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Genetischer Blick in die britische Geschichte

Geschichte|Archäologie

Genetischer Blick in die britische Geschichte
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Großbritannien aus dem Orbit (NASA/GSFC)
Norweger, Deutsche, Dänen und Franzosen – sie alle haben ihre Spuren im Erbgut der heutigen Briten hinterlassen. Denn die britischen Inseln wurden im Laufe ihrer Geschichte von verschiedensten Volksstämmen besiedelt oder erobert. Einem internationalen Forscherteam ist es nun erstmals gelungen, diese wilde Mischung mit Hilfe von Genanalysen und statistischen Auswertungsmethoden im Detail auseinanderzudividieren. Ihr genetischer Stammbaum der Briten bietet prompt einige Überraschungen.

Großbritannien war schon immer ein Einwanderungsland. Nach gängiger Lesart dominierten dort vor der Zeitenwende erst die Kelten, dann wurde der Süden Englands durch die Römer besetzt. Nach diesen kamen die Angelsachsen – germanische Stämme vom Festland – die sich in einem Großteil des Landes ausbreiteten. Während ihrer Herrschaft fielen immer wieder dänische Wikinger an der Südostküste Englands ein und hinterließen dort auch Siedlungen.  1066 schließlich kam die nach den Angelsachsen zweite prägende Einwanderung: die französischen Normannen. Ihre Nachkommen behielten über Jahrhunderte hinweg die Herrschaft. Die heute zu Großbritannien gehörenden Gebiete Wales, Schottland und
Nordirland gelten dagegen nach landläufiger Meinung bis heute als keltisch geprägt. Allerdings: “Vieles, was wir heute von der Geschichte wissen, stammt von den erfolgreichsten Menschen der damaligen Gesellschaft, denn sie hinterließen die stärksten Spuren in Geschichte und Archäologie”, erklärt Erstautor Stephen Leslie vom Royal Children’s Hospital im australischen Victoria. “Indem wir nun die Genetik und statistische Methoden genutzt haben, können wir auch die Geschichte der Massen erzählen.”

“Die” Kelten gibt es nicht

Für ihre Studie analysierten die Forscher Erbgutproben von 2.039 Menschen, deren vier Großeltern jeweils innerhalb eines 80 Kilometer Umkreises um ihren jetzigen Wohnort geboren wurden. Dies sollte sicherstellen, dass ihre Rekonstruktion nicht durch die großen Bevölkerungsbewegungen des 20. Jahrhunderts verfälscht wurde. Zusätzlich nutzten sie Gendaten von 6.209 Menschen aus zehn europäischen Ländern als Vergleichsproben. Bei allen Proben entzifferten die Forscher die Genbuchstaben an 500.000 einzelnen Positionen der DNA und verglichen diese miteinander. Mit Hilfe statistischer Auswertungen gelang es ihnen so, einen genetischen Stammbaum zu rekonstruieren, der bis auf die Regionen hinunter zeigt, welches genetische Erbe die Menschen in sich tragen.

Die erste Überraschung zeigte sich schon beim groben Überblick: “Die” Kelten gab und gibt es in Großbritannien offenbar nicht. “Wir haben keine Belege für eine allgemein keltische Population in den nicht-angelsächsischen Teilen Großbritanniens gefunden”, konstatieren die Forscher. Stattdessen existieren in diesen Gebieten, darunter Schottland, Wales und Cornwall, mehrere voneinander stark verschiedene genetische Gruppen – und diese haben teilweise nicht mehr gemeinsam als andere genetische Gruppen in England auch. Die Bewohner von Wales beispielsweise repräsentieren eine Population, die noch besonders viel von den eiszeitlichen Ureinwohnern der Insel in sich trägt. Die Menschen in Cornwall dagegen ähneln weit mehr ihren Nachbar in Devon als anderen vermeintlich keltischen Regionen, wie die Forscher berichten.

Deutliches Erbe der Angelsachsen

Aber es gibt auch einige gut zu den geschichtlichen Ereignissen passende Ergebnisse: So ist die DNA der Bewohner der Orkney-Inseln noch heute zu einem Viertel norwegischen Ursprungs – und weicht damit stark den der aller anderen Briten ab. Erklären lässt sich dies jedoch sehr gut damit, dass die Inseln von 875 bis 1472 unter Herrschaft der Wikinger standen. Ähnlich treffend sind die Ergebnisse für Süd-, Mittel- und Ostengland: Hier leben besonders viele Menschen, die zwischen zehn und 40 Prozent angelsächsisches Erbe in sich tragen – genau in dem Gebiet, in dem laut geschichtlicher Überlieferung vor rund 1.500 Jahren die Angelsachsen dominierten. Der Befund könnte auch eine Kontroverse unter Historikern beenden. Denn bisher war unklar, ob die Angelsachsen die zuvor hier lebende Bevölkerung komplett verdrängten oder ob sie sich mit ihr mischten, beispielsweise durch Heirat. “Unsere Ergebnisse zeigen klare Belege für die angelsächsische Einwanderung, schließen aber die Möglichkeit einer langfristigen Verdrängung aus”, sagen die Forscher.

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Und noch etwas fällt auf: Viele Grenzen zwischen genetischen Gruppen in Großbritannien fallen mit geografischen  Landmarken zusammen. So verläuft die Grenze zwischen den Gengruppen in Cornwall und Devon ziemlich genau entlang des Tamar-Flusses und des Bodmin-Moores. “Die Studie enthüllt ein reiches Muster von feinen genetischen Unterschieden innerhalb Großbritanniens, die bemerkenswert gut mit der Geografie übereinstimmen”, so das Fazit der Forscher. “Diese genetischen Informationen sind eine wertvolle Ergänzung zu archäologischen, linguistischen und historischen Ansätzen und helfen dabei, die Populationsgeschichte besser zu verstehen.”

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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