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Massaker in der Steinzeit

Geschichte|Archäologie

Massaker in der Steinzeit
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Der Schädel dieses vor 10.000 Jahren getöteten Mannes zeigt mehrere schwere Verletzungen (Foto: Marta Mirazon Lahr)
Krieg gibt es offenbar nicht erst, seit der Mensch sesshaft wurde oder höhere Zivilisationen entwickelte. Stattdessen scheuten auch schon unsere Jäger-und-Sammler-Vorfahren nicht vor Gemetzel und Massakern zurück. Das belegt ein grausiger Fund am Turkana-See in Kenia. Archäologen stießen dort auf die Überreste von 27 Menschen, die vor rund 10.000 Jahren gewaltsam zu Tode kamen. Diese Toten sind der bisher älteste Beleg für eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Menschengruppen.

Unsere Spezies ist nicht unbedingt friedlich: Schon die Neandertaler schlugen sich bei Konflikten gegenseitig die Schädel ein und auch die berühmte Eismumie Ötzi war das Opfer einer Gewalttat, wie eine Pfeilwunde in seinem Rücken belegt. Verwunderlich ist das nicht, denn solche interpersonellen Konflikte gehören sogar schon zum Verhaltensrepertoire der Schimpansen, unserer engsten Verwandten. Weitaus weniger klar ist jedoch, ab wann unsere Vorfahren begannen, regelrechte Kriege zu führen. „Fälle von größeren gewalttätigen Begegnungen zwischen zwei Gruppen sind bei sesshaften Kulturen bereits relativ häufig“, berichten Marta Mirazon Lahr von der University of Cambridge und ihre Kollegen. So entdeckten Archäologen 2015 in Hessen ein rund 7.000 Jahre altes Massengrab mit 26 verstümmelten Toten. Ihr Fund belegt, dass in der Jungsteinzeit Massaker, Folter und die Vernichtung ganzer Clans durchaus üblich gewesen sein könnten. Anders sieht dies jedoch mit Zeugnissen aus der Zeit der Jäger und Sammler aus. Hier gab es so gut wie keine fossile Belege – bis jetzt.

Tödliche Wunden

Bei Ausgrabungen in Nataruk am Turkana-See in Kenia haben Mirazon Lahr und ihre Kollegen eine Entdeckung gemacht, die das kriegerische Veranlagung des Menschen auch schon vor der Ära der Sesshaftigkeit unter Beweis stellt. Am östlichen Rand einer Senke, die vor rund 10.000 Jahren zu einer flachen Lagune gehörte, stießen die Forscher auf die Überreste von 27 Menschen – 21 Erwachsenen und sechs Kindern. Die Knochen lagen frei umher, Anzeichen für ein Begräbnis oder ähnliches gab es nicht. „Wir haben keine Gruben gefunden und auch keine einheitliche Position von Kopf, Gesicht oder Körper“, berichten die Wissenschaftler. Datierungen ergaben, dass diese Funde 9500 bis 10.500 Jahre alt sind und damit aus dem frühen Holozän stammen. Wie die Forscher berichten, war ein Großteil der Knochen durch Erosion stark geschädigt, zwölf der Skelette konnten sie aber weitgehend vollständig bergen und näher untersuchen.

Dabei zeigte sich Überraschendes: Zehn der zwölf Toten wiesen klare Anzeichen für Gewaltanwendung auf. „Die traumatischen Verletzungen müssen sofort oder zumindest sehr schnell zum Tode geführt haben“, berichten Mirazon Lahr und ihre Kollegen. An fünf Toten fanden sie Spuren von Pfeil- oder Speerverletzungen, fünf waren mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen worden. Einige hatten sogar mehrere Wunden auf einmal. So muss einer der Männer zwei heftige Schläge auf den Kopf erhalten haben, die seinen Schädel brechen ließen. Im Schädelknochen eines anderen fanden die Forscher die Spitze einer Obsidianklinge. „Dieser Mann muss von mindestens zwei Projektilen am Kopf getroffen worden sein, ein stumpfer Schlag zertrümmerte zudem seine Knie und ließ ihn mit dem Gesicht voran in das flache Wasser der Lagune fallen“, beschreibt Mirazon Lahr.

Ältester Beleg für einen kriegerischen Konflikt

Und noch etwas zeigte sich bei der Untersuchung: Die zwei Toten ohne sichtbare Wunden – ein Mann und eine Frau – und zwei der eindeutig verletzten könnten vor ihrem Tode gefesselt gewesen sein. Darauf deutet die Position ihrer vor ihnen überkreuzten Hände hin, wie die Forscher berichten. Eine der wahrscheinlich gefesselten Toten war eine Frau im letzten Stadium der Schwangerschaft – die Knochen ihres ungeborenen Kindes lagen noch in ihrem Bauchraum. Unter den nur unvollständig geborgenen Skeletten sind zudem fünf Kinder unter sechs Jahren und ein Jugendlicher zwischen zwölf und 15. Das spricht dafür, dass hier ein ganzer Clan auf einmal starb. Wer damals die Angreifer waren und warum sie diese Menschen töteten, ist nicht klar. Drei in den Toten gefundene Obsidianklingen sprechen aber dafür, dass es sich bei einer der beiden Gruppen um Ortsfremde gehandelt haben könnte. „Obsidian ist in anderen Fundstätten des südwestlichen Turkana-Sees sehr selten“, erklären die Wissenschaftler. „Das könnte darauf hindeuten, dass diese beiden Gruppen aus unterschiedlichen Territorien stammten.“

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Nach Ansicht der Forscher besteht über die Ursache der Todesfälle kaum ein Zweifel: „Die Toten von Nataruk zeugen von der absichtlichen Ermordung dieser kleinen Gruppe von Jägern und Sammlern“, konstatiert Mirazon Lahr. „Diese Toten liefern damit einen einzigartigen Beleg dafür, dass Krieg schon bei den prähistorischen Jägern und Sammlern Teil des Verhaltens-Repertoires war.“ Ob das Massaker von Nataruk durch einen Kampf um Ressourcen ausgelöst wurde – beispielsweise um Nahrung, Territorien oder Frauen – oder ob es sich um eine damals übliche Feindseligkeit zwischen fremden Gruppen handelte, bleibt offen.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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