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Macht durch Gardemaß

Gesellschaft|Psychologie

Macht durch Gardemaß
So etwas steht in keiner Broschüre der Arbeitsämter: Wer größer ist als der Durchschnitt, verdient mehr. Diese Regel gilt vom Berufsanfänger bis zum Topmanager – und in der Politik. Hochgewachsene Menschen erfreuen sich offenbar in allen Kulturen einer gesteigerten Wertschätzung.

Was muss jemand mitbringen, um in den USA Präsident zu werden, fragen sich Bewohner des alten Europa des öfteren. Dabei ist das vielleicht wichtigste Merkmal kaum zu übersehen: die Körpergröße. Von den 43 US-Präsidenten waren nur 8 kleiner als der Durchschnitt ihrer Landsleute – der letzte auffallend kurze Kandidat wurde 1888 gewählt.

Die Bundesrepublik ist zu jung für aussagekräftige Statistiken zum Körpermaß erfolgreicher Politiker. Auch aus anderen Ländern fehlen ähnliche Tabellen. Doch es fällt auf, dass die berühmtesten kurzgewachsenen Politiker ihren Aufstieg nicht in Demokratien schafften: vom Hunnenkönig Attila (etwa 1,50 m) bis zu Nikita Chruschtschow (1,60 m) und Deng Xiaoping (1,52 m). Hingegen war Napoleon Bonaparte mit 1,69 m für seine Zeit durchaus nicht kurz geraten. Die Mär vom „kleinen Kaiser“ beruht auf einem Umrechnungsfehler der Maßeinheiten.

Doch auch normale Arbeitnehmer sollten sich um ihre Größe Gedanken machen – vom Berufsanfänger bis zum Topmanager. Auch wenn es unglaublich klingt: Zusätzliche Zentimeter schlagen sich in höherem Gehalt nieder. Das haben in den letzten 30 Jahren so viele Studien bewiesen, dass jedes Leugnen der Personalchefs und Bosse zwecklos wäre.

Eine der ersten Untersuchungen galt Absolventen der University of Pittsburgh. Wer das Gardemaß von 1,88 m erreichte, strich ein zwölf Prozent höheres Anfangsgehalt ein als der Rest. Eine ähnliche US-Studie ging 1990 mehr ins Detail. Danach können sich frisch gebackene Betriebswirte für jeden zusätzlichen Inch (2,5 Zentimeter) einen jährlichen Gehaltsbonus von 570 Dollar ausrechnen. Wohlgemerkt: Betriebswirte – keine Holzfäller, die vielleicht mit zunehmender Größe die Axt kräftiger schwingen.

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Allerdings macht sich nicht nur für Jungakademiker körperliche Größe bezahlt, wie die Daten von gut 2000 Amerikanern aus der National Longitudinal Study of Youth (NLSY) beweisen. Der Befund: Wer die durchschnittliche Körpergröße nicht erreicht, muss statistisch eine fünfprozentige Gehaltskürzung hinnehmen. Andere, möglicherweise verzerrende Einflussfaktoren wurden bei derlei Studien herausgerechnet.

Die kuriosen Größenzu- und -abschläge sind keineswegs eine Spezialität der Amerikaner, ähnliche Erkenntnisse gibt es von den traditionell nüchternen Briten. Dort entstammen sie dem National Child Development Survey (NCDS), einer Langzeitstudie zur Säuglingssterblichkeit, die seit 1958 das Schicksal der damals in der ersten Märzwoche Geborenen verfolgt. Demnach trägt jeder zusätzliche Inch seinem Besitzer auf der Insel 1,7 Prozent mehr Gehalt ein. Wer zu den 10 Prozent der Kleinsten gehört (bis 1,69 m bei Männern und bis 1,55 m bei Frauen) bekommt im Mittel 5 Prozent weniger überwiesen als Menschen mit Durchschnittsstatur.

Die britischen Daten zeigen auch: Größere schaffen den sozialen Aufstieg leichter. Männer, die in eine der Klassen vom ungelernten Arbeiter bis zum Angestellten hineingeboren wurden, aber den Aufstieg in die Regionen der Ärzte und Manager schafften, überragten die Zurückgebliebenen im Schnitt deutlich.

