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Wie sich die Glockenbecherkultur ausbreitete

Geschichte|Archäologie

Wie sich die Glockenbecherkultur ausbreitete
Glockenbecherkultur
Typisches Gefäß der Glockenbecherkultur (Foto: Anthony Denaire)

Die Frühgeschichte Europas ist von kulturellen Umwälzungen und Migrationen geprägt. Ob die Menschen sich damals neue Kulturtechniken bloß abguckten oder ob Einwanderer sie mitbrachten, ist dabei oft strittig – so auch für die Glockenbecherkultur, die sich vor rund 4500 Jahren in Europa ausbreitete. Wie dies damals geschah, haben nun Forscher mithilfe von DNA-Analysen untersucht – mit überraschendem Ergebnis. Denn die Ausbreitung dieser Kultur erfolgte in zwei ganz unterschiedlichen Schritten.

Am Übergang von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit erlebten die Kulturen Europas einen tiefgreifenden Wandel. Im Osten Europas beeinflussten die aus den eurasischen Steppengebieten einwandernden Jamnaja den Lebensstil und die Kulturtechniken der dort ansässigen Bauern. Eine zweite Welle der Veränderung ging vor rund 4700 Jahren von der Iberischen Halbinsel aus: Die sogenannte Glockenbecherkultur, gekennzeichnet durch typisch bauchige Keramik, Kupferdolche, Pfeilspitzen aus Feuerstein und eine Bestattung ihrer Toten in Steinkisten, verbreitete sich von dort über weite Teile West- und Mitteleuropas. Vor 4400 Jahren erreichte diese Kultur auch die Britischen Inseln, wo sie besonders lange bestehen blieb. Doch eines war bisher unklar: „Eine große Debatte in der Archäologie drehte sich um die Frage, ob sich die Glockenbecherkultur durch die Migration der Menschen ausbreitete, durch eine bloße Weitergabe der Kultur oder vielleicht durch beides“, erklären David Reich von der Harvard University in Boston und seine Kollegen.

Abgucken von den Iberern

Um diese Streitfrage zu klären, hat das internationale Forscherteam die bisher umfangreichste Analyse des Erbguts prähistorischer Menschen durchgeführt. Die Wissenschaftler nahmen Knochenproben von 400 Skeletten aus der Jungsteinzeit, der Kupferzeit und der Bronzezeit, die in ganz unterschiedlichen Regionen Europas gefunden worden waren. Unter den Toten waren 226 Angehörige der Glockenbecherkultur und 174 Vertreter anderer damals vorkommender Populationen. Um zu klären, ob Menschen oder bloßes „Abgucken“ die Glockenbecherkultur über Europa verbreiteten, verglichen die Forscher sowohl die DNA des Y-Chromosoms als auch das in den Mitochondrien vorliegende Erbgut. Weil das Y-Chromosom nur von Vätern an ihre Söhne weitergegeben wird und die Mitochondrien nur von Müttern an ihre Kinder, erlaubte ihnen dies, die Abstammungsverhältnisse der Glockenbecher-Menschen und damit auch ihre Wanderungsbewegungen zu rekonstruieren.

Das überraschende Ergebnis: Die Glockenbecherkultur breitete sich in zwei Schritten auf jeweils unterschiedliche Weise aus, wie die Forscher herausfanden. Der erste Schritt erfolgte bei der Ausbreitung der Kultur über die Iberische Halbinsel hinaus: Der DNA-Vergleich ergab, dass die Vertreter der Glockenbecherkultur aus Frankreich und Mitteleuropa genetisch gesehen ganz anderen Populationen angehörten als die Iberer. Sie müssen demnach die Kultur übernommen haben, ohne dass sie selbst oder ihre Vorfahren von der Iberischen Halbinsel eingewandert wären. „Die Verbreitung der Glockenbecherkultur von der Iberischen Halbinsel nach Resteuropa ist das erste Beispiel für eine Kultur, die als Idee übertragen wurde“, erklärt Koautor Carles Lalueza-Fox von der Pompeu Fabra Universität in Barcelona. „Offenbar war diese Kultur mit hohem sozialen Prestige verbunden, weshalb andere Populationen sie übernahmen.“

Einwanderung nach Großbritannien

Der zweite Schritt erfolgte einige hundert Jahre später, als sich die Glockenbecherkultur nach Norden bis auf die Britischen Inseln ausbreitete. Wie die DNA-Vergleiche ergaben, spielte hier die Einwanderung von Menschen aus Mitteleuropa eine zentrale Rolle. Die Angehörigen der britischen Glockenbecherkultur waren zu bis zu 90 Prozent Nachkommen dieser Einwanderer, wie die Forscher feststellten. Die zuvor in dieser Region lebende Bevölkerung von Jägern und Sammlern wurde durch diese Migration nahezu vollständig abgelöst. „Das bedeutet, dass die Menschen, die Stonehenge erbauten, damals fast verschwanden und durch Glockenbecher-Populationen aus dem Gebiet des heutigen Deutschlands und der Niederlande ersetzt wurden“, erklärt Lalueza-Fox. Die Analyse der Y-Chromosomen spricht zudem dafür, dass damals vor allem Männer der Glockenbecherkultur einwanderten und Nachkommen zeugten. „Dies deutet auf eine zuvor nie dagewesene soziale Dominanz der Einwanderer hin“, so der Forscher.

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Die Analyse alter DNA habe damit erneut neue und überraschende Einblicke in die Entwicklung der Kulturen Europas geliefert, sagt Reich: „Wenn wir unsere Daten anschauen, finden wir wieder und wieder Überraschendes.“ Neben den Genanalysen zur Glockenbecherkultur haben er und seine Kollegen in einer zweiten Studie das Erbgut weiterer 225 prähistorischer Europäer untersucht. Dies bestätigte unter anderem, dass auch die vor rund 5300 Jahren nach Europa eingewanderten Steppennomaden mehr als nur ihre Kultur hinterließen. Ihr genetisches Erbe prägt das Erbgut der Europäer bis heute. Zudem enthüllten die Daten, dass es einige Jahrtausende früher, bei der Ausbreitung der Landwirtschaft in Europa, zu überraschend einseitigen Vermischungen von ersten Bauern und Jägern und Sammlern kam: Im Norden und Westen Europas zeugten vor allem männliche Bauern Nachkommen – auch mit Frauen der Jäger-und-Sammler-Populationen.

David Reich (Harvard Medical School, Boston) et al., Nature, doi: 10.1038/nature25738; doi: 10.1038/nature25778

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