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Brainstorming – ein beliebter Flop

Gesellschaft|Psychologie

Brainstorming – ein beliebter Flop
In Büros werden täglich Arbeitsstunden verschwendet und gute Ideen nicht gedacht, weil man auf falsche Methoden setzt.

Die Methode nützt nachweislich nichts, sondern schadet. Trotzdem setzen alle sie ein, vom Großkonzern bis zur Arbeitslosen-Initiative. Sie alle erhoffen sich mehr und bessere Ideen durch Brainstorming. Vor gut 50 Jahren beschrieb der Werbefachmann Alex Osborn in einem Buch seine Regeln für diese angeblich kreativen Gruppenrunden:

• Produziere möglichst viele Ideen.

• Diese Ideen sollten möglichst ungewöhnlich sein.

• Verbessere und ergänze bereits genannte Ideen.

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• Enthalte dich jeglicher Kritik.

So sollen viele Ideen zusammen kommen, denn laut Osborn erzeugt Quantität Qualität. Das Verbot der Kritik sollte verhindern, dass gute Einfälle schon im Keim erstickt werden. Osborn versprach pro Kopf doppelt so viele Ideen wie wenn der Teilnehmer allein vor sich hinbrütete.

Schon fünf Jahre später, im Jahr 1958, stellten die Psychologen Donald Taylor, Paul Berry und Clifford Block von der University of Stanford Osborns Versprechen auf die Probe. Sie ließen Vierer-Gruppen nach seinem Rezept brainstormen. Zu jeder Gruppe gab es vier Vergleichspersonen, die für sich allein über dasselbe Problem auf Einfälle sannen. Am Ende zählten und bewerteten Experten alle Ideen. Waren zwei einzeln Arbeitende auf die gleiche Idee verfallen, galt die natürlich nur einmal.

Das Brainstorming fiel krachend durch: Die Einzelkämpfer hatten nicht nur mehr, sondern auch bessere Eingebungen. Über 50 ähnliche Studien fielen genauso vernichtend aus. Vor allem große Gruppen brachten oft nur ein Drittel der Ideen von unabhängig Sinnierenden hervor. Der Ausbreitung des Verfahrens hat es nicht geschadet. Inzwischen adelt selbst der Duden das Wort als Bestandteil der deutschen Sprache.

Warum funktioniert das Verfahren nicht, obwohl die Idee doch so einleuchtet? Dieser Frage sind Sozialpsychologen in zahlreichen Experimenten nachgegangen.

Der erste Verdacht lautete: Trittbrettfahrerei – jeder verlässt sich auf den anderen. Dieses Phänomen tritt häufig auf, wenn Gruppen Aufgaben erledigen sollen. Die Arbeitsmoral leidet vor allem, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind. Wenn der Einzelne das Gefühl hat, dass es auf seinen Beitrag nicht ankommt. Und wenn er außerdem glaubt, dass es kaum auffällt, wenn er sich zurücklehnt. Der Tübinger Psychologe-Professor Michael Diehl überprüfte diese Erklärung, indem er Mitgliedern von Versuchsgruppen drohte, ihre Beiträge würden hinterher individuell analysiert. Das verbesserte die Leistungen zwar etwas, aber an die von Einzelarbeitern reichten sie noch lange nicht heran. Trittbrettfahrerei liefert also nur einen kleinen Teil der Erklärung.

Die Kandidaten können es in Gruppen nicht besser – weil sie sich gegenseitig blockieren. Meist müssen sie warten, bis ein anderer ausgeredet hat, und dies hemmt die Kreativität, wie Diehl in einem anderen Experiment zeigte. Er packte vier Versuchspersonen in Einzelzimmer, wo sie ihre Ideen in ein Mikrofon sprechen sollten. Mussten die Teilnehmer mit dem Losplappern warten, bis eine Ampel anzeigte, dass die anderen sich ausgesprochen hatten, blieben sie so einfallslos wie gehabt, egal ob sie die anderen per Sprechanlage hören konnten oder nicht. Durften sie ihre Einfälle aber ohne Rücksicht auf die Ampel hinaus posaunen, war keine Hemmung der Kreativität feststellbar.