Seit kurzem gibt es auch eine Statistik zu den deutschen Werktätigen. Der Wirtschaftswissenschaftler Guido Heineck von der Universität München hat Daten von 33 247 Männern und Frauen ausgewertet, die für die große deutsche repräsentative Langzeitstudie, das Sozio-oekonomische Panel, befragt wurden.

Für Frauen in Ost und West ließ sich kein Einfluss der Größe nachweisen, auch nicht für ostdeutsche Männer. Doch in der alten Bundesrepublik gibt es für je zehn Zentimeter mehr 2000 Euro Jahreseinkommen zusätzlich. Ein ähnliches Bild ergab sich, als die deutsche Personalberatung Heidrick & Struggles, Müldner & Partner 212 Topmanager nach den Geheimnissen ihrer Karriere befragte. 72 Prozent hatten ein Studium abgeschlossen, 37 Prozent promoviert. Aber 91 Prozent waren größer als 1,80 m und überragten damit den 1,77 m langen Durchschnitts-Deutschen. 5 Prozent maßen gar über 2 m. Manager vom Kleiderschrank-Format wie DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp passen da gut ins Bild.

Kleine Erfolgsmenschen finden sich weniger unter angestellten Top-Managern, sondern in den Reihen von Selfmademen und Unternehmern, deren Aufstieg von keinem Aufsichtsrat gebilligt werden musste. Aristoteles Onassis, der superreiche griechische Reeder, maß 1,65 m. Formel 1-Boss Bernie Ecclestone, dessen Vermögen auf fast drei Milliarden Euro geschätzt wird, verschwindet mit seinen 1,60 m fast neben seiner Frau Slavica, die 1,88 m misst.

Auch bei Frauen ist Größe karrierefördernd – zumindest in Finnland: Dort sollten Führungskräfte eines staatlichen Transportunternehmens angeben, welche ihrer weiblichen Angestellten sie für managementtauglich hielten. Das schienen den zumeist weiblichen Chefs eindeutig die größeren unter den 78 Mitarbeiterinnen zu sein. Vernünftig begründen konnten sie das nicht: Als die Forscher gezielt nach einzelnen Management-Fähigkeiten wie Realitätssinn und Teamfähigkeit fragten, gaben die Vorgesetzen den kleineren Mitarbeiterinnen genauso gute Noten.

Warum werden große Leute von ihren Mitmenschen bevorzugt? Den womöglich entscheidenden Faktor haben nun der Ökonomie-Professor Nicola Persico und sein Kollege Andrew Postlewaite von der University of Pennsylvania gefunden. Sie nahmen sich erneut die Daten der britischen und amerikanischen Langzeitstudien NCDS und NLSY vor.

Zu ihrer Überraschung stellten sie fest: Die Größe als Erwachsener ist nicht das Entscheidende – es verdienen die Leute besonders gut, die als 16-Jährige überdurchschnittlich hochgewachsen waren.

Der Vorteil für lange Erwachsene kommt also scheinbar zustande, weil sie schon als Jugendlche groß waren. Aber das stimmt eben nicht immer. Und hier wird es interessant: Wenn von zwei großen Erwachsenen einer als Teenager klein war, verdient er in Britannien im Schnitt 13 Prozent weniger als der andere, schon immer Hochgeschossene – in den USA 10 Prozent. Allerdings hat die Länge in der Kindheit, zwischen 7 und 11 Jahren, keine Spätfolgen, so das Persico-Team – nur die Jugendzeit zählt.

Warum ist die so entscheidend? Die Forscher: Fehlende Zentimeter in diesem Alter sind schlecht für die Ausprägung des Selbstbewusstseins. Kleine Teenager, so die Daten, gehen weniger in Sportclubs und andere Vereine. Offenbar kommen sie dort nicht gut an – so entwickelt sich kein ausgeprägtes Selbstvertrauen.

Es sind also nicht so sehr die Arbeitgeber, die etwas gegen kleine Menschen hätten. Sie reagieren mit ihren Gehaltsabschlägen lediglich auf das verkümmerte Selbstbewusstsein, das Kleinere bereits von der Schule mitbringen.

Aber warum haben Kleine so wenig zu lachen? Ist die Geringschätzung kräftig gebauter Mitmenschen eine Folge unserer westlichen Model-Kultur? Kaum. Als der Anthropologie-Professor Thomas Gregor von der amerikanischen Vanderbilt University in den sechziger und siebziger Jahren unter den Mehinaku lebte, einem Naturvolk im brasilianischen Tropenwald, informierte er sich über deren Maßstäbe: Für kleine Männer, so genannte Peritsi, hatten die Indianer nur Spott übrig. Niemand wollte so einen als Schwiegersohn. Die großen „Wekepei“ stellten meist den Häuptling, rissen sich den Besitz unter den Nagel und zelebrierten die wichtigen Rituale.

