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Da irrt Professor Spitzer!

Gesellschaft|Psychologie Technik|Digitales

Da irrt Professor Spitzer!
Internet, Facebook & Co hält der Hirnforscher Manfred Spitzer für Teufelszeug. Dabei müssen die Jugendlichen nur lernen, richtig damit umzugehen.

„Dumm, aggressiv, einsam, krank und unglücklich“ machen die digitalen Medien, behauptet Manfred Spitzer in seinem umstrittenen Bestseller „Digitale Demenz“. Vor allem Kinder klicken sich mit Internet, Computer und Smartphone angeblich das Gehirn weg. Die meisten Journalisten haben den populären Bestseller des Hirnforschers zerrissen.

Tatsächlich schlägt Spitzer argumentative Salti, zieht gewagte Schlussfolgerungen und ersinnt haarsträubende Vergleiche. Zwar zitiert er auch viele wissenschaftliche Studien, doch unstimmige Details, kritische Anmerkungen der Autoren und gegensätzliche Studien kehrt er oft unter den Teppich. Entsprechend verärgert reagierten die Fachkollegen. Und die Netz-Gemeinde schoss mit den eigenen Waffen zurück und stellte im Internet Studien zusammen, die Spitzers Sicht widerlegen.

Schade: Denn viele der Probleme, die der Hirnforscher anspricht, existieren durchaus. Kinder und Jugendliche verbringen extrem viel Zeit am Computer, manche von ihnen driften komplett in die digitale Welt ab. Und natürlich beherbergt das Internet nicht nur scheinbar grenzenloses Wissen, sondern neben viel Unsinn auch Gewalt, Kriminalität und Pornografie.

Die Gegner von Spitzer haben eine Lösung parat: „ Medienkompetenz“. Spitzers Position dazu ist eindeutig: Er vergleicht jegliche Vorbereitung auf digitale Medien mit „ Alkoholtraining im Kindergarten“. Doch was ist „Medienkompetenz“ eigentlich – richtig googeln können? Oder schnell wegklicken, wenn ein Gewalt-Video über den Monitor flimmert?

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Die Vier Gefahren

Kinder sollten Computer, Tablets und Smartphones nicht nur bedienen, sondern vor allem intelligent und sinnvoll nutzen können, erklärt Michael Kerres, Professor für Mediendidaktik an der Universität Duisburg-Essen. Im Fokus der Forschung steht das Internet. Denn dort laufen alle Medien zusammen: Jugendliche mailen, surfen und chatten nicht nur, sondern sie spielen dort auch, lesen und schauen Videos an. Allerdings: Anders als Spitzer suggeriert, gibt es nicht „das Internet“, sondern vielfältige Inhalte und entsprechend unterschiedliche Gefahren. Experten sehen vor allem vier Problembereiche: Cybermobbing, bedrohte Privatsphäre, fehlgeleitete Recherche und Abhängigkeit im Netz.

Fast jeder Jugendliche ist heute bei Facebook aktiv – wie die 14-jährige Lena. Doch Lena ist vorsichtig. Bei Facebook gibt sie ihren Nachnamen nicht preis, Fremde können sie weder kontaktieren noch ihre Seite anschauen. Auch bei „bild der wissenschaft“ möchte sie anonym bleiben. Medienunterricht in der Schule, aber auch Nachrichten über „Facebook-Partys“ und „Facebook-Morde“ haben nicht nur Lena für das Thema Privatsphäre sensibilisiert. Neun von zehn jungen Facebook-Nutzern schützen ihr Profil, indem sie die Privatsphäre-Einstellungen anpassen, ergab eine Studie der Landesanstalt für Medien NRW. Nur eine kleine Gruppe schützt ihr Profil wenig und veröffentlicht viel. Diese sogenannten „ Vieloffenbarer“ sind im Schnitt jünger und weniger gebildet.

Lenas Fotos und Informationen können dagegen nur ihre fast 300 „Freunde“ sehen – und natürlich die Facebook- Administratoren. Wie Lena schützen die meisten Kinder ihr Profil lediglich vor Fremden. „Man wird komplett gläsern“, mahnt Johannes Hoffmann vom Institut für IT-Sicherheit der Ruhr-Universität Bochum, „wenn man viele Daten bei Facebook preisgibt.“ Denn Facebook speichert, wann der Nutzer online geht, welche Werbung er anklickt, wonach er sucht, was er schreibt und vieles mehr. Mit solchen Daten kann man Werbung perfekt auf den Nutzer zuschneiden. Und die Daten lassen sich theoretisch auch für andere Zwecke missbrauchen. „Man muss nur weiterdenken, wer an solchen Daten interessiert ist: Arbeitgeber beispielsweise, und Versicherungen“, meint Hoffmann.

Telefonliste einfach kopiert

Besonders gut durchleuchtet wird, wer sich per Facebook-App vom Handy einloggt. Aber auch andere Apps bergen Risiken: Beliebte Nachrichtendienste wie „What’s App“ kopieren sich die Telefonliste, und manche Spiele versenden selbstständig teure Premium-SMS. Die Rechte, die man einer App bei der Installation einräumt, sollte man daher gründlich lesen, betont Hoffmann.