Die Erklärung liefert der Psychologie-Professor Wolfgang Stroebe von der Universität Utrecht, der auch schon an den Tübinger Experimenten beteiligt war. Aufgrund neuer Studien führt er die Blockade auf Probleme mit dem Gedächtnis zurück: Um Stoff für neue Ideen zu haben, muss das Gehirn Informationen aus dem Langzeitgedächtnis heranschaffen, und es muss sie präsent halten. Beide Prozesse leiden unter der Warterei beim klassischen Brainstorming.

Deshalb setzen die Forscher seit kurzem auf das Computer-Brainstorming. Die Teilnehmer sehen die Beiträge der anderen auf dem Bildschirm, können aber jederzeit ihre eigenen Ideen eintippen. Tatsächlich zeitigt der elektronische Gehirnsturm bessere Ergebnisse, als wenn die Beteiligten sich traditionell auf der Pelle sitzen. Aber auch mit Computer ist das Ganze nicht wesentlich mehr als die Summe seiner Teile.

Bei kaum einem Thema sind die psychologischen Befunde so eindeutig und erdrückend, doch die Forscher geben sich keinen Illusionen hin, damit etwas zu bewirken. Brainstorming in Gruppen werde populär bleiben, weil „es mehr Spaß macht als individuelles Brainstorming“, resigniert Stroebe, und weil „die Teilnehmer den Eindruck haben, in Gruppen produktiver zu sein als alleine – selbst wenn das Gegenteil der Fall ist“.

Jochen Paulus

Ohne Titel

WENN ES IM BÜRO ODER LABOR so richtig stressig zugeht, glauben viele Mitarbeiter, dass sie vor Ideen nur so sprühen. Doch das Gefühl der Inspiration täuscht. Das hat die Sozialpsychologin Teresa Amabile von der renommierten Harvard Business School nachgewiesen. Die Studie trägt den schönen Titel „Creativity Under the Gun“ („Kreativ sein mit der Pistole auf der Brust“ ).

Teresa Amabile untersuchte 177 Angestellte, die bei sieben amerikanischen Firmen arbeiteten, wobei die Branchen von Computertechnik bis zur Chemie reichten. Fast alle waren „ Wissensarbeiter“, die meisten hatten studiert. Für die Dauer eines Firmenprojekts sollten sie täglich online einen Fragebogen ausfüllen und darin den zurückliegenden Arbeitstag beschreiben. Obwohl einige Projekte länger als ein halbes Jahr dauerten, wurden über 75 Prozent der Fragebögen getreulich beantwortet. Das ergab einen Datenschatz von 9134 Antworten.

Wie die Auswertung zeigte, hielten sich die Teilnehmer an stressigen Tagen für kreativer. „Bedauerlicherweise straften die Tagebücher diese Selbsteinschätzung Lügen“, resümiert Teresa Amabile. Denn die Gehetzten hatten tatsächlich weniger neue Ideen und Einsichten notiert. An Tagen mit der höchsten Stress-Stufe ging die Kreativität um 45 Prozent zurück. Diese Blockade hielt auch am nächsten und übernächsten Tag an. „Zeitdruck scheint einen Kater zu verursachen“, kommentiert die Professorin für Business Administration.

Vor allem ständige Unterbrechungen schaden. „Tretmühlen-Tage, die mit Besprechungen gefüllt sind, töten tendenziell die Kreativität“, so die Studie. Das Telefon stört ebenfalls. Ein Programmierer steckte „gerade knietief in Einsen und Nullen“, als er drei Anrufe hintereinander bekam. „Ich hätte den verdammten Apparat quer durch den Raum werfen können.“

Nur manchmal erwiesen sich die Mitarbeiter auch an Tagen mit hohem Zeitdruck als kreativ. Die Forscher prüften, was an diesen Tagen besonders war. Wie sich herausstellte, konnten sich die Angestellten trotz zeitlichen Drucks ungestört ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren.

Das war allerdings ein seltener Luxus. Deshalb gilt: „Wenn man der Kreativität die Pistole auf die Brust setzt, überlebt sie das gewöhnlich nicht“, so Teresa Amabile. Mit Ideen zu jonglieren, dauere eben. In den legendären Bell Labs des US- Telefonriesen AT&T seien Innovationen wie der Transistor entstanden, weil dort die Firmenphilosophie galt, „dass große Ideen Zeit brauchen“ .

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