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Geschlechter-Ungleichheit zeigt sich im Gehirn

Gesellschaft|Psychologie

Geschlechter-Ungleichheit zeigt sich im Gehirn
Mann und Frau
Die Gehirne von Mann und Frau spiegeln wider, wie gleichberechtigt die Geschlechter in einem Land sind. © JakeOlimb/ iStock

Unterschiede zwischen den Gehirnen von Frauen und Männern sind offenbar stärker ausgeprägt in Ländern, in denen gesellschaftlich eine größere Ungleichheit zwischen den Geschlechtern herrscht. Hirnscans von fast 8000 Menschen aus 29 Ländern offenbaren, dass bei Frauen in Ländern, in denen sie gesellschaftlich benachteiligt werden, Teile des Kortex dünner sind als bei Männern. In Ländern mit mehr Gleichberechtigung zeigten sich dagegen keine signifikanten geschlechtsabhängigen Unterschiede bei der kortikalen Dicke. Die Ergebnisse deuten auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Gender-Ungerechtigkeit und einem erhöhten Risiko für psychische Probleme und geringe schulische Leistungen hin.

In vielen Ländern der Welt werden Frauen in zahlreichen Bereichen diskriminiert, etwa im Bildungswesen, am Arbeitsplatz, bei der politischen Vertretung und in der Gesundheitsversorgung. Gemessen wird diese Ungleichheit zwischen den Geschlechtern mit Indizes wie dem Gender Gap Index des Weltwirtschaftsforums und dem Gender Inequality Index der Vereinten Nationen. Bereits frühere Studien haben ergeben, dass Frauen in Ländern mit großer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen und ein niedrigeres Bildungsniveau haben als Männer.

Benachteiligung im Gehirn

Doch zeigen sich solche Unterschiede auch im Gehirn? Dieser Frage ist ein Team um André Zugman von den amerikanischen National Institutes of Health (NIH) in Bethesda nachgegangen. Dazu wertete das Team Hirnscans von Menschen aus 29 Ländern der Welt aus – jeweils rund 4000 von Frauen und von Männern. Die Stichprobe umfasste sowohl Länder mit großen Unterschieden zwischen den Geschlechtern wie Indien, Brasilien und die Türkei, als auch Länder, in denen den Indizes zufolge Frauen und Männer in vielen Bereichen gleichberechtigt sind, darunter Finnland, Schweden, Deutschland und Spanien. Rund 35 Prozent der einbezogenen Personen stammten aus Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen.

Das Ergebnis: „In Ländern mit größerer Geschlechterungleichheit zeigten sich deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede im Gehirn, wobei bei Männern die Großhirnrinde in der rechten Hirnhälfte dicker war als bei Frauen“, berichten Zugman und sein Team. „In Ländern mit größerer Geschlechtergleichheit gab es dagegen praktisch keine Unterschiede in der kortikalen Dicke zwischen den Geschlechtern.“ In einigen Fällen war die Großhirnrinde bei Frauen sogar dicker als bei Männern. Während sich die Dicke der Großhirnrinde bei Männern aus den verschiedenen Ländern nicht systematisch unterschied, kamen die Unterschiede dadurch zustande, dass Frauen aus Ländern, in denen sie besonders benachteiligt werden, eine geringere kortikale Dicke aufwiesen.

Sozialer Stress und schlechte Bildungschancen

Zu den von den von den Unterschieden betroffenen Gehirnregionen zählten der anteriore cinguläre Gyrus und der orbitofrontale Gyrus. „Diese Regionen werden mit verschiedenen Aspekten der emotionalen Kontrolle in Verbindung gebracht, einschließlich der Widerstandsfähigkeit gegenüber Widrigkeiten, Reaktionen auf Ungerechtigkeit oder negative soziale Vergleiche“, erklärt das Forschungsteam. „Veränderungen in diesen Regionen wurden auch bei pathologischen Zuständen festgestellt, bei denen Stress als zentraler Mechanismus angesehen wird, wie zum Beispiel eine Ausdünnung bei Depressionen oder eine Verringerung des Volumens bei posttraumatischer Belastungsstörung.“ Denkbar sei daher, dass die dünnere Großhirnrinde bei Frauen aus Ländern mit großen Geschlechterunterschieden daher rührt, dass sie während ihres gesamten Lebens ungünstigen Bedingungen und damit Stress ausgesetzt sind.

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Auch weitere Mechanismen kommen aus Sicht der Forschenden in Frage: „Frauen in den entsprechenden Ländern haben einen geringeren Zugang zu einer vorteilhaften, bereichernden Umgebung, die ihre Gehirnstruktur durch eine stärkere dendritische Verzweigung und eine erhöhte Synapsenbildung positiv verändern könnte.“ In diesem Fall spielte der Zugang zum Bildungssystem eine wichtige Rolle. „In unserer Studie konnte nicht weiter untersucht werden, welche dieser Mechanismen beteiligt waren, da viele Arten von negativen Erfahrungen nebeneinander bestehen“, so das Team.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung des makrosozialen Umfelds, in dem sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Gehirnstruktur manifestieren“, schreiben Zugman und sein Team. „Künftige Studien müssen die beteiligten Mechanismen, ihre moderierenden Faktoren und ihren zeitlichen Ablauf untersuchen, was neue Möglichkeiten für eine auf den Neurowissenschaften basierende Politik zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter bietet.“

Quelle: André Zugman (National Institutes of Health, Bethesda, USA) et al., Proceedings of the National Academy of Sciences, doi: 10.1073/pnas.2218782120

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