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Warum „weiße“ Lügen nützlich sind

Geschichte|Archäologie Gesellschaft|Psychologie

Warum „weiße“ Lügen nützlich sind
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Höfliches Flunkern macht soziale Netze stabiler (thinstock)
Lügen gehört sich nicht, das lernen wir schon als Kinder. Trotzdem schwindeln wir fast täglich. Viele dieser Lügen sind allerdings eher ein höfliches Flunkern – wir lügen beispielsweise, um andere nicht zu verletzen. Wie sich diese „weißen“ Lügen auf die Struktur sozialer Netze auswirken, hat ein internationales Forscherteam jetzt in einer Simulation untersucht. Ihr beruhigendes Resultat: Solche prosozialen Lügen schaden nicht, sondern machen Gesellschaften sogar stabiler und das Netzwerk komplexer. Immer nur gnadenlos ehrlich zu sein, ist daher gar nicht unbedingt empfehlenswert. Richtig destruktiv sind dagegen egoistische oder antisoziale Lügen, wie die Studie zeigte: Sie richten ein soziales Netzwerk im Extremfall zugrunde.

In nahezu allen Kulturen gilt Unehrlichkeit als unanständig, als gesellschaftlich nicht akzeptabel. Denn sie verletzt eines der wichtigsten Grundlagen des sozialen Verhaltens: das Vertrauen zum Gegenüber. Dieses bildet nicht nur die Basis für Freundschaften und Beziehungen, sondern stabilisiert auch soziale Netzwerke. Das aber hindert uns nicht daran, trotzdem zu lügen – und das sogar ziemlich oft. Eine Studie ermittelte beispielsweise, dass US-Amerikaner durchschnittlich 1,64 Lügen pro Tag erzählen, in anderen wurden Zahlen zwischen 0,6 und 2,0 beobachtet, wie Gerardo Iñiguez von der Universität Aalto in Finnland und seine Kollegen berichten. Gleichzeitig gibt es Kulturen, in denen höfliche Lügen sogar wichtiger Teil des gesellschaftlichen Miteinanders sind: Menschen geben dann auf Fragen die Antwort, von der sie annehmen, dass ihr Gegenüber sie gerne hören möchte, statt ungeschminkt die Wahrheit zu sagen.

Zwei Formen der Lüge

„Angesichts dessen ist es kein Wunder, dass der Mensch durchaus zwischen der Intention und Schwere der Lügen unterscheidet“, erklären die Forscher: Bei den höflichen oder „weißen“ Lügen will man meist seinen Gegenüber schonen, ihm Unangenehmes ersparen und die Beziehung stabilisieren. Sie sind daher eher prosozial und werden meist durchaus akzeptiert. Anders dagegen die antisozialen Lügen: Sie sind egoistisch und dienen meist dazu, sich auf Kosten anderer zu schützen oder von etwas zu profitieren: „Ich war’s nicht, er war’s!“ Diese Form der Unehrlichkeit unterminiert jedoch das Vertrauen zum Gegenüber ernstlich und gilt daher als potenziell beziehungszerstörend.

Wie sich beiden Formen der Lüge auf größere Gruppen und deren soziales Netz auswirken, haben Iñiguez und seine Kollegen nun mit Hilfe eines sozialen Netzwerkmodells untersucht. Dafür erzeugten sie ein komplex verflochtenes Netz von virtuellen Personen. Jede Form der Lüge bekam darin einen bestimmten, entweder die Beziehung zum Gegenüber stabilisierenden oder sie destabilisierenden Wert zugeordnet. In mehreren Simulationen testeten die Forscher dann, wie sich die Verknüpfungen im Netzwerk entwickeln, wenn nur ein Teil oder alle Personen entweder ständig prosoziale oder antisoziale Lügen verbreiten. „Damit wollten wir herausfinden, wie Lügen auf der Eben der Zweier-Beziehung die Struktur und den Zusammenhalt ganzer Netzwerke beeinflussen“, erklären die Forscher.

Überraschend positiver Effekt

Des Ergebnis: „Weiße“ Lügen wirken sich tatsächlich völlig anders auf das soziale Netzwerk aus als egoistische Unehrlichkeit. Verbreiteten die virtuellen Personen prosoziale Lügen, dann nahmen einige Bindungen im Netz zwar ab, andere wurden aber dafür umso enger. Als Folge bildeten sich im Laufe der Zeit kleinere Untergruppen aus eng miteinander verbundenen Personen. Je mehr gelogen wurde, desto mehr und kleinere Cliquen gab es dabei, wie die Forscher berichten. Anders sah es dagegen bei den antisozialen, egoistischen Lügen aus: Hier begann mit zunehmender Anzahl der Lügner das Netzwerk schnell auseinander zu fallen. Im Extremfall – alle logen – waren Ende fast alle Personen komplett isoliert, das Netzwerk war zerstört.

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„Das zeigt, dass nicht alle Lügen schlecht sind oder sozial destruktiv – ganz im Gegenteil“, konstatieren Iñiguez und seine Kollegen. „Prosoziale Lügen können sogar die Komplexität und Bindungen in einem Netzwerk erhöhen.“ Nach Ansicht der Forscher bedeutet dies, dass ein gewisser Anteil „weißer“ Lügen in unserer Gesellschaft tatsächlich nötig scheint, um sie reibungslos funktionieren zu lassen. Denn wenn alle nur immer die Wahrheit sagen, dann bleibt das Netz eher einfach gestrickt, wie die Simulation zeigte. Wenn wir ab und zu höflich Flunkern, müssen wir demnach eigentlich kein schlechtes Gewissen haben: Wir tragen so dazu bei, unsere Beziehungen und auch die Gemeinschaft als Ganzes stabiler und vielfältiger zu machen.

Quelle:

© wissenschaft.de – Nadja Podbregar
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