Die Trobriander in der Südsee, die Timbira in Brasilien, die Navajos in Nordamerika – alle geben Großen den Vorzug. „Nirgendwo habe ich eine Bevorzugung der Kleinen gefunden“, berichtete Gregor.

Diese Vorliebe hat sich vermutlich während der Evolution entwickelt, weil Größe Vorteile signalisierte, spekulieren die Gelehrten. „Länge ist ein Hinweis auf die Qualität der Gene“, behauptet beispielsweise Prof. Robin Dunbar von der University of Liverpool. Nach anderen Theorien deutet geringe Körpergröße auf eine schlechte Nahrungsversorgung im Mutterleib hin.

Wie auch immer – Größere sind im Schnitt tatsächlich gesünder. Vor allem für Herz- und Kreislauferkrankungen ist geringe Körpergröße ein gesicherter Risikofaktor. Männer unter 1,70 m leiden doppelt so oft unter erhöhtem Blutdruck wie solche über 1,80 m, so eine Studie der Universität Münster mit gut 5000 Teilnehmern. Nach einer Untersuchung von Donna Parker vom Memorial Hospital in Rhode Island hatten Männer über 1,77 m 83 Prozent weniger Herz- und Kreislaufprobleme als die unter 1,65 m.

Als ob das nicht schon ungerecht genug wäre, haben Forscher in einer Reihe von Untersuchungen auch noch gezeigt: Kleinere Menschen verfügen statistisch gesehen über eine geringere Intelligenz. Der Zusammenhang ist allerdings so gering, dass er im alltäglichen Leben keine große Rolle spielen dürfte. Vorurteile übertreiben ihn jedoch kräftig, wie der australische Psychologe Paul Wilson schon 1968 in einem klassischen Experiment zeigte.

Er stellte dazu Studenten einen Fremden vor, den er einmal als Studenten, ein anderesmal als Dozenten und schließlich als leibhaftigen Professor der berühmten University of Cambridge ausgab. Als die Studenten hinterher die Größe des Fremden schätzen mussten, taxierten sie den „Professor“ fünf Zentimeter größer als den „Studenten“.

Angesichts der vielen Benachteiligungen vor allem von kleinen Männern forderte das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ – wenn auch nur halb im Ernst – Schutzmaßnahmen für SHRIMPs (Severely Height-Restricted Individuals of the Male Persuasion – schwer höhenreduzierte Individuen der männlichen Ausrichtung): Neben globalen Konferenzen der UNO verlangte die Zeitschrift auch Kontrollen bei Arbeitgebern, ob sie genügend SHRIMPs einstellten.

Kleinen Menschen bleibt nur eine Hoffnung: Sie können es trotzdem weit bringen. Zum Beispiel zum Professor. Persico und Postlewaite, die den Einfluss der Größe im Jugendalter auf das Gehalt als Erwachsener feststellten, waren als Teenager klein und blieben es. „Keiner von uns ist groß“, tröstete Postlewaite bei der Bekanntgabe der Daten. ■

JOCHEN PAULUS arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist in Frankfurt am Main. Sein Arbeitschwerpunkt ist die Psychologie.

Jochen Paulus

COMMUNITY INTERNET

Guido Heineck: Up in the skies? The relationship between body height and

earnings in Germany

www.econhist.de/heineck/gh-Dateien/height-earn.pdf

Nicola Persico: The Effect of Adolescent Experience on Labor Market Outcomes

The Case of Height

www.ssc.upenn.edu/~persico/ research/Papers/short.pdf

Jay Mathews: The Shrinking Field Washington Post

www.washingtonpost.com/wp-srv/ politics/campaigns/wh2000/stories/ tall 080399.htm

Der Bundesverband Kleinwüchsige Menschen und ihre Familien e.V. (BKMF) beobachtet die Antipoden natürlich sehr genau und liefert entsprechend fundierte Informationen.

Hillmannplatz 6

28195 Bremen

Tel.: 0421 | 50 21 22

www.bkmf.de/index.html

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