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Klima: 1,5-Grad-Ziel gesellschaftlich unplausibel

Gesellschaft|Psychologie

Klima: 1,5-Grad-Ziel gesellschaftlich unplausibel
Wohin steuert das Klima?
Ob wir das Klimaziel erreichen, hängt stark von gesellschaftlichen Faktoren ab. © CLICCS/ Universität Hamburg

Wie wahrscheinlich ist es, dass wir die Erderwärmung bis 2100 auf 1,5 Grad begrenzen können? Um diese Frage zu beantworten, hat sich eine neue Analyse auf gesellschaftliche Einflussfaktoren fokussiert. Das Ergebnis: So wie es aktuell aussieht, ist es nicht plausibel, das Klimaziel noch zu erreichen. Vor allem das Konsumverhalten und die Reaktionen der Unternehmen bremsen demnach dringend notwendige Klimaschutzmaßnahmen. Physikalische Kipppunkte, darunter das Abschmelzen der Eisschilde, spielen dagegen bis 2050 nur eine untergeordnete Rolle für die globale Temperatur.

Auf der UN-Klimakonferenz in Paris im Jahr 2015 haben sich die meisten Staaten der Welt auf das Ziel verständigt, die globale Erwärmung bis 2100 auf maximal zwei Grad, besser 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Obwohl seither bereits viele Maßnahmen geplant und umgesetzt wurden, bleiben die bisherigen Bemühungen weit hinter dem Notwendigen zurück. Ein wichtiges Ziel auf dem Weg ist es, die Kohlenstoffemissionen massiv zu begrenzen und so bald wie möglich auf null herunterzufahren, also eine vollständige Dekarbonisierung zu erreichen. Inwieweit das gelingt, hängt vor allem von gesellschaftlichen Entwicklungen auf politischer, wirtschaftlicher und individueller Ebene ab.

Plausibilität statt Machbarkeit

Ein Forschungsteam vom Exzellenzcluster „Climate, Climatic Change and Society“ (CLICCS) der Universität Hamburg hat nun analysiert, wie gesellschaftliche Faktoren die Plausibilität des 1,5-Grad-Ziels beeinflussen. In ihrem zweiten Hamburg Climate Futures Outlook kommen sie zu dem Ergebnis, dass ein gesellschaftlicher Wandel unabdingbar ist, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Aktuelle Entwicklungen machen es allerdings unwahrscheinlich, dass entsprechende Veränderungen rechtzeitig umgesetzt werden, so die Forscher. Bereits 2021 hatte das Team im ersten Hamburg Climate Futures Outlook festgestellt, dass die Plausibilität für eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050 gering ist.

„Wenn es um zukünftige Klimaszenarien geht, fokussieren sich die meisten Studien auf die theoretische Machbarkeit“, erklärt das Forschungsteam. Das gilt zum Beispiel für die Klimaberichte des Weltklimarats IPCC. „Diese Berichte vernachlässigen jedoch soziale Dynamiken, die einen entscheidenden Einfluss darauf haben, ob notwendige Maßnahmen eingeführt werden. In unserer Analyse haben wir dagegen eine große Bandbreite an gesellschaftlichen und physikalischen Faktoren analysiert, die die Plausibilität von Klimaszenarien beeinflussen.“

Einflussfaktoren

Förderliche und hemmende Faktoren auf dem Weg zum 1,5-Grad-Ziel. © CLICCS/Universität Hamburg

Gesellschaftliche Triebkräfte in beide Richtungen

Von zehn gesellschaftlichen Triebkräften, die das Team in die Analyse einbezog, unterstützen sieben die Reduktion von Kohlenstoffemissionen – wenn auch nicht genug für eine vollständige Dekarbonisierung bis 2050. Zu diesen positiven Einflussfaktoren zählen die Klimapolitik der Vereinten Nationen, darunter insbesondere Klimaabkommen, länderübergreifende Initiativen wie der europäische Emissionshandel, nationale Klimagesetze, Klimaproteste und weitere soziale Bewegungen. Außerdem Klimaklagen, beispielsweise gegen Mineralölkonzerne, verringerte Investitionen in fossile Brennstoffe und die Verbreitung von Wissen über den Klimawandel. Doch der Analyse zufolge gehen diese Faktoren zwar in die richtige Richtung, aber nicht stark genug: „Die erforderliche vollständige Dekarbonisierung schreitet einfach zu langsam voran“, sagt CLICCS-Sprecherin Anita Engels von der Universität Hamburg.

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Zwei wichtige gesellschaftliche Triebkräfte stehen zudem weiterhin der Reduktion der CO2-Emissionen entgegen: Die Konsumgewohnheiten der Verbraucher sowie die Reaktionen der Unternehmen. Den zehnten Einflussfaktor, die Medien, sieht das Forschungsteam in einer ambivalenten Rolle. Durch einen Beitrag zur Wissensvermittlung können sie einerseits die Dekarbonisierung unterstützen und dazu beitragen, dass Verbraucher ihr Konsumverhalten klimafreundlicher gestalten und Unternehmen sich gesellschaftlich zu nachhaltigerem Wirtschaften verpflichtet sehen. Andererseits können die Medien allerdings auch Narrative fördern, die den Klimazielen entgegenstehen.

Physikalische Kipppunkte haben untergeordneten Einfluss

Zusätzlich zu den gesellschaftlichen Faktoren analysierte das Team auch, wie sich physikalische Prozesse, die mögliche Kipppunkte darstellen, auf das Erreichen der Klimaziele auswirken. Das Ergebnis: Einen mäßigen Einfluss haben der auftauende Permafrost, ein schwächer werdender Golfstrom und der Verlust des Amazonas-Regenwaldes. Weitere gravierende Veränderungen wie der Verlust des arktischen Meereises, das Abschmelzen der Eisschilde und regionale Klimaveränderungen werden dagegen bis 2050 kaum einen Einfluss auf die globale Temperatur haben. „Fakt ist: Diese befürchteten Kipppunkte könnten die Bedingungen für das Leben auf der Erde drastisch verändern – für das Erreichen der Temperaturziele des Pariser Abkommens sind sie aber weitgehend irrelevant“, erklärt CLICCS Co-Sprecher Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg.

Auch aktuelle Entwicklungen wie die Covid-19-Pandemie und den Krieg in der Ukraine haben die Autoren einbezogen. „Wiederaufbauprogramme und Maßnahmen, um die sozioökonomischen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie abzumildern, haben die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen gefestigt, so dass der Übergang zu einer vollständigen Dekarbonisierung weniger plausibel ist als bisher angenommen“, so das Team. Bezüglich des Ukraine-Kriegs sei eine empirisch fundierte Abschätzung noch nicht möglich. Je nachdem, welche Entscheidungen die Politik fällt, um von russischem Gas unabhängiger zu werden, könne dies den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen beschleunigen oder untergraben.

Menschlicher Gestaltungsspielraum

„Unsere Bewertungen der sozialen Triebkräfte zeigen, dass das menschliche Handeln ein großes Potenzial hat, die Art und Weise zu gestalten, wie sich die Klimazukunft entwickeln wird“, schreiben die Autoren. „Wir kommen zu dem Schluss, dass eine weltweite vollständige Dekarbonisierung bis 2050 derzeit nicht plausibel ist. Dennoch kann die Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf deutlich unter zwei Grad Celsius plausibel werden, wenn Lücken bei Ambitionen, Umsetzung und Wissen geschlossen werden.“

Quelle: CLICCS (Universität Hamburg), doi: 10.25592/uhhfdm.11230

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