Theoretisch kann ein Programm sich sogar alle Fotos und SMS vom Handy beschaffen und die Kamera oder das Mikrofon fernsteuern. Sensible Daten oder sehr private Fotos haben daher auf dem Smartphone ebenso wenig etwas verloren wie im Netz. Denn es droht nicht nur Datenmissbrauch, sondern eine weitere Gefahr: Cybermobbing.

„Hässlich“, schrieb ein Klassenkamerad von Lena unter das Foto einer Mitschülerin. Cybermobbing ist das für Lena noch nicht. Auch die Wissenschaftler sind sich uneinig, ab wann sie von Cybermobbing sprechen. In Untersuchungen schwankt daher der Prozentsatz der Jugendlichen, die Cybermobbing schon einmal persönlich erlebt haben, zwischen 3 und über 30 Prozent. Dabei gilt: Wer sich von Anfang an sozial im Netz verhält, wird seltener zum Opfer als jemand, der im Chat lügt und betrügt. Zum korrekten Verhalten im Netz gehört, bloßstellendes Material nicht einfach weiterzuleiten und auch als Zuschauer einzugreifen. Über 73 Prozent der Jugendlichen, die Jan Pfetsch, Psychologe an der TU Berlin, befragte, hatten in letzter Zeit Mobbing miterlebt.

Besonders belastend ist die Veröffentlichung von peinlichen Fotos oder Videos, die jeder anschauen kann. Steht das Material einmal im Netz, empfiehlt die Psychologin Stephanie Pieschl von der Universität Münster, nicht sofort zu löschen, sondern die Beweise erst einmal zu sichern – zum Beispiel einen Screenshot der Facebook-Seite zu machen. Auf keinen Fall sollte das Opfer zurückmobben: „Das eskaliert dann schnell.“ Vor allem aber sollte der Jugendliche mit jemandem über das Problem reden. „Das können Gleichaltrige sein“, sagt Pieschl, „die sich gut mit den Medien auskennen, aber auch Erwachsene, die besser beurteilen können, ob man weitere Hilfe hinzuziehen sollte.“

MobbiNg-Spuren löschen

Wichtig sei, dass in Familien offen über das Thema Internet geredet wird, man gemeinsam überlegt, was man preisgibt. „Die Kinder sollten wissen: Wenn ich ein Problem habe, kann ich damit zu meinen Eltern kommen, und die verbieten mir nicht gleich den Computer“, sagt die Expertin für Cybermobbing. Gemeinsam kann die Familie dann die Spuren des Mobbings im Netz löschen, etwa über die Beschwerdesysteme von Facebook oder YouTube.

Die beliebten Smartphones verstärken auch ein anderes Problem: exzessiven Internet-Konsum. „Meine Sucht beginnt mit F & hört mit acebook auf“, nennt sich eine Seite, die Lena bei Facebook mit „gefällt mir“ markiert hat. Darauf angesprochen, meint sie: „ Ich kann es locker eine Woche ohne Internet aushalten.“ Internet-Abhängige hingegen werden unruhig, ängstlich und aggressiv, wenn sie abstinent sind. Viele vernachlässigen die Schule, die Freunde und die eigene Körperpflege. In diesem Stadium befinden sich laut einer Studie von Hans-Jürgen Rumpf von der Universität Lübeck etwa 250 000 der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland. Das sind etwa 2,4 Prozent der Jugendlichen.

„Abhängig machen in erster Linie Online-Computerspiele, die meisten anderen Beschäftigungen im Internet sind ungefährlich“, erklärt Bert te Wildt, der die Ambulanz für Internet-Abhängige der psychosomatischen LWL-Klinik in Bochum leitet. Nicht jeder Spieler wird abhängig: „Es sind vor allem junge Männer, die in den virtuellen Spielwelten den Helden spielen, in der realen Welt aber nicht gut ankommen“, erläutert der Psychiater. Die riesige Zahl der miteinander verknüpften Spielebenen („Levels“) stachelt den Spieler an. Dazu kommt, dass vor allem auf höheren Levels der Spieler nur manchmal für geschicktes Spielen belohnt wird – genau wie bei einem Glücksspiel. „Dieses Suchtpotenzial sollte in die Altersfreigabe einbezogen werden“, fordert te Wildt.

