Wir sehen das anders! Welche Größe muss eine Minderheit erreichen, damit ihre Überzeugung gute Chancen bekommt, sich in der Mehrheit durchzusetzen? Eine experimentelle Studie liefert nun eine Antwort auf diese gesellschaftlich wichtige Frage: Wenn etwa 25 Prozent der Menschen in einer Gemeinschaft eine Meinung vertreten, ist demnach der Wendepunkt für eine erfolgreiche Normänderung erreicht. Dieses Grundprinzip könnte die Entwicklung von Standards in vielen Bereichen prägen, sagen die Forscher.
In menschlichen Gemeinschaften – von Gruppen bis zu großen Strukturen – entwickeln sich bekanntlich Normen. Sie regeln, was üblich ist, was als normal gilt und was MAN sagen, machen oder auch lassen darf. Wer sich diesen Regeln widersetzt, muss mit unterschiedlichen Formen von Sanktionen rechnen. Klar ist allerdings: Normen und Einstellungen können sich wandeln. Beispielsweise haben sich Ansichten der Öffentlichkeit zu Themen wie Homo-Ehe, Waffengesetze oder Rassen- und Geschlechtergleichheit in der Vergangenheit deutlich verändert.
Gibt es eine kritische Masse?
Bereits seit einiger Zeit beschäftigen sich Forscher mit der Frage, wie entsprechende Wandlungsprozesse in der Gesellschaft in Gang kommen und welche kritische Masse dafür ausschlaggebend ist. Bisher kamen diese Untersuchungen zu Ergebnissen mit großer Spannbreite: Der Wendepunkt liegt demnach bei einem Anteil, der irgendwo zwischen 10 und 40 Prozent zu liegen scheint. Das Problem bei diesen Studien war den Forschern um Damon Centola von der University of Pennsylvania in Philadelphia zufolge, dass Entwicklungen im Nachhinein betrachtet und analysiert wurden. Die soziale Dynamik in der realen Welt ist allerdings kompliziert und so ist es schwer möglich zu erfassen, wie unterschiedlich die Ergebnisse gewesen wären, wenn etwa eine Aktivistengruppe größer oder kleiner gewesen wäre.
Centola und ihre Kollegen haben im Rahmen ihrer Studie nun stattdessen einen experimentellen Ansatz verfolgt. Sie rekrutierten dazu rund 200 Online-Freiwillige, die sie in Gruppen aufteilten. Innerhalb jeder Gruppe wurden die Mitglieder zusätzlich nach dem Zufallsprinzip paarweise verknüpft und beauftragt, einem abgebildeten Objekt eine Bezeichnung zuzuordnen. Wenn beide dem Objekt den gleichen Namen gaben, wurden sie finanziell belohnt. Dieses Prinzip wurde dann fortgesetzt, bis sich aus allen Untereinheiten eine gruppenweite Norm für die Bezeichnung eines Objekts herausgebildet hatte. Anschließend bildeten die Forscher dann in den Gruppen gezielt unterschiedlich große Einheiten von „Aktivisten“, die versuchen sollten, die etablierte Konvention durch die Einführung einer neuen Alternative zu stürzen.
Wendepunkt bei 25 Prozent
Wie die Forscher berichten, zeichnete sich in den Experimenten eine kritische Masse von 25 Prozent ab: Wenn die Minderheit, die den Wechsel vorantreiben sollte, unter diesem Anteil an der Gesamtgruppe lag, scheiterten ihre Bemühungen. Ab 25 Prozent änderte sich die Gruppendynamik hingegen deutlich und die Mehrheit neigte zur Übernahme der alternativen Norm. Manchmal gab in dem experimentellen Rahmen nur eine Person den Ausschlag, berichten die Forscher.
Klar ist ihnen zufolge, dass reale Entwicklungen viel komplexer sind als die Bedingungen in dem experimentellen Modell, wodurch sich spezielle Verläufe herausbilden können. Dennoch scheint die 25 Prozent-Marke einen wichtigen grundlegenden Wendepunkt zu repräsentieren, sind sie überzeugt. Während die Verschiebung von menschlichen Überzeugungen eine vielschichtige Herausforderung darstellt, bieten die Ergebnisse neue Belege dafür, dass eine engagierte Minderheit Verhaltensweisen, die als sozial günstig angesehen werden, verändern kann. Beispiele wären ein erhöhtes Umweltbewusstsein, eine verstärkte Ablehnung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz oder mehr Solidarität mit Benachteiligten. Andererseits kann das 25-Prozent-Prinzip natürlich auch zum Kippen in negative Richtungen führen, betonen die Forscher: Beteiligt sich eine kritische Masse beispielsweise an Internet-Mobbing, rassistischen Äußerungen und so weiter, kann sich dies in eine bedenkliche Norm verwandeln, geben sie zu bedenken