind aber so zerstückelt, dass man nicht auf den ersten Blick sagen kann, von welcher Art sie stammen“, erklärt Co-Autor Frido Welker von der Universität Kopenhagen. „Weil sich aber die Aminosäureabfolge der Proteine von Art zu Art unterscheidet, können wir diese Knochenfunde mithilfe der Protein-Massenspektrometrie zuordnen.“ Parallel dazu isolierten die Forscher auch genetisches Material aus den Zähnen und Knochenstücken und konnten so Rückschlüsse auf die Artzugehörigkeit ziehen.

Die Analysen ergaben: Die Relikte stammen eindeutig vom Homo sapiens und damit unserer Spezies. Das legt nahe, dass auch die in der Höhle gefundenen Werkzeuge von diesen anatomisch modernen Menschen hergestellt wurden. Doch wann war dies? Um das herauszufinden, unterzog ein zweites Team um Hublins Kollegin Helen Fewlass einen Großteil dieser Funde einer umfangreichen Radiokarbondatierung. „Dies liefert uns ein sehr klares Bild darüber, wann der Homo sapiens diese Höhle bewohnte“, so die Forscherin. Die Radiokarbondaten aus der Bacho-Kiro-Höhle seien der größte Datensatz, der je von einer altsteinzeitlichen Fundstelle erhoben wurde, und zugleich der präziseste. Demnach stammen die Funde aus der Zeit vor 45.820 bis 43.650 Jahren, die ältesten Relikte könnten sogar knapp 47.000 Jahre alt sein.

Neandertaler guckten vom Homo sapiens ab

Damit sind die menschlichen Relikte aus der Bacho-Kiro-Höhle die bislang ältesten eindeutig datierten Funde des Homo sapiens in Europa. „Die Bacho-Kiro-Höhle liefert uns Belege für die erste Ausbreitung des Homo sapiens in den gemäßigten Breiten Eurasiens“, sagt Hublin. „Diese Pioniergruppen brachten neue Verhaltensweisen nach Europa und interagierten mit den örtlichen Neandertalergruppen. Dieses Szenario wirft auch ein neues Licht auf die für diese Zeit vor rund 45.000 Jahren typischen Steinwerkzeuge. Denn bisher wurden viele von ihnen dem Neandertaler zugeordnet, weil man annahm, dass sie vor Ankunft der ersten Homo-sapiens-Vertreter entstanden. Die Funde in der Bacho-Kiro-Höhle jedoch belegen, dass unsere Vorfahren schon damals präsent waren und auch Werkzeuge vom Typ des sogenannten initialen Spätpaläolithikums herstellten. „Das initiale Spätpaläolithikum repräsentiert eine neue Herstellungsart von Steinwerkzeugen und neue Verhaltensweisen, darunter auch die Fertigung von Schmuck“, erklärt Hublins Kollegin Tsenka Tsanova.

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Die Funde der Bacho-Kiro-Höhle belegen nun, dass nicht der Neandertaler diese Techniken entwickelte, sondern dass sie wahrscheinlich vom damals neu einwandernden Homo sapiens mitgebracht wurden, so Hublin und seine Kollegen. Weil aber Neandertaler und Homo sapiens noch einige tausend Jahre nebeneinander und in engem Kontakt miteinander lebten, übernahmen die Neandertaler wahrscheinlich einige dieser Techniken. „Das hohe Alter des in der Bacho-Kiro-Höhe gefundenen Materials stützt die Annahme, dass die Verhaltensneuerungen in den schwinden Neandertalerpopulationen aus Kontakten mit den eingewanderten Homo sapiens herrührten“, sagen die Forscher. Das erkläre, warum Werkzeuge des initialen Spätpaläolithikums auch an einigen Fundstätten der letzten Neandertaler entdeckt wurden.

Quelle: Jean-Jacques Hublin (Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-020-2259-z; Helen Fewlass Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig) et al., Nature Ecology & Evolution, doi: 10.1038/s41559-020-1136-3

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