Ob auch die sozialen Netzwerke süchtig machen können, ist nicht geklärt. „Vermutlich eher nicht“, glaubt te Wildt, „weil sie nur interessant sind, wenn man ein reales Leben führt, das man dort dokumentieren und organisieren kann.“ Mit Sorge beobachtet er jedoch, dass Facebook immer mehr Spiele integriert. Damit es gar nicht erst zur Internet-Abhängigkeit kommt, empfiehlt te Wildt: „Immer schauen, ob das Medium noch ein Diener des realen Lebens ist oder zum Selbstzweck geworden ist.“

Wenn ein Kind vor allem virtuelle Bäume kennt, statt auf reale Bäume zu klettern, ist offensichtlich etwas schief gelaufen. Zeitschaltuhren können helfen, den Konsum kontrollieren zu lernen – nicht nur bei Kindern. „Bildschirmmedien begleiten uns überall, und wir starren ständig darauf“, gibt te Wildt zu bedenken, „Da müssen wir uns nicht wundern, wenn Kinder und Jugendliche das auch machen.“

Schutz vor Pornoseiten

Noch stärker als über Internet-Sucht sorgen sich Eltern, dass Kinder auf ungeeignete Web-Seiten stoßen. Eine 2012 veröffentlichte Studie des Deutschen Jugendinstituts in München zum Suchverhalten von Kindern ergab: Der zweithäufigste Suchbegriff ist „Sex“. Gibt man ihn bei einer Kindersuchmaschine ein, leitet diese auf Aufklärungsseiten weiter. Doch die meisten Kinder und Jugendlichen nutzen keine Kindersuchmaschinen. Auch Lena nicht: „Wenn ich was wissen will, dann google ich.“

Damit sich Kinder nicht auf Pornoseiten verirren, können Eltern Filtersoftware installieren. „Kinder ohne eine Schutzsoftware vors Internet zu setzen, halte ich für fahrlässig und verantwortungslos“, meint te Wildt. „Ich würde mein Kind ja auch nicht in einem Stadtviertel voller Gewalt und Prostitution herumlaufen lassen.“ Welchen Seiten man trauen kann, beurteilen viele junge Internet-Nutzer intuitiv – auch Lena: „Wikipedia ist vertrauenswürdig, weil da so viel drin steht und es so fachlich geschrieben ist.“ Auch Erwachsene prüfen oft weder die Versionsgeschichte eines Wikipedia-Artikels, noch wissen sie, dass sie den Urheber einer Seite über www.denic.de ermitteln können.

Fest steht: Medienkompetenz erwerben Kinder nicht von selbst. Sie brauchen Erwachsene an ihrer Seite, die mit ihnen das Netz erkunden – vor allem aber die reale Welt, ohne dabei immer wieder auf ihr Smartphone zu starren. ■

HANNA DRIMALLA, Psychologin und freie Journalistin, bekam einen heilsamen Schock, als sie erfuhr, was Facebook alles über sie weiß.

von Hanna Drimalla

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LESEN

Stephanie Pieschl, Torsten Porsch SCHLUSS MIT CYBERMOBBING! Das Trainings- und Präventionsprogramm „Surf-Fair“ (mit DVD), Beltz 2012, € 26,95

Bert te Wildt MEDIALISATION Von der Medienabhängigkeit des Menschen Vandenhoeck & Ruprecht 2012, € 29,99

INTERNET

Gute Kindersuchmaschine: www.blindekuh.de

Hilfreiche Filtersoftware: www.jugendschutzprogramm.de

Sicher in Facebook unterwegs

Zuerst ein Blick in die Privatsphäre-Einstellungen: Die eigenen Beiträge sollte keinesfalls jeder sehen können („ Öffentlich“), sondern nur Freunde oder enge Freunde („ Benutzerdefiniert“). Unter „Chronik und Markierungen“ lässt sich ankreuzen, wer Nachrichten auf die eigene Seite schreiben darf und wer diese lesen kann (auch hier empfiehlt sich: „Freunde“). Facebook sichert sich die Nutzungsrechte an den Fotos und Videos seiner Nutzer. Noch gibt das Unternehmen sein Wissen nicht an Werbenetzwerke weiter. Damit es dies auch in Zukunft nicht tut: In den Privatsphäre-Einstellungen unter „Werbeanzeigen, Anwendungen und Webseiten“ ist ganz unten ein Link zu „ Werbeanzeigen“. Dort unter „Einstellungen … bearbeiten“ klicken und „niemand“ einstellen. Auch die besten Privatsphäre-Einstellungen schützen einen nicht davor, dass das Netzwerk selbst die Daten auswertet oder unsicher aufbewahrt. Wer erfahren möchte, was Facebook über ihn weiß, kann seine Daten anfordern: Unter „Kontoeinstellungen“ gibt es unterhalb der Einstellungen den Link „Lade eine Kopie“. Dort sollte man sowohl das normale als auch das „erweiterte Archiv“ (der Link ist im Kleingedruckten versteckt) herunterladen. Neben Fotos, Chats, Suchbegriffen und Kommentaren beinhalten die Archive sogar gelöschte Nachrichten, abgesagte Einladungen und Orte, an denen man sich eingeloggt hat. Unter www.facebook.com/fbsitegovernance gibt Facebook bekannt, wenn es seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen ändert. Wer Facebook nach der Änderung weiter nutzt, hat eingewilligt.

Kompakt

· Wer in Facebook die richtigen Einstellungen wählt, wird nicht „gläsern“.

· Kinder sollten nie ohne Schutzsoftware im Internet unterwegs sein.

· Eltern sind gefordert, die reale Welt attraktiv zu machen